Das Zeitalter der „two-horse races“?

Nach dem eher unrühmlichen Abschneiden bei der Württembergischen Schnellschach-Team-Meisterschaft nahmen wir uns vor, am 27. April in Illertissen besser zu spielen. Denn die „Blitzkrone“ wollten wir uns auch mal zurückholen. Im Jahr 2022 gewannen wir ungeschlagen, letztes Jahr rächte sich Schönaich und wir waren etwas abgeschlagen. Was würde dieses Jahr passieren?

Nominell war Schönaich auf jeden Fall überlegen. Tobias Kölle ist ein wahrer Blitz-Crack, auf chess.com hat er sogar über 3000 Rating sowohl im Blitz als auch im Bullet. Jedoch muss ich anmerken, dass er da lange kein Blitz mehr gespielt hat, vielleicht „campt“ er sein Rating und spielt auf einem geheimen Account…
Und auch Marius Deuer sowie Gerhard Junesch waren im Blitz nicht zu unterschätzen. Insgesamt hatten sie einen Elo-Vorsprung von 60. Das ist schon eine Hausnummer, vor allem, wenn man Moritz Reck an 4 bedenkt, der eine ähnliche Blitz-Elo wie unser Gunnar Schnepp (an 4 gemeldet) hat.

Neben dem Spitzenteam um Philipp Huber, Thomas Tschlatscher, Gunnar, Steffen Mages und mir durften wir mit zwei weiteren Teams nach Bayern fahren. Die „Zweite“, im November völlig ungefährdet Bezirksmeister geworden, bestand aus Ivan Ramirez Marin, Christian Biefel, Julian Bissbort und Marcel Mikeler. Also quasi Bezirksliga-Mannschaft mit Ivan vorne. Wegen eines späten Rückzugs durften wir auch ein „Kinderteam“ entsenden: Colin Ensslinger, Felix Hagenmeyer, Daniel Schäfer und Dennis Birke.
Die Ergebnisse und Turnierverläufe hätten auf die Elo zurückgeführt werden können. Mein Team war immer vorne mit dabei, die Zweite hielt sich wacker in den Top 10 und konnte mit Kornwestheim auch ein Spitzenteam ärgern, während die Jugendlichen in der Dritten ihr Potenzial zeigten sowie viel Elo gewannen (Colin +95, Felix +92, Dennis +79 laut chess-results.com), aber auch erfahren mussten, dass vor allem im Blitz „ich stehe auf Gewinn“ ein gutes Stück entfernt von „ich habe gewonnen“ ist – gerade gegen stärkere Spieler, welche durch ihre Zähigkeit bestechen.
Und möglicherweise sollte Dennis sein „Birke System“ nicht jede Partie spielen. Zur Erklärung: „Birke System“ entsteht nach 1.c3 2.a3 bzw. 1…c6 2…a6 aus schwarzer Sicht. Wer denkt, dass da am Ende eh nur ein Caro-Kann mit Minustempo entsteht…ja, genau das ist es. Das hielt Dennis trotzdem nicht davon ab, jede zweite Runde zu mir zu kommen, um vom unglaublichen Erfolg des „Birke System“ zu berichten. Da hätte ich aber mehr als 13 Punkte aus 27 Partien erwartet 🙂

Eigentlich stach jeder als Einzelspieler heraus, meistens positiv, manchmal auch negativ. So waren Thomas Tschlatscher und ich ein wenig neben der Spur. Da wir die Autos fuhren bei über zwei Stunden pro Strecke, hatten wir eine Ausrede parat. Dafür gab es viel mehr positive Beispiele. Philipp Huber blieb 12 Partien ungeschlagen, bis er leider ein paar Partien verlor. Außerdem sorgte er für etwas sehr Kurioses, dazu weiter unten mehr. Gunnar und Steffen spielten mit 17/20 und 16/19 sehr stark auf und bildeten zusammen mit Philipp das Rückgrat des Teams. Aber auch Ivan mit 17,5/27 (+56 Elo) und Marcel mit 18,5/27 (+87 Elo) setzten Ausrufezeichen. Denn wir spielten ein Rundensystem („jeder gegen jeden“), also es war nicht so, dass die beiden leichtere Gegner hatten als wir in der Ersten!

Was machen Schachspieler, um sich aufzuwärmen?

Ja, das Bild beantwortet gleich die Frage, welcher ihr in der Bildunterschrift seht. Schachspieler müssen Schach spielen, um sich auf das Turnier vorzubereiten. In „Meine großen Vorkämpfer II“ von Garry Kasparov wurde die Vorbereitungsroutine von Mikhail Botvinnik beschrieben: vorbereiten, eine Stunde spazieren gehen, hinlegen und ausruhen, danach zum Spiellokal zu Fuß laufen. Er würde wohl rotieren, wenn er unsere „Vorbereitung“ sehen könnte 🙂
Tatsächlich ist auch „Schachspieler“ korrekt, denn es spielte leider keine einzige Frau mit. Die einzigen Frauen fand man, ganz stereotypisch, in der Küche. Dort hatte ich ein nettes Wiedersehen mit Hannah Zell, welche ich das erste Mal als Betreuer bei der Deutschen Ländermeisterschaft 2015 gesehen hab. Wie die Zeit vergeht…falls du das liest, Hannah, sorry, konnte mich leider nicht mehr verabschieden!

Mussten wir uns auch vom Traum der dritten Teilnahme an der „Deutschen“ in Folge verabschieden? Der Start lief sehr vielversprechend. Wir starteten mit ganzen 14 Mannschaftssiegen in Folge! Gut, wegen der Auslosung bekamen wir zunächst die „schlechten“ Teams. Warum? Die Runden mussten so gedreht werden, dass in den ersten drei Runden alle Heilbronner Teams gegeneinander spielen würden. Um das Turnier möglichst fair zu gestalten und so. Die Mitfavoriten warteten alle in der zweiten Turnierhälfte. Außer Kornwestheim, die hatten wir zwischendrin mit 4-0 abgefertigt.

Und es sah sehr gut aus. Wir hatten alles gewonnen, Schönaich schon zwei Mal gepatzt: verloren gegen Kornwestheim und Remis gegen Sontheim/Brenz. Es schien so, als würde es wieder unser Turnier werden. Definitiv war es so, dass es sich zwischen Schönaich und uns entscheiden würde. Bebenhausen hatte zwei Niederlagen und ein Remis, Kornwestheim gar drei Niederlagen und zwei Remis. Die anderen musste man aus neutraler Perspektive nicht mehr betrachten.
In Runde 15 stand das erste schwierige Duell an, gegen die TG Biberach. Flashback zum Schnellschach vom 13. April: an jenem Tag gewannen wir zwar, aber ein bisschen nervte mich mein Gegner André Fischer. Er meinte, ihn würde mein Kopfnicken extrem ablenken und ich solle das unterlassen, mit lautstarker Stimme. Hm okay. Jener André Fischer spielte gegen Philipp Huber. Der Heilbronner musste ob eines Rückstands von 1-2 gewinnen und versuchte alles. Jedoch schien sein Gegenspieler auf Zack zu sein. Erst war ein Turm weg, weil Philipps König in einem Mattnetz hing. Dann fiel auch noch seine Zeit! Alle Zuschauer, ich eingeschlossen, hatten mit der Partie abgeschlossen. Aber Fischer nahm die Uhr gar nicht wahr. Er wollte weiter auf Matt spielen und lief plötzlich selbst ins Matt. 2-2 gegen Biberach, noch einmal davongekommen. Und ein kleines Payback für das (meiner Meinung nach) unangebrachte Verhalten mir gegenüber. Dennoch wurde der Vorsprung knapper.

Danach folgte ein 2-2 gegen Bebenhausen, leider konnte ich kein Dauerschach finden beim Stand von 2-1. Okay, nur noch ein Punkt Vorsprung. Aber es war ein Punkt Vorsprung. Es folgten ein paar Pflichtsiege, wobei die Teams nicht von schlechten Eltern waren. Sontheim/Brenz, Post-SV Ulm und Wernau mit dem Blitz-Spezialisten Josef Gheng an 1. Schmerzhaft war das 2-2 gegen Stuttgarter SF 1 (ausnahmsweise lag es nicht an mir) in Runde 22, wodurch wir plötzlich Schönaich besiegen mussten. Denn in Sachen Mannschaftspunkten waren sie gleichgezogen, aber sie hatten mehr Brettpunkte – wobei es natürlich half, dass sie wegen verspäteter Anreise der Stuttgarter SF mal kampflos gewannen…

Wer würde am Ende noch lächeln?

Immerhin war Philipp Huber hochmotiviert. Er war Feuer und Flamme, zu spielen und stoppte eigenhändig unsere anfangs vereinbarte Rotation. So viel Testosteron in so einem kleinen Paket konnte ja kaum schiefgehen. Naja, doch. Nach gefühlt 20 Sekunden hieß es von Brett 2 „Null Eins!“. Wunderbar! Etwas desillusioniert zeigte ich mich dann, sodass es 0-2 stand. Kurioserweise schien dieser Vorsprung etwas in Gerhard Junesch auszulösen. Mit Mehrqualität und dominanter Stellung (weiße Dame auf f6 bei geschwächter schwarzer Königsstellung) schaltete er plötzlich in einen total friedlichen „Verwaltungsmodus“. Er tauschte alles bis auf einen Turm und Thomas‘ Läufer ab. Das Gute für uns war, dass nun die schwarzen Mehrbauern etwas wert waren. Am Königsflügel gab es kein Durchkommen für Weiß, (3 vs. 2 Bauern für Thomas), während sich der schwarze König im Schatten des Läufers und den zwei Bauern am Damenflügel auf eine Reise nach a3 begab. Dort wartete die weiße Bauernschwäche. Sie wurde gewonnen, der a-Bauer lief ungehindert durch. Zusammen mit Gunnars stark herausgespieltem Sieg (auch eine saubere Endspielführung) vermieden wir den direkten KO. 2-2 gegen Schönaich.

Nichtsdestotrotz war es nicht genug. Davor gab es ein Remis zu viel. Den Brettpunkte-Vorsprung brachte Schönaich nach Hause, wobei wir es durch ein 2-2 in der letzten Runde gegen Bietigheim-Bissingen noch schlimmer machten. Da hatten zwei unserer Spieler Halluzinationen, es war klar, dass kurz vor 18 Uhr genug gespielt wurde.
So war es wieder Platz 2 – mit Vorsprung vor Platz 3, aber wieder nur Platz 2. Wir dürfen wieder bei der Deutschen Meisterschaft mitspielen, welche am 29. Juni in Kehl-Neumühl (Südbaden?) stattfinden wird. Mal schauen, was da so geht!

Und noch ein paar Bilder:

Danke an den Schachverband Württemberg und seine Helfer, in Form von Klaus Fuß, Martin Zebandt, Arno Reindl, Fritz Gatzke und Bernhard Jehle für die Organisation. Danke für die Fotos!


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