Der innere Leeroy Jenkins

Manche kämpfen mit dem inneren Schweinehund: gegen Lethargie und Lustlosigkeit, endlich den Hintern hochbekommen, etwas schaffen. Ich habe andere Probleme.

Zum Beispiel, dass die Stadtwerke Heilbronn mir das Deutschlandticket nicht als Chipkarte ausstellen wollte, sondern nur als Handy-Ticket. Jaja, ich bin alt. Aber da die Akkuleistung meines Smartphones gerade bei Nutzung mobiler Daten eher schlecht ist, will ich mich darauf im Zug nicht verlassen. Und sowieso will ich mich nicht komplett abhängig vom Handy machen. Also bin ich jetzt Kunde bei den Verkehrsbetrieben Karlsruhe (oh Gott, bei den Badenern). Aber ich kann nichts dafür!

Wenigstens fuhr der Zug von Heilbronn aus pünktlich um 7:30 Uhr ab, als Felix Hagenmeyer und ich nach Stuttgart aufbrachen. Ziel war das „Bürgerzentrum West“, in welchem am Sonntag, 14. Juli 2024, die Baden-Württembergische Schnellschacheinzelmeisterschaft stattfinden sollte. Das war der erste Teil unserer Abschiedstournee, der zweite wird in wenigen Wochen in Dortmund folgen. Der Plan war: kurz die Top 2 belegen, um 18:30 Uhr wieder nach Heilbronn fahren, abholen lassen, duschen und das EM-Finale schauen.
Natürlich hätte ich es besser wissen müssen, denn obwohl wir uns pünktlich um 9:15 Uhr meldeten, sollte das Turnier nicht pünktlich anfangen. Versteht mich nicht falsch! Ich bin keiner, der auf Paragraphen herumreitet. Jedoch stellt sich mir die Frage, ob eine Verspätung von 45 Minuten zielführend ist, um einzelne Personen zu versorgen, welche sich nicht vorangemeldet haben. Wobei der Anfang wohl damit gemacht werden sollte, dass die Leute nicht „kurz vor knapp“ kommen sollten. Zum Zeitpunkt des Meldeschluss war die Schlange nämlich mindestens 30 Personen lang…

Lukas sieht so süß aus in unserem neuen Poloshirt

Da Lukas der Einzige war, welcher das Poloshirt angezogen hatte, habe ich nur ihn fotografiert. Sicher lag es nicht daran, dass ich keine Zeit für Fotos hatte.
Jedoch konnte Lukas‘ Spielweise nicht ganz mit seinem Drip mithalten. Nach sechs Runden hatte Lukas nur zwei Remis erzielt. In seiner Verzweiflung kam er auf eine Idee. Er sagte sich vor jeder der drei verbleibenden Runden, dass er gehen würde, falls er verliert. Nun, ich glaubte nicht an solche Karmaspielchen, aber Lukas brachte mich zum Schweigen. Tatsächlich gewann er die letzten drei Runden und konnte halbwegs zufrieden sein. Neuer Lifehack entdeckt, ab sofort gewinne ich jedes Turnier mit 100% der Punkte.

Richtig zufrieden konnte Felix sein, welcher nach seinem bestandenen Abitur endlich wieder mehr Zeit für Schach hatte. Nach der Trainingspause hatte er die Möglichkeit, sich selbst zu beweisen, wie gut er eigentlich war. Und da ließ er keine Zweifel aufkommen. Gegen Jens Hirneise stand er lange Zeit (klar) besser, aber ließ ein wenig zu viel Gegenspiel zu, sodass Hirneise in Vorteil kam und gewann. Einen anderen FM, Veaceslav Cofmann, hatte Felix am Rand der Niederlage…bis Cofmann ihn darauf hinwies, dass Felix‘ Zeit gefallen war. Bitter. Von beiden Rückschlägen ließ Felix sich nicht unterkriegen und konnte zwei bemerkenswerte Siege erringen. Eine heiße Schlacht gab es mit Stanislav Sokratov (TG Biberach), in welcher Felix in Zeitnot den taktischen Überblick behielt. Völlig überspielt wurde hingegen Christian Thoma (SK Schmiden/Cannstatt), welcher wirklich keine Chance hatte, als Felix bei heterogenen Rochaden die Dampfwalze am Königsflügel rollen ließ. Mit 5,5/9 und einer Leistung von über 2100 sollte Felix jeglichen Zweifel beseitigt haben.

Stichwort Dampfwalze: ich legte los wie eine und ließ meinen Gegnern zunächst keine Chance. Auch S. Sokratov befand sich unter meinen Opfern in den ersten drei Runden. In der darauffolgenden Runde wurde auch Martin Hartmann (SK Bebenhausen) überspielt, bis es zur Zeitnotschlacht kam.


Jetzt wäre es wohl Zeit zu erklären, was „Leeroy Jenkins“ ist. Das geht zurück auf ein älteres Internet-Meme. Eine Gruppe von World of Warcraft-Spielern plante im Jahr 2005 akribisch das weitere Vorgehen in einem Dungeon. Nach etwas mehr als einer Minute meldete sich das Teammitglied Leeroy Jenkins zurück, schrie seinen Namen und ging alleine in den Dungeon. Der Rest des Teams folgte ihm, jedoch war der Plan zerstört worden und das Team wurde getötet. Seitdem ist „Leeroy Jenkins“ ein Synonym für absolut rücksichtsloses Vorgehen.
Also zurück zur Stellung oben. Natürlich, wenn ich (Schwarz am Zug) Txh7 spiele, endet die Partie mit einer friedlichen Punkteteilung. Lustig war, dass Bernd-Michael Werner mir das nach der Partie lang und breit erklärte. Hallo, ich habe nicht ohne Grund (fast) 2400 Elo?!

Im Inneren dachte ich mir nur „Leeroy Jenkins!!!“ und spielte …Ke5??, was nach f4+ verliert. Ja, das war wohl nichts. Da haben wir wohl den Grund, wieso ich „nur“ 2400 Elo habe.
Aber egal, weiter ging es! Nicht beirren lassen. Ich bediente mal wieder Sascha Strathmann (SF Mengen), wodurch ich 3-0 im privaten Duell führe – und das nur in Partien aus dem Jahr 2024. In der Runde drauf ging es gegen FM Bernd Schneider. Nach einem schlechten Start ins Mittelspiel fing ich mich und naja, seht selbst:

…Lf4 war natürlich ein „brillanter“ Zug. Natürlich droht der Zug nichts, aber ich wusste ganz genau, dass mein Gegner mit g2-g3?? antworten würde. Es war ja Schnellschach. Jedoch revanchierte ich mich ganz im Stile Leeroy Jenkins‘ mit den rücksichtslosen Angriffszügen, welche leider nicht so ganz funktionierten. Naja, schade war’s. Aber Remis fand ich langweilig, schon immer. Meine erste IM-Norm in der 2. Bundesliga wies auch nur ein Remis auf. Remisieren kann ich noch als zerbröselnder, blinder Siebzigjähriger (falls ich so lang durchhalte).
Wie dem auch sei, der Turniersieg war damit auch weg. Aber ich kann es mir insofern schönreden, dass ich im Jahr 2018 bereits mal Meister wurde. Der wahre Titel ist für mich ohnehin der des Heilbronner Stadtmeisters, welchen ich dieses Jahr zum 9. Mal gewinnen werde, um alleiniger Rekordmeister zu werden (sorry, Robin).

Dennoch gab es aus Vereinsperspektive einen weiteren Lichtblick. Tobias Peng spielte, wie meistens im Schnellschach, stark auf und knüpfte an seine unglaubliche Form aus der Oberliga an. Ungeschlagen mit 6/7 (dabei FM Josef Gheng am Rand der Niederlage gehabt) kam es zum vorentscheidenden Duell mit WGM Hanna Marie Klek, welche seit Neuestem für die SF Deizisau spielt. Auch da war Tobias am Drücker, aber irgendwie machten sich doch die negativen Umstände bemerkbar. Es war echt heißt in der Halle und Tobias kam aus Frankfurt angereist, nicht die besten Voraussetzungen. So verlor er erst unnötig einen Bauern und, völlig verwirrt von seinem kleinen Einsteller, ließ er einen großen Einsteller folgen und platzierte seine Dame auf einem Feld, auf welchem sie geschlagen werden konnte. Unbefriedigend.
Bereits den Teufel an die Wand malend (es macht manchmal nicht unbedingt Spaß, in einer WhatsApp-Gruppe mit Tobias zu sein), musste Tobias die letzte Runde gewinnen, um seine Chance auf die Qualifikation zur Deutschen Schnellschachmeisterschaft zu wahren. Gesagt, getan. Mit dem Letztrundensieg landete Tobias im Gesamtklassement auf Rang 3, wodurch er sich als zweitbester Württemberger hinter Josef Gheng für die „Deutsche“ qualifizierte. Leider fällt sie dieses Jahr jedoch aus, da sie am 12./13. Oktober in einer Stadt namens „Bielefeld“ stattfinden soll. Schade war’s. Vielleicht nächstes Jahr, Tobias.

Den Endstand findet ihr auf Chess-Results.


Kommentare

Der innere Leeroy Jenkins — 3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Die Kommentare sind moderiert und werden in der Regel innerhalb eines Tages freigegeben. Sollte es länger dauern, haben wir den Kommentar entweder übersehen oder der Spamfilter hat zugeschlagen. In diesem Fall bitten wir um eine kurze E-Mail an webmaster@schachverein-heilbronn.de.