Sick and tired

…war das Motto meines vergangenen Bundesliga-Wochenendes. Worum ging es?

Die älteren Herrschaften unter uns erkennen den Beitragstitel sicher wieder, denn es existiert ein gleichnamiges Musikstück der Künstlerin Anastacia aus dem Jahre 2004. In dem Lied geht es irgendwie um Liebe oder viel mehr darum, wie schlecht Liebe ausgehen kann. Jedoch war das keineswegs die Bedeutung, welche ich im Sinn hatte.

Ich war (oder bin, Stand 07.02.2024) sick and tired. Gut, müde bin ich quasi immer, was wahrscheinlich ein Anzeichen zur Sorge sein sollte, aber juckt niemanden. Am Wochenende war ich jedoch ziemlich krank. Rückblende: Am Freitag (02. Februar) wachte ich mit Druck und Schmerzen im linken Ohr auf. Es handelte sich um eine saftige Mittelohrentzündung, welche sich am Vortag mittels Schnupfen und Schüttelfrost ankündigte. Glücklicherweise wurde die Entzündung nicht wortwörtlich „saftig“ im Sinne davon, dass mein Ohr feucht wurde. So blieb mir immerhin das Antibiotikum erspart.

So lag ich dann nicht komplett flach mit Fieber, aber trotzdem war ich nicht topfit. Nur was tun? Welchen Ersatzspieler bekommt man so kurzfristig? Ich war so arrogant zu glauben, dass ich selbst in dem Zustand besser als einige andere spielen würde. Außerdem, und das schien mir wichtiger, war es sehr kurzfristig. Darüber hinaus würden dann alle ein Brett aufrücken. Nicht nur das Team würde schwächer werden, manche Vorbereitungen wären für die Katz gewesen. So entschloss ich mich zu spielen und den pain zu hiden like Harold.

Die Fahrt war gut (danke, Simon) und im Hotel Bundschu wurden wir wie die vorherigen Male liebevoll empfangen. Vom Herrn Bundschu. Nur…irgendetwas war anders. Ich analysierte die Lage genau. Das war nicht der Herr Bundschu. Seine Aura war irgendwie anders. Er wirkte schroff. Sehr direkt. Kaum blumige Worte. Was hatten sie mit meinem Herrn Bundschu gemacht?! Und dann, plötzlich, fiel mir etwas ins Auge. Das Namensschild. Da stand nicht Ralf Bundschu, sondern Frank Bundschu. Es handelte sich also um den (Zwillings?)Bruder, welchen ich im Vorjahr irgendwie nicht gesehen hatte. Meine Welt war wieder in Ordnung.
Viel Zeit für blumige Worte blieb ohnehin nicht. Gegen 12:45 Uhr war das Team im Lidl, um einen Mittagssnack zu erwerben. In meiner „Lidl Plus“-App gab es einen 5€-Coupon ab 30€ Einkaufswert. Leider schafften wir es nur auf 15€. Nächstes Mal laden wir das gegnerische Team auf Lidl ein, da wird Sabine nichts dagegen haben.

Ach ja, während des Schreibens habe ich mich daran erinnert, dass Lidl im Jahr 2008 wegen „Stasi-Methoden“ gegenüber den Mitarbeitern am öffentlichen Pranger stand. Hat wahrscheinlich auch schon jeder vergessen. Den Reichen und Mächtigen lassen wir am Ende eh alles durchgehen.

Mit fair gehandelten Bananen (der Plantagenmitarbeiter in Kolumbien kann sich jetzt sicher einen Schnürsenkel mehr leisten) im Magen ging es an die Bretter. Samstags stand die Pflichtaufgabe gegen Schmiden/Cannstatt an. Zu 50% war das auch ein besonderes Wiedersehen, denn Thilo Kabisch, letztes Jahr noch für uns spielend, musste sich mit Fabian Bänziger messen. Die anderen 50% hingen kopfüber herum, denn Tobias Schmidt war noch in Australien. Wenn du das liest: bleib dort, hier ist eh alles scheiße! Wegen Habeck! Also wenn man der Bild-Zeitung glaubt.
Bis auf Simon und Niko Pogan waren wir überall klar favorisiert. Jedoch merkte man davon erstmal nichts. Bei Noah an Brett 3 dümpelte das Spiel nach frühem Damentausch im Taimanov-Sizilianer nur vor sich hin. Dann schien Martin Krockenberger eine Zugwiederholung zu finden. Leicht gequält schaute Noah mich an und willigte ins Remis ein. Kein guter Start. Aber man darf die alte Schmidener Garde nicht unterschätzen. Es ist nicht so lange her, dass Krockenberger in der Oberliga starke 6,5/7 erspielte…

Das bekamen auch Philipp Wenninger und Simon zu spüren. Philipp wurde fast von Steffen Eisele überspielt. Der ging wiederum mehrmals zu Simons Gegner, den Schmidener Kapitän Markus Löhr, um die Erlaubnis zum Remisschluss einzuholen. Löhr knickte ein, was wahrscheinlich gut für Philipp war, denn sein König erhielt schiefe Blicke von der weißen Dame und ihren Pferden. Hü-hott!
Möglicherweise wollte mein Schmidener Pendant einfach nur in Ruhe nachdenken und erlaubte daher das Remis. Denn unser Simon hatte praktisch einen Bauern mehr, weil Schwarz mit einem Doppelbauern auf der f-Linie zu kämpfen hatte. Als es wirklich ein Mehrbauer wurde, dachte ich, Simon würde gewinnen – aber leider sorgte eine schwarzfeldrige Blockade dafür, dass er nicht weiterkam. Auch hier Remis.
Lustigerweise blieben das die einzigen Punktverluste, was ich gar nicht dachte. Denn überall sonst waren die Stellungen bestenfalls unklar. Niko, so dachte ich, stand einfach schlecht. Aber wenigstens solide. Typische Niko-Stellung halt. So gingen die Stunden ins Land. Und irgendwie, ja irgendwie, setzte sich überall die Elo durch. Ok, Niko hatte streng genommen sogar weniger Elo als Christian Thoma, aber ich lasse es durchgehen, weil Nikos höchstes Rating sicher höher war.

Am Ende ein 6,5-1,5 gegen Schmiden/Cannstatt, welches in der Höhe etwas schmeichelhaft war, jedoch behielten wir die beiden Mannschaftspunkte völlig zurecht.

Das Hotel Bundschu verfügt über ein eigenes, exzellentes Restaurant. Dort stärkten wir uns bei Vorspeise, Hauptgang und Dessert an einem gemeinsamen Tisch mit den Gastgebern von den SF Anderssen (das sagen die immer irgendwie dazu) Bad Mergentheim. Es war ein langer, schöner Abend mit zahlreichen Genussmomenten.

Das war meine Vorspeise. Ein Caesar-Salat OHNE SPECK. Ja, ich musste es dazu sagen. Ich dachte, man tut Hähnchenbrust in einen Caesar-Salat und nicht Speck. Okay. Es hat ja sehr gut geschmeckt, daher möchte ich mich nicht beschweren.

Zum Beschweren, weil sehr belastend, war die Nacht von Samstag auf Sonntag. Ich hatte Donnerstag auf Freitag (ca. 3 Stunden) kaum geschlafen. Freitag auf Samstag war es ein wenig besser, aber ich wachte dennoch wegen meiner verstopften Nase schon um 6 Uhr morgens auf und konnte nicht wieder richtig schlafen. Aber Samstag auf Sonntag…uff. Während mein Zimmerkollege sich um 22:30 Uhr ins Bett legte und binnen 10 Sekunden (WER SCHLÄFT DENN IN ZEHN SEKUNDEN EIN???) einschlief, dauerte es bei mir fast eine Stunde. Gut „unterstützt“ von meinem Kollegen, denn just ab dem Moment des Einschlafens baute er aus dem Nichts ein Sägewerk auf. Ich habe selten bei einem jungen, gesunden Mann ein solches Schnarchen miterlebt. Und das Beste: um 3 Uhr wachte ich wieder auf, weil meine Nase total verstopft war. Ich habe noch nie so viel Schmodder aus meiner Nase gespült wie in den letzten Tagen. Natürlich schnarchte mein Zimmerkollege weiterhin. Durchgehend von 3 bis 4 Uhr. Ich lag wieder eine Stunde sinnlos rum. Einer von uns stand um 8 Uhr auf, der andere um 9:30 und kam zu spät zum Spiel. Ratet mal, welcher von uns beiden…

Mein Schlaf wurde der Wichtigkeit dieses Spiels sicher nicht gerecht. Schönaich lag einen Punkt hinter uns, hatte aber ein Spiel weniger auf dem Konto. Nicht zu verlieren, war das Mindestziel. Ein Sieg Gold wert, zumal unsere anderen Konkurrenten schwierige Aufgaben zu lösen hatten. Eppingen musste gegen Baden-Baden unbedingt punkten. Walldorf gegen Hofheim, da mussten wir auf die Ex-Schönaicher hoffen. Und Walldorf hatte das Spiel gegen ihren Reisepartner (Viernheim) schon vorgezogen, die mussten unbedingt punkten. Schmiden war jetzt keine Gefahr mehr und Schott Mainz hatte nur ein Remis gegen Walldorf erkämpft.
Langer Rede kurzer Sinn: wenn wir gegen Schönaich gewinnen würden, wäre das ein richtiger „big point“. Das würde Platz 5 mit sieben Punkten bedeuten und kein Team hätte uns aus eigener Kraft einholen können. Zur Erinnerung: Platz 5 ist der sichere Klassenerhalt, Platz 6 geht in die Relegation mit den Oberliga-Meistern.

Und es war haarscharf, von 10 bis 16 Uhr. Erst nach sechs Stunden stand der Sieger fest. Die ersten Entscheidungen waren friedlicher Natur. Sowohl Philipp Wenninger als auch Niko konnten mit Weiß nicht genug rausholen. Ein wenig schade, denn die Elo-Unterschiede waren an den Brettern nicht so groß. Aber gut. Dafür setzten Fabian und Noah an den verbleibenden Weißbrettern ihre Gegner unter Druck. Fabian spielte eine typische katalanische Druckstellung aus, während Noah beide Türme über die dritte Reihe zum Königsflügel brachte. Allgemein schien es der Tag der weißen Steine zu sein. Oleg Korneev brachte mich in eine strategisch bedenkliche Stellung mit isoliertem Doppelbauern auf der f-Linie, Simon geriet in einem Anti-Sizilianer unter Druck und Philipp Huber hatte mit typisch königsindischem Raumnachteil zu kämpfen. Nur Theo schien stabil zu bleiben, denn er neutralisierte das Damengambit von Marius Deuer souverän.

Nach über vier Stunden Spielzeit und mit einer mächtigen Kombination aus Kaffee und Twix bewaffnet, sah ich die weitere Ergebnisse vor meinem Auge. Noah hatte irgendwie eine Figur gewonnen und Damen getauscht. Jedoch versuchten die schwarzen Türme des starken spanischen IM Diaz Camallonga, ein Dauerschach auf der Grundreihe zu erzwingen. Hmm. Theo neutralisierte die weißen Versuche erfolgreich. Vielleicht hätte er irgendwo eine Chance zum Angriff gehabt, aber ich hatte mir die Stellung dafür nicht genau genug angeschaut. Simon übersah einen taktischen Schlag und verlor den wichtigen Bauern g6 vor seinem König. Das würde eine Niederlage werden. Ich stand weiterhin wegen meiner Bauernstruktur schlecht, hatte aber zwei „Drohungen“. Einerseits beide Schwerfiguren auf die Grundreihe zu bringen, um Matt zu drohen, andererseits die Damen zu tauschen, um ein Endspiel mit Minusbauer auf Remis zu spielen.

Währenddessen verdünnte sich bei Fabian das Material. Am Ende waren je ein Turm, eine Leichtfigur und zwei Bauern am Königsflügel verblieben. Das war zu wenig. Aber auch Fabian sah es. Simon stand auf Verlust. Und Noah ließ Remis zu! Er fand nicht die schwierige Gewinnfortsetzung. Da Fabian auch meine Stellung sah, wusste er, dass er es bis zum letzten Bauern ausspielen musste. Undank ist der Welt Lohn.

Gegen 15:30 Uhr hatte Philipp Huber gewonnen. Der Kampf war wieder ausgeglichen. Da Fabian sicher nicht verlieren würde, hing es an mir. Am GOAT. Der Nummer 1 im Verein nach DWZ und Elo. Und da war er. Nach zäher Verteidigung war der Remiszug auf dem Brett sowie in meinem Kopf.


Noch 40 Sekunden. Die Hand war schon ausgestreckt. Ich wollte meinen Turm von c3 nach c6 zurückziehen. Das würde den Turmtausch forcieren. Danach musste es einfach Remis sein. Noch 20 Sekunden. Die Nase lief. Es war so einfach, oder? …Tc6, Txc6 Lxc6, g5 Ke6, Kg3 Kf5, dann stelle ich mich passiv mit meinem König hin und warte einfach ab. Niemals könnte man das gewinnen. Noch 10 Sekunden. Schnell Junge, mach einen Zug. Fass den Turm an. Nein, fass den Läufer an. Spiel Läufer nach c6. Was war das? Ich bin es, dein bester Freund. Das Sägewerk. Wenn du Läufer c6 spielst, wirst du die folgende Nacht gut schlafen können. 3 Sekunden. Läufer nach c6. 1-0.

Kurz nach 16 Uhr stand die Niederlage fest. Dieses Mal war ich nicht der GOAT, der Retter. Dieses Mal war ich der Loser des Tages. Passend dazu war noch mein Auto kaputt (AdBlue-Pumpe kaputt oder so), also musste ich die Bahn nach Hause nehmen. Danke an Marcel Bänziger, dass er Philipp Huber und mich zum Bahnhof fuhr. In der Diesellokomotive nach Lauda fühlte ich mich echt wie ein Loser. Im elektrisch angetriebenen RE8 auch. Aber da fühlte ich mich wenigstens zuhause. Schließlich nehme ich den Zug meistens, wenn ich zur PH nach Ludwigsburg fahre.

Für die Fans unter euch: wir brauchen wieder das Wunder. Wenn wir uns die Tabelle anschauen, sehen wir, dass Schmiden, Mainz und womöglich auch Walldorf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weg sind. Aber das würde Platz 7 für uns bedeuten. Das reichte letztes Jahr. Jetzt brauchen wir Platz 6. Wir müssen Eppingen hinter uns lassen. Da brauchen wir Schützenhilfe von Schönaich und Walldorf. Wir haben dafür mit Bad Mergentheim und Hofheim die beiden stärksten Teams noch vor uns.
Es erinnert wahrlich an letzte Saison. Damals hatten wir mit Baden-Baden II, Ötigheim und Bad Mergentheim sogar noch ein schwierigeres Restprogramm. Zudem brauchten wir Schützenhilfe, die wir unverhofft bekamen, als Speyer gegen Heidesheim, einen designierten Absteiger, Punkte liegen ließ. Wird es wieder passieren? Wird Schmiden/Cannstatt etwa zu unserer Rettung ein letztes Aufbäumen starten, um Eppingen zu ärgern? Kommt Tobias Schmidt rechtzeitig zurück?

History doesn’t repeat itself, but it often rhymes. Anscheinend hat Mark Twain diese geflügelten Worte geprägt. Es ist wirklich eine Mini-Hoffnung. Denn es sieht dieses Mal wirklich so aus, als würde unsere Reise in die 2. Bundesliga zu Ende gehen.


Kommentare

Sick and tired — Ein Kommentar

  1. Kopf hoch, kleines gallisches Dorf – ach nein, großer württembergischer Schachverein! Ich drücke Euch die Daumen für den Relegationsplatz und dafür, daß am Ende der Klassenerhalt gelingt, genau so wie in der letzten Saison.

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