Edit: das Analyse-Video zu meiner Samstags-Partie ist jetzt online: YouTube
Der Dezember ist da. Endlich wird es kalt, sogar der Schnee ist zurückgekehrt und das so schlimm, dass München quasi unerreichbar war. Total abgeschnitten vom Rest der Republik. Können wir das mit dem Rest von Bayern auch machen, und dazu noch permanent?
Während manche Personen den kurzfristigen, heftigen Schneefall als Widerlegung des menschengemachten Klimawandels deuten (den Unterschied zwischen „Wetter“, „Witterung“ und „Klima“ hab ich in der 5. Klasse gelernt), war der „menschengemachte“ Tapetenwechsel beim Heimspiel in der 2. Bundesliga Süd eine andere Angelegenheit. So durften wir nicht in die Aula der HS Heilbronn am Campus Sontheim, weil irgendeine Regierungsinstitution des Landes Baden-Württemberg die Halle kurzfristig buchte. Ich kann die Landesregierung nur dafür loben! Super gemacht! Das ist ein ernst gemeintes Lob, welches sicher nicht deswegen entstanden ist, weil die Landesregierung bald mein Arbeitgeber sein wird.
Jedenfalls erhielten wir von der HS Heilbronn ein Angebot, stattdessen im N-Gebäude auf dem Bildungscampus unterzukommen. Die Tische, welche mir noch vor einem Jahr Kopfzerbrechen am Spieltag bereiteten? Kein Problem. Der „Facility Manager“ (FM) am Bildungcampus würde dafür sorgen, dass ausreichend große Tische verfügbar waren. Und das war am 2. Dezember auch so. Danke an den FM! Und ebenso danke an all die titellosen Menschen, Ausnahme die Doktoren Geshnizjani und Wartlick (sogar Prof. Dr.), welche uns beim Auf- sowie Abbau tatkräftig unterstützten.
Stichwort „Kurzfristigkeit“: als ich nach dem traditionellen Döneressen, welche an das Jugendtraining anknüpft, um 22:30 Uhr den Vorabend des Bundesliga-Wochenendes entspannt genießen wollte, erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von einer unbekannten Nummer. „Hallo, hier ist Lasse Binder vom Schachklub Bietigheim…“ – da schrieb mir allen Ernstes einer der Bietigheimer Jugendlichen, dass ihr Spiellokal am 2. Dezember nicht zur Verfügung stehen würde. Und das am 1. Dezember um 22:30 Uhr! Was würdet ihr machen? Freilich antworten „dann verliert ihr morgen eben kampflos, wenn ihr kein Spiellokal habt“. Wahlweise noch beliebige Beleidigungen einfügen. Aber nein, so bin ich ja nicht. Mit der Macht von Ole Wartlick ausgestattet, ließ ich die Jugendlichen in einem Seminarraum im N-Gebäude spielen.
Kampflose Siege gab es trotzdem, denn Bietigheim war zum Auftakt der Verbandsjugendliga-Saison nur zu viert angetreten. Vielleicht wollt ihr es ja in der Kreisjugendliga versuchen, da sind es nur Vierer-Teams. Die frühe 2:0-Führung wurde durch Siege von Dennis Birke, Felix Hagenmeyer und Calvin Wolff mehr oder weniger souverän ausgebaut, sodass die Niederlage Colin Ensslingers in seinem Jugendliga-Debüt kaum ins Gewicht fiel. Damit steht die 1. Jugendmannschaft schon auf Platz 1 und bezüglich des Projekts „direkter Wiederaufstieg“ arbeiten wir daran, dass es bis zum Ende so bleibt.
Parallel dazu versammelte sich die Elite von Baden-Württembergs Norden im Foyer des N-Gebäudes. Drei Teams zeigten klar an, dass sie hier Punkte holen wollten. Bad Mergentheim, Walldorf und wir waren quasi in Bestbesetzung angetreten. Und Viernheim II…naja. Rainer Buhmann war nirgendwo zu sehen, Ilja Zaragatski spielte nicht, weil er als Kommentator für die 1. Bundesliga agierte. Immerhin gab es ein Wiedersehen mit Annmarie Mütsch, bei welcher Philipp Huber gar nicht glaubte, dass sie aus Heilbronn-Biberach stammen würde. So unterschiedlich verlaufen die Karrieren manchmal: Simon Degenhard blieb uns immer treu, während Annmarie, damals ein paar Straßen weiter wohnend, nach dem Verlassen der SF HN-Biberach ein paar andere Vereine besucht hat. Aber das Leben hat ja viel zu bieten, da wäre es ja langweilig, dauernd bei einem Verein zu bleiben.
Zumindest, wenn der Verein nicht Heilbronner SV heißt. Bei uns gibt es immer Spaß. Morgen (7. Dezember) wird es eine Trainingsstunde zu „listigen Läufern“ geben. Kommt vorbei! Süßigkeiten gibt es auch, wer keine Geschenke zum Nikolaus bekommen hat.
Geschenke waren auch beim Mannschaftskampf gegen Walldorf Fehlanzeige. Relativ früh einigten sich Niko Pogan und Oswald Gschnitzer auf ein Remis. Niko war nämlich noch zum Essen bei der Mutter seiner Freundin eingeladen. Auch Philipp Huber, Theo Stijve und Noah Fecker erzielten relativ ungefährdete Remis. Je weiter der Kampf voranschritt, desto mehr zeigten sich jedoch Tendenzen an zwei anderen Brettern. Simon Degenhard gewann mit druckvollem Spiel einen Bauern, während Philipp Wenninger einen Bauern aufgeben musste und versuchte, ein Endspiel mit Türmen und Läufern Remis zu halten. An Brett 1 hielt Fabian Bänziger gegen GM Gergely Aczel gut dagegen und hatte sogar Chancen, mit Schwarz einen Vorteil zu erzielen.
Nach der Zeitkontrolle festigten sich die Tendenzen zu Heilbronner Ungunsten. Während David Färber Philipp keine Chance ließ, hatte Fabian trotz besserer Leichtfigur auch keine Chance, ernsthaft auf Gewinn zu spielen. Zeitgleich schaffte es Horst Vonthron, gegen Simon eine festungsähnliche Stellung zu erreichen, indem er bei schwarzfeldrigen Läufern auf den weißen Feldern eine Blockade errichtete.
Welche Partie fehlt noch? Ah ja, richtig, meine! Um den ungefähren Verlauf wiederzugeben, beschreibe ich sie mal als Fußballspiel: die ersten paar Minuten war ich am Drücker, weil meine Taktik aufging und ich meinen Gegner IM Julius Muckle in seine Hälfte drängen konnte. Danach erzielte ich ein furchtbares Eigentor. Dem Rückstand rannte ich bis kurz vor dem Schlusspfiff hinterher, als ich den Ausgleich erzielen konnte. In der Verlängerung bewies ich, dass ich den längeren Atem hatte und erzwang den Siegtreffer.
Die ganze Partie werde ich in einem YouTube-Video (haltet die Ohren steif) zur Schau stellen, ich möchte hier auf die Schlüsselstellung im Endspiel hinweisen:
Weiß am Zug. Was ist der einzige Gewinnzug?
Dadurch sicherte ich das 4:4 gegen Walldorf. Beide Teams hatten Chancen und, ja. Nach Elo hätten wir wohl 3:5 oder 3,5:4,5 verlieren müssen, wobei das nur so knapp war, weil Philipp Hubers Gegner an Brett 8, Igor Schlegel, in den letzten drei Monaten irgendwie 80 Elo verloren hatte.
Den Abend ließen wir mit einem gemütlichen Mannschaftsessen in Heilbronns veganem Restaurant, dem VELO, ausklingen. Abgerundet wurde der Besuch durch unsere Empörung darüber, dass der Weihnachtsmarkt schon um 21 Uhr dicht war. Daher gab es zuhause Tee statt Glühwein in Eiseskälte.
Wegen der relativ schwachen Aufstellung Viernheims rechneten wir uns auch am Sonntag Chancen aus. Mental ging ich einen Schritt weiter: wir mussten hier schon einen Sieg holen, um mit einem Doppelsieg Anfang Februar mit wenig Druck Ende Februar nach Hofheim zu fahren. Obwohl ich diese Ansage nicht so direkt aussprach, verstanden mich meine Spieler scheinbar auch so. An Brett 1 konterte Fabian die deutsche Nationalspielerin Dinara Wagner so gekonnt aus, dass mit einem Mehrbauern nach zehn Zügen klar war: hier konnte nur Fabian gewinnen. Theo bliebt solide gegen GM Libiszewski, während Noah, Simon, die beiden Philipps und ich genau die Stellungen bekamen, welche wir wollten. Einzig Niko schien nicht perfekt vorbereitet zu sein, was aber kein Grund zur Sorge war. Die Stellung war völlig in Ordnung.
Nachdem lange Zeit nichts passiert war, überschlugen sich die Ereignisse vor der Zeitkontrolle. Dinara Wagner konnte den Schaden auf den Minusbauern begrenzen und wickelte in ein Turmendspiel ab, welches stark nach einem Remis aussah. Theo ließ nichts anbrennen und machte auch Remis. Ein Blick rüber von meinem Brett: Noahs Stellung sah schon sehr gewonnen aus. Und tatsächlich, da gab es einen forcierten Gewinn! Würde Noah ihn sehen? Abwarten. Bei mir selbst war wenig los. Den Eröffnungskampf gewann ich klar, aber im Mittelspiel schaffte ich es nicht, meinen symbolischen Vorteil in etwas Zählbares umzuwandeln. Remis. Genau dasselbe bei Philipp Wenninger.
Bei Simon, welcher, oh Ironie des Schicksals, es mit Annmarie Mütsch zu tun bekam, verstand ich wenig. Beide Könige blieben unrochiert, dafür schob Weiß die Bauern am Damenflügel vor und Schwarz am Königsflügel. Was sonst nur Anfänger machen, erwies sich in der Partie als effektives Mittel: Annmarie griff einfach den schwachen Punkt f7 an. Simon rettete sich mit taktischen Mitteln und seine Gegnerin fand mit wenig Zeit keinen der guten Züge. Leider war Simons Vorteil – zumindest dem Augenschein nach – nicht groß genug, um auf Gewinn zu spielen. Auch hier ein Remis.
Währenddessen auch bei Noah die Entscheidung. Er sah den forcierten Gewinn nicht, sondern wickelte in ein Dauerschach ab. Sehr schade. Dasselbe wie beim Kampf gegen Walldorf: sechs Remis. Dieses Mal mit deutlich mehr Geschenken von unserer Seite an die Gegner. Würde uns das noch einholen?
Am letzten Brett war die Situation beim Stand von 3:3 schon klar. Philipp Huber hatte mit seinem Markenzeichen, dem Qualitätsopfer, den GM Zigurds Lanka, lange Zeit Simons Trainer, gnadenlos überspielt. Philipp Gerdovich Petrosian oder wie? Egal, wie er nun wirklich heißt, er besorgte uns die Führung in überzeugender Manier. Gegen zwei verbundene Freibauern im Zentrum in Kombination mit einem Königsangriff war kein Kraut gewachsen.
Damit blieb nur noch Niko. Erinnerungen wurden wach an den Kampf gegen Heidesheim, bei welchem Niko eine hoffnungslose Stellung noch stundenlang verteidigte. Nach fast sieben Stunden Spielzeit sicherte er damals mit seinem Remis den Mannschaftssieg und damit legte er den Grundstein für den späteren Klassenerhalt. Aber die Magie war verflogen. Da flogen keine Damen übers Brett in Zeitnot, sondern Niko musste nur eine Ruine im Endspiel verwalten. Sein Gegner verfügte nicht nur über einen entfernten Freibauern, sondern auch über einen Mattangriff im Turm-Springer-Endspiel. Nur wenige Minuten nach Philipp Hubers Sieg gab Niko sich geschlagen. Auch gegen Viernheim nur ein 4:4.
Für mich zählt, was auf dem Brett passiert. Wahrscheinlichkeitsrechnungen interessieren mich im Schachspiel nur, wenn es um die Berechnung meiner neuen Elo-Zahl geht. Alles andere regeln Menschen auf dem Brett. Und von dieser Perspektive aus war das 4:4 nicht genug. Dann müssen wir die forcierten Gewinnstellungen jedoch nutzen. Die nächste Chance dazu bekommen wir am 3./4. Februar 2024, wenn wir in Bad Mergentheim gegen Schmiden/Cannstatt und Schönaich antreten müssen.
Beenden möchte ich diesen Bericht mit folgender Stellung aus der letzten laufenden Partie des sonntägigen Wettkampfs Walldorf vs. Bad Mergentheim:
IM Muckle vs. IM Razafindratsima. Der junge Franzose konnte sich wenige Züge zuvor eine zweite Dame sichern. Muss Weiß (am Zug) jetzt aufgeben?
Patt oder Dauerschach, der wK ist ja schon patt. Also muss man nur noch die überschüssige bzw. überflüssige wD loswerden, ohne das Patt aufzuheben.