Auge in Auge mit der Weltspitze

Welcher Sportler träumt nicht davon, sich einmal mit der absoluten Weltspitze zu messen? Einige günstige Umstände erlaubten es uns, diesen Traum letztes Wochenende wahr werden zu lassen, als Teilnehmer der ersten offiziellen Mannschafts-Schnellschach-Weltmeisterschaft!

Der erste positive Umstand war natürlich, dass es sich um ein offenes Turnier handelte, wir uns also „nur“ rechtzeitig anmelden mussten, um uns einen der limitierten Startplätze zu sichern. Zum Glück haben wir mit Enis einen jederzeit gut informierten Spielleiter, der davon früh genug Wind bekam und es auch schaffte, ein Team zusammenzutrommeln, das die etwas ungewöhnlichen Anforderungen erfüllte. In jeder Runde musste nämlich mindestens eine Schachspielerin und ein sog. „recreational player“ antreten, also jemand, der oder die noch nie eine Elo von 2000 erreicht hat.

Auch der Spielort kam uns sehr entgegen, da eine Weltmeisterschaft ja prinzipiell überall stattfinden kann. Aber der Hauptsponsor kam aus Düsseldorf, sodass sich unser Reiseaufwand (im wahrsten Sinne des Wortes) in Grenzen hielt und der Teilnahme somit nichts mehr im Weg stand.

Flaggen vor dem Spiellokal – hier sind wir richtig!

Nach der Anreise am Vortag fand am Samstagvormittag das „Technical Meeting“ statt, in dem alle Mannschaftsführer auf die geltenden Regeln hingewiesen wurden. Als Amateure sind wir den vollen Umfang der FIDE-Turnierregeln natürlich nicht gewohnt (getrennte Eingänge für Spieler und Zuschauer; Mannschaftsführer dürfen im Prinzip gar nichts außer die Mannschaft nominieren; auf keinen Fall hinter das gegnerische Team stellen; wessen Partie vorbei ist, ist Zuschauer und muss den Spielsaal verlassen;…), aber mein Gesamteindruck des Meetings war trotzdem, dass auch auf bei der FIDE nur mit Wasser gekocht wird.

Kurz darauf wurde auch schon gepaart und wir sind tatsächlich auf dem richtigen Setzlistenplatz gelandet, um in der 1. Runde ganz oben gegen das Team „Freedom“ spielen zu dürfen – angeführt von niemand anderem als der lebenden Legende und ehemaligem Weltmeister Vishy Anand! Gibt es eigentlich einen Spieler, der die Weltmeisterschaft bereits in allen möglichen Formaten (Zweikampf, KO-Turnier und Rundenturnier) gewonnen hat? Nur vor Enis schien er offenbar Angst zu haben und setzte daher aus. Immerhin war es Enis, Philipp und mir vergönnt, gegen die absoluten Weltklassespieler Daniil Dubow, Santosh Vidit und Richard Rapport zu spielen – ein unglaubliches und wirklich surreales Gefühl, wenn man die Augen vom Brett anhebt und sieht, gegen wen man da eigentlich spielt! Im offiziellen Live-Stream waren wir ab Minute 14 auch relativ lange zu sehen und die Kommentatoren Yasser Seirawan, Almira Scripcenco und Maurice Ashley würdigten unsere Partien sogar mit ein paar Sätzen. Das einzige, was wir nicht schafften, war den Stars etwas Zählbares abzunehmen, aber das wäre wirklich eine Sensation gewesen.

Eine ungewohnte Perspektive auf das eingespielte Kommentatorentrio

In der zweiten Runde saß uns mit „MagdeBurg and Friends“ eines der vielen anderen Amateurteams gegenüber, gegen die wir das Hochgefühl und die Motivation aus der ersten Runde mitnehmen konnten. Enis und Tobi nutzten die gegnerischen Bauernschwächen gekonnt aus, während die Daniels und Silvia schöne Königsangriffe starteten. Und irgendwann hatte ich mein Endspiel mit Dame gegen Turm und viel Mühe auch gewonnen…

Nach Tobis elegantem Schlusszug 41. Lc3! ist der Bauer nicht mehr aufzuhalten.

Mit exakt 50% ging es dann gegen die „Chess Wizzards“, ein ukrainisches Team, das komplett aus Kindern und Jugendlichen bestand (Jahrgänge 2009 bis 2014!). An den hinteren Brettern hatten die Daniels und Silvia die ukrainischen Nachwuchszauberer auch weitestgehend im Griff, aber vorne lief es nicht so gut: Tobi übersah früh ein Springeropfer, nach dem es direkt aus war und Philipp wollte in symmetrischer Stellung zu viel und landete in einem schlechteren Turmendspiel, das sein Gegner routiniert verwertete. Der tragische Held war aber Enis, der den gegnerischen „Senior“ (ein 14-jähriger FM!) am Königsflügel überspielte, einen wichtigen Bauern gewann und auch das Gegenspiel lange korrekt parierte. Die Stellung wurde aber immer komplizierter und leider machte Enis den letzten Fehler. Wer Zeit und Lust hat, kann sich ja mal in der Partie austoben – ohne Engine, versteht sich 😉

Zum Abschluss des ersten Tages wartete mit den „ChessBrah OFM“ des kanadischen GM Eric Hansen die nächste GM-Truppe auf uns. Gegen Jorden van Foreest, Ivan Šarić und Aryan Tari kamen Philipp, Tobi und ich nie in die Partie, dafür hielten Enis gegen Jules Moussard und Daniel gegen Sara Khadem lange Stand, bis sich am Ende dann doch die gegnerische Spielstärke durchsetzte. Wenigstens behielt Silvia in scharfer Stellung mit heterogenen Rochaden einen kühlen Kopf und bewahrte uns mit ihrem Sieg vor der Höchststrafe.

Am zweiten Tag hatten wir dann fast nur deutsch-deutsche Duelle, zunächst gegen den favorisierten Aachener SV. Daniel Diller und Silvia fanden nie in die Partie, aber bei Philipp und mir sah es zwischendurch zumindest optisch nicht so schlecht aus (auch wenn nirgends Vorteil in Sicht war). Letztlich zeigten die IMs uns aber, warum sie IMs sind und es stand 0:4. Daniel Schäfer überspielte seinen Gegner und sah wie der sichere Sieger aus, bis ihm ein einzügiger Aussetzer seinen ganzen Vorteil kostete. Obwohl er es noch 20 Züge lang probierte, war die Partie nicht mehr zu gewinnen. Einen vollen Ehrenpunkt holte Enis, der seine Stellung gegen IM Christian Seel so lange zäh verteidigte, bis jenem ein entscheidender Fehler unterlief. Enis ließ ein paar Scheinopfer vom Stapel, gewann eine Figur und schob das Endspiel dann souverän heim.

Gegen Neustadt/Weinstraße war es dann umgekehrt und wir wurden unserer Favoritenrolle gerecht: Enis fand zwar gegen einen FM kein Durchkommen und remisierte, aber Tobi und die Daniels übernahmen gleich von Beginn an die Initiative und ließen ihren Gegner/innen keine Chance. Philipp brach nach scheinbar ruhigem Aufbau überraschend im Zentrum durch und Silvia gewann schön im Königsangriff:

Rückblickend sollte dann die 7. Runde gegen „Wensing & Pöbel“ die Weichen stellen, in welche Richtung es weiterging. Deren Teamname klingt fast wie eine Anwaltskanzlei, aber statt mit mittelalten Anzugträgern hatten wir es aber mit etwa 20-jährigen zu tun. Leider starteten wir schlecht in die Begegnung, als ich in der Eröffnung zwei Varianten verwechselte und am Königsflügel zerlegt wurde. Silvia überstand die erste Druckphase und wich dann einer Stellungswiederholung aus, aber in der Folge erlangte ihre Gegnerin dann leider doch ein erdrückendes Übergewicht. Auch Daniels Stellung verschlechterte sich im späten Mittelspiel langsam, aber sicher, sodass wir definitiv nicht mehr gewinnen würden. Die Aufholjagd begann dann mit Tobi, der zwar schlecht aus der Eröffnung kam und bald einen Bauern verlor. Aber nach dem Damentausch hatte er genug Kompensation und das leichtere Spiel:

Als Philipp den ersten Namensgeber (Seniorpartner?) über die Zeit hob und Enis in ein Endspiel mit Mehrqualität abwickelte, schöpften wir wieder Hoffnung, dass es wenigstens für ein 3:3 reichen würde. Enis versuchte noch lange, seine Mehrqualität (für die der Gegner zwar zwei Bauern, aber auch viele Bauernschwächen hatte) zu verwerten, kam gegen die gegnerische Verteidigung aber nicht durch, sodass wir uns knapp mit 2,5:3,5 geschlagen geben mussten.

Knappe Niederlagen tun immer weh, aber eine Runde stand an dem Tag noch an und immerhin war diese wieder international. Unter dem Namen „PhileKhoob Chess Club“ verbarg sich ein Amateurteam aus Iran, die allerdings nicht vollständig anreisen konnten (für Iraner ist es gar nicht so leicht, ein Visum für Deutschland zu bekommen) und daher von lokalen Spieler/innen vervollständigt wurden. Tobis Gegner war einer davon und brachte merkwürdige Springermanöver, an deren Ende die beiden am Damenflügel geparkt waren. Tobi riss dann konsequent das Zentrum auf, gewann ein paar Bauern und schließlich Qualität und Partie. Ich ließ meine Springer ebenfalls von der Leine, allerdings dirigierte ich sie eher Richtung Zentrum und Königsflügel. Obwohl ich zwischendurch ein paar schnellere Gewinnwege ausließ, brachte mir das Galoppieren schließlich eine Mehrfigur und den vollen Punkt ein. Auch Daniel Schäfer stand ganz gut, drang aber zu früh mit seinem Turm in die gegnerische Stellung ein, was seinem Gegner taktische Möglichkeiten gab und zu Materialverlust führte. Silvia bediente sich nach solider Eröffnung an zwei geopferten Bauern und hielt das gegnerische Spiel im Zaum, bis sie sich am Ende doch noch einen taktischen Aussetzer leistete. Aber obwohl Philipp aussetzte, war sein Einfluss spürbar und so überschritt Silvias Gegner in Gewinnstellung die Zeit. Daniel Diller lieferte sich ein spannendes Duell im Doppelturmendspiel, das er und sein 12-jähriger Gegner fast bis zu den blanken Königen ausspielten (unter anderem deshalb, weil letzterer aufgrund der Sprachbarriere Daniels Remisangebot nicht verstand). Am effektvollsten war aber Enis‘ Glanzpartie am Spitzenbrett:

Unsere Lieblingsfigur ist ganz klar der Turm

Mit diesem Sieg schöpften wir nochmal Kraft und Motivation für den letzten Tag, an dem es zunächst gegen die niederländische „Blerickse Schaakvereniging“ ging. Philipp, Silvia und Daniel Diller gewannen souverän und stellten die Weichen damit schon auf Sieg. Elegant war dabei das Ende von Daniels Partie:

Tobias stand mit Schwarz immer unter Druck, konnte die gegnerischen Drohungen aber stets abwehren und hielt remis, sodass uns die zwei Mannschaftspunkte sicher waren. Daniel Schäfer gewann früh Bauern, strauchelte dann aber bei der Verwertung und verlor eine Qualität. Das Endspiel war danach remis, aber sein Gegner griff nochmal fehl und Daniel gewann. Einen Fehlgriff leistet sich leider auch Enis, der lange ausgeglichen stand, aber in der letzten Abwicklung irgendwas übersah und in einem verlorenen Damenendspiel landete.

Die kleine Siegesserie spülte uns im Turnier wieder etwas nach oben, sodass wir in der 10. Runde gegen den Düsseldorfer SK antreten durften, die immerhin zur Hälfte mit GMs besetzt waren. Jene spielten dann leider gegen Enis, Philipp und Tobi trotz teilweise langer Verteidigun ihre Klasse aus. Auch Daniel geriet gegen IM Anna Zatonskih früh in die Defensive und irgendwann brach sie durch. Diese vier Nullen waren insofern noch „logisch“, aber in den beiden übrigen Partien waren definitiv Brettpunkte drin: Silvia stand klar besser, wollte ihren Vorteil aber zu früh taktisch umwandeln wollte und leider hatte ihre Kombination ein Loch. Und ich hatte nach verpatzter Eröffnung ein Geschenk erhalten, aber schaffte es trotzdem, meine Gewinnstellung noch zu verlieren:

Um uns von so einer unnötigen 0:6-Niederlage zu erholen, wurden wir natürlich promt gegen talentierte unterbewertete Jugendliche gepaart (Vorsicht Ironie), nämlich die 1. Mannschaft der Deutschen Schachjugend. Im Duell „Alt gegen Jung“ konnten wir den jugendlichen Ansturm in Summe zumindest zum Stillstand bringen: Daniel Schäfer wurde ein vorgerückter Bauern seiner Gegnerin zum Verhängnis, aber Daniel Diller und ich hielten dem gegnerischen Druck relativ lange stand, bevor uns doch die entscheidenden Fehler passierten. Dafür zerlegte Silvia ihren Gegner gnadenlos und Philipp machte ordentlich Druck am Königsflügel, eroberte Bauern und verwertete diese dann im Damenendspiel. Enis musste ein paar bange Momente überstehen, rettete sich aber in ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern und zeigte, dass es in diesen Endspielen nicht auf Mehrbauern ankommt:

Während die DSJ-Mannschaft zum Schluss gegen das Team „Kompetenzakademie Allstars“ mit Caruana und Aronian an den Spitzenbrettern gepaart wurde, wurden wir heruntergepaart und bekamen (bis auf eine Ausnahme) gleich die nächsten talentierten unterbewerteten Jugendlichen vorgesetzt. Die „Mitropa Chess Association“ schickte ein junges deutsch-italienisches Team ins Turnier, das theoretisch von GM Henrik Teske am Spitzenbrett angeführt wurde, der jedoch keine Partie gespielt hatte. Ausgerechnet gegen uns spielte er dann doch und ließ Enis keine Chance. Auch Daniel Schäfer wurde ähnlich solide überspielt; dafür revanchierten sich Daniel Diller und Silvia mit souveränen Siegen. Die Entscheidung fiel dann bei Tobi und mir und leider in die falsche Richtung: Tobi verlor früh Material und bei mir machten sich wieder taktische Schwächen bemerkbar, die mich in strategisch vorteilhafter Stellung eine Figur und damit die Partie kostete (umso ärgerlicher, weil ich exakt dieses Motiv ein paar Züge vorher noch sah, dann aber vergessen hatte).

Durch die Niederlage am Ende wurden wir dann leider noch auf Platz 31 durchgereicht, da ist das Schweizer System einfach gnadenlos. Aber obwohl die Platzierung natürlich schade ist, überwiegt im Rückblick die einmalige Erfahrung, die durch eine nette Abschlusszeremonie, viele Autogramme von Superstars (wir mussten wirklich aufpassen, wo wir hinlaufen, um nicht versehentlich eine lebende Legende anzurempeln) und einem kleinen Sektempfang in der VIP-Lounge (am Ende durften auch die Normalsterblichen rein, wohl weil sich die echten VIPs dann in einer weiteren Lounge aufhielten…) abgerundet wurde.

Was für ein Erlebnis!

Stell dir vor, es ist WM – und wir sind dabei!


Kommentare

Auge in Auge mit der Weltspitze — Ein Kommentar

  1. An Enis‘ Partie gegen den 14-jährigen Senior hab ich mich mal versucht: 25.Lxf7+ sticht ins Auge und gewinnt meines Errachtens direkt. 31.Td1 sieht wieder sehr stark aus: Dann sind alle weißen Figuren im Spiel, während der sSb4 im Abseits vergammelt, Schwarz kann keine überzeugenden Drohungen gegen den wK aufstellen, während der sK komplett nackt bleibt, Weiß hat einen Mehrbauer und der Läufer ist in der weit offenen Stellung mit verteilten Schauplätzen besser als ein Springer.
    Vielleicht gibt es zwischendrin noch mehr Gewinnwege, aber für mich reichen zwei.
    Den offiziellen Livestream wollte ich mir anschauen, habe aber nach ungefähr zwanzig Minuten abgebrochen, weil die Kommentatoren viel zu greußlich waren: Der Aufmerksamkeitshyperaktivitätsdefizitäre Marktschreier behauptete zwar ständig es gäbe Unmengen hochinteressanter Partien, schafte es aber nicht, auch nur eine richtig zu zeigen (und las „ri“ als „n“); der alternde Großmeister hielt einen Nimzowitschinder für ein abgelehntes Damengambit und wunderte sich, dass der weiße Damenläufer hinter der Bauernkette stand (zu seiner Entschuldigung sei erwähnt, dass er in seiner aktiven Zeit als Weißer Damen- statt Nimzoindisch gewählt hat.) und die Stichwortgeberin war komplett unnütz. Wenigstens die Kamerafahrt über Heilbronner auf großer Bühne war schön.
    Im Vergleich dazu lob ich mir die fundierten Berichte in Schriftform doch umso mehr.

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