International ausgeschrieben, regional dominiert

Mein Name ist Enis Zuferi und heute, am 4. August 2023, ernenne ich mich selbst zum Internationalen FIDE-Meister des Schachspiels. Ich bin zwar noch kein IM, aber ich bin viel zu stark für einen FM. Deswegen führe ich den Titel „Internationaler FM“ ein. Sollte ich auf ein Turnier gehen, bestehe ich auf dem Kürzel „IFM“ vor meinem Namen.

Wie? Ihr erkennt meine eigenständig proklamierte Autorität nicht an? Das ist irgendwie schade. Aber eure Gefühle kann ich nachvollziehen. Denn die „Internationalen Unterländer Schachtage“ vom 27. bis zum 30. Juli 2023 waren sehr viel. Sie waren gut organisiert, spaßig und gut bewirtet. Sie fanden an einem geeigneten Ort statt. Viele Leute, die im Schachbezirk Unterland Rang und Namen haben, fanden sich in Heilbronn-Biberach ein, um in drei Opens um allerlei Preise zu spielen. Wahrhaftig „Unterländer Schachtage“. Jedoch nahm ich nichts „Internationales“ wahr. Ein einziger IM fand sich am Turniertag ein. Okay, es gab vereinzelte Spieler aus dem Ausland, beispielsweise aus Österreich oder aus Ungarn. Einen Vergleich mit anderen Turnieren, welche „international“ im Namen tragen, wie die OIBM am Tegernsee oder die Stuttgarter Stadtmeisterschaft, erspare ich mir hier.

Falls die Organisatoren des Turniers das hier lesen und sich gekränkt fühlen…das war nicht meine Intention. Ich denke nur, wenn man dem Namen gerecht werden will, könnte man diesbezüglich Ressourcen investieren und würde das Turnier sicher auf das nächste Level hieven.

Nun, da ich meine moralischen Bedenken beim Verfassen des ersten Absatzes befriedigt habe, kann ich über meine Gegner herziehen das Turnier berichten. Da ich einen Katzensprung (Auto: 10 Minuten, Bus: 30 Minuten…) vom Turnierort entfernt lebe, entschied ich mich erst am Vorabend um 22 Uhr, mitzuspielen. Damals war ich noch an 1 gesetzt, mit 80 Elo Vorsprung, was mich ins Grübeln brachte. Gegen welche Gegner konnte ich durch geschickte Remisangebote meine Elo am Besten verkaufen, um mir den Turniersieg zu sichern? Am Donnerstag kurz vor 17 Uhr stellte ich mich mental darauf ein, an 1 zu spielen und legte meine Tasche schon am Spitzenbrett ab. Noch einmal die Teilnehmerliste abchecken…was macht denn dieser 2500er da?

Der eingangs erwähnte IM war niemand Geringeres als Ruben Gideon Köllner, welcher erst in München und auch in Dortmund mit back-to-back Performances von 2600 glänzen konnte. Ein unheimlich starker Spieler, welcher nicht so sehr über seine Eröffnungen kommt wie seine Peers. Mit Weiß spielt er Trompowksy/London/Colle-System, mit Schwarz auf 1.e4 häufig Philidor und auf 1.d4 das klassische Damengambit. Und dann wird einfach Schach gespielt. Das würde Robin sicher bemerkenswert finden.
Also gut. Wehmütig räumte ich meine Sachen von Brett 1 weg und fand mich an Brett 2 wieder. Dahinter war alles wie erwartet. Direkt auf meinen Fersen war Simon, welcher auf ein unheimlich starkes erstes Halbjahr zurückblicken konnte. Irgendwo weiter hinten war der Vorjahressieger von den SF Schwaigern, Tobias Hermann, zu finden. Mit Jannis Hagenmeyer (A-Open) und Ole Wartlick sowie Thomas Leykauf (B-Open) stellte der Heilbronner SV immerhin ein Quintett in der Böllingertalhalle.

Anfangs war viel „business as usual“. Auch wenn Köllner große Schwierigkeiten hatte, sich gegen Reinhold Gabel (SV Bad Rappenau) durchzusetzen und erst spätabends im Turmendspiel gewann, hatte er wie Simon und ich 2/2. Jannis verlor erwartungsgemäß die ersten beiden Runden, wobei es eher so war, dass er sich selbst besiegte. Wie üblich für Schachspieler wähnte sich Jannis gegen Tobias Hermann in Sicherheit, nachdem er gewissenhaft verteidigte hatte. Aber gerade dieses Gefühl der Sicherheit bewegte Jannis dazu, noch einmal einen Fehler zu begehen und dieser letzte Fehler war dann der entscheidende.

Sie hatten sich aber trotzdem lieb und Tobias ließ Jannis bei den Großen schnuppern

In Runde 3 verlor zumindest ich leicht den Anschluss, da ich gegen Oliver Zeyer nicht über ein Remis hinauskam, was einem Fingerfehler geschuldet war.


Zeyer – Zuferi, nach 19.Kh2 von Weiß. Schwarz hat ein großes Problem. Der Läufer auf c4 hängt, darf aber nicht auf e2 schlagen, weil sonst die Dame auf b6 hängt. In dieser Stellung einigten wir uns auf Remis. Aber Schwarz kann tatsächlich noch auf Gewinn spielen…wie? Achtung, sehr schwierig. Auflösung ganz unten im Bericht.

Jannis gewann mal eine Runde gegen einen ähnlich starken Gegner, auch wenn er sich dafür lange im Endspiel quälen musste. Insgesamt ein gutes Signal für ihn, das er – Achtung, Spoiler – in sieben Runden von keinem Gegner total überspielt wurde. Wenn er verlor, dann weil ihn seine Ausdauer im Endspiel im Stich ließ.

Damit brach der dritte Turniertag an. Es ging um das sprichwörtliche vegane Wurstersatzprodukt auf Soja- und Erbsenproteinbasis. Und die Paarungen hatten es in sich. An Brett 1 durfte sich Tobias Hermann mit Ruben Köllner messen. Und an Brett 2?

Schafft der alte Sack es noch einmal oder übernimmt die Jugend?

Das war natürlich ein brisantes Duell. Meine anfängliche Kalkulation, gegen gewisse Gegner Remis zu schieben, wurde natürlich durch das Remis gegen Zeyer torpediert. Also musste ich die Gelegenheit ergreifen, gegen Simon mit Weiß auf Gewinn zu spielen. Dies gelang mir auch ziemlich gut, da Simon von meiner Eröffnungswahl überrascht wurde. Ein bis zwei Ungenauigkeiten später war seine Stellung eher perspektivlos, sodass der Kollaps nicht mehr weit entfernt war. In meinem Kopf machte es dann „Klick“. Da Köllner gegen Tobias ebenso schnell gewann, sah ich mich am Nachmittag des 29. Juli schon an Brett 1 sitzen. Mit Schwarz gegen das Londoner System bei einem halben Punkt Rückstand. Zugegebenermaßen hatte ich mir das anders vorgestellt. Trotzdem fand ich wenige interessante Ideen und war um 15:30 Uhr bereit, mich ab 16:00 Uhr mit Köllner zu messen. Kurz vor der Abfahrt noch einmal die Auslosung überprüft…

?????

Okay? Ich war fest davon überzeugt, dass ich als Höchstplatzierter in der Setzliste gegen Köllner spielen durfte. Das vermieste mir gleich meine süßen (oder eher SIUUßen) Erinnerungen an das gemeinsame Pfannkuchen-Essen mit Jannis bei mir zuhause. Zeit für eine weitere Vorbereitung gab es nicht, weil die Auslosung aufgrund einer sehr lange andauernden Partie erst um halb vier veröffentlicht wurde. Äußerst traurig. Aber naja. Dass ich auch „Freestyle“ spielen kann, sollte euch bekannt sein. Also spielte ich irgendetwas in die Richtung Königsindisch, wobei der weiße d-Bauer auf d3 statt auf d5 stand. Noah Geltz konnte nicht der Versuchung widerstehen, einen Bauern zu gewinnen, auf Kosten seines schwarzfeldrigen Läufers. Mein Läufer auf g7 übte danach eine Schreckensherrschaft auf der langen Diagonale aus, welche langfristig die Partie entschied. Die Endstellung fand ich noch ganz hübsch.


Gegen …a5-a4 nebst …b4-b3 ist wirklich kein Kraut gewachsen.

Jannis verlor, wieder in einem Endspiel, wieder unnötig (in der post-mortem Analyse fanden wir gefühlt 20 Remiswege und sogar einen Gewinnweg für ihn), aber er nahm es nicht so schwer. Simon kam gegen Christof Köllner, Vater von Ruben, nicht über ein Remis hinaus. Damit war der Weg frei für ein turnierentscheidendes Duell zwischen mir und Ruben Köllner.
Er überraschte mich ein wenig mit seiner konkreten Zugreihenfolge, sodass ich für meine Verhältnisse früh lange nachdenken musste. Als die Zeit um Zug 20 herum knapper wurde, verfiel ich in einen leichten Panikmodus, infolge dessen ich meine Königsstellung unnötig schwächte. Jedoch fand ich noch eine versteckte taktische Ressource. Diese wurde tatsächlich von meinem Gegner übersehen, sodass ich noch mit einem Remis davonkam. Damit war mein Turnier auch mehr oder weniger beendet. Gegen FM Pascal Neukirchner (SK Gründau) bereitete ich mich so vor, dass er Remis annehmen würde. Tatsächlich bot er nach acht Zügen selbst Remis an, was ich dankend annahm, da mir dies den 2. Platz sichern würde. Erster hätte ich nur werden können, wenn Köllner nicht gegen Jens Hoffmann (SF HN-Biberach) gewonnen hätte – und an so einen großen Coup glaubte nicht einmal sein Vereinskollege Oliver Z…

Jannis ließ noch einmal das B-Open aufblitzen und spielte eine eher schlechte Partie gegen einen anderen Jugendspieler. Jedoch setzte er irgendwann voll auf Psychologie und schüchterte seinen Gegner durch seine Körperhaltung und seine Art und Weise, Züge auszuführen, scheinbar so stark ein, dass dieser plötzlich mehrere Patzer hintereinander fabrizierte. Manchmal muss man auch so gewinnen. In der letzten Runde lehnte er mutig ein Remisangebot von Henri Johannes Blaschke (1935 DWZ) ab, musste sich dann aber doch der Punkteteilung fügen, als ihm die Kontrolle über die Stellung entglitt. Mit 3/7 und +11 DWZ kann Jannis durchaus zufrieden sein. Vor allem, weil er seine Entwicklung in der Saison 2022/23 (PLUS 372 DWZ!) mit dem Sprung auf punktgenau 1800 DWZ gekonnt vollendet hat. Ich bin, no joke, sehr stolz auf den Jungen.

Jannis strotzt nur so vor Motivation

Stolz bin ich auch auf Simon, welcher sich von 0,5/2 am dritten Turniertag nicht beeindrucken ließ und beide Partien am letzten Tag gewann. Zuerst fraß er gegen Michelle Trunz, eine talentierte 15-jährige Spielerin aus NRW, mit seiner Dame ein paar Bauern am Damenflügel. Irgendwann wäre das laut Engine in die Hose gegangen, aber das war schwierig zu sehen und ohnehin nur eine einmalige Gelegenheit für seine Gegnerin. Abrunden konnte Simon sein Turnier mit einem Start-Ziel-Sieg gegen Tobias Hermann, welcher irgendwann in strategisch bedenklicher Stellung alles opferte und sich davon etwas erhoffte. Simon jedoch, vom Geist unserers Oberliga-Meisterschaft-Shirts besessen, rechnete sehr präzise und erstickte alle Hoffnungen von Tobias im Keim.


Hier versuchte Tobias, Turm und Figur weniger, noch den Trick …f4-f3, aber nach Sxd6! ließ er sich nur noch mattsetzen, da die Mattdrohung auf h2 abgewehrt wurde. Immerhin war Sd6-f7 matt ein schönes Ende der Partie. Damit landete Simon auf einem wohlverdienten 3. Platz.

Im Vergleich zum Foto mit Jannis ist Tobias das Lachen irgendwie vergangen…

Finde jemanden, der dich so ansieht, so wie Simon mich!

Alle Sieger des A-Opens

Von links nach rechts: Jens Hoffmann (SF HN-Biberach, 6.), Christof Köllner (SF Deizisau, 5.), Pascal Neukirchner (SK Gründau, 4.), Simon (3.), ich (2.), Ruben Gideon Köllner (SF Deizisau, 1.).
Ole landete im B-Open mit 4/7 Punkten auf Rang 23, Thomas belegte mit 3 Punkten Rang 53.
Alle Ergebnisse gibt es unter folgendem Link: Klick mich 🙂

Hier noch die Auflösung der Aufgabe oben, Zeyer – Zuferi. Leider entging mir beim Vorausberechnen ein wichtiges Detail.

Nachtrag 6. August:
Noch ein paar Bilder, welche mir dankenswerterweise von Daniele Piemonte (SF HN-Biberach) zur Verfügung gestellt wurden.


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