Ein Tropfen auf den heißen Stein

Und da Steine dank der Sonneneinstrahlung im Moment sehr heiß sind, ist dieser Tropfen auch schnell verdampft.

Die Hitze drückte auf meine Stimmung. Zumindest bildete ich mir das ein. Ich war mir nicht sicher. Martin Krockenberger holte mich aus den Tagträumen heraus. Wenigstens konnte ich mir sicher sein, dass er es war, welcher die Uhr drückte. Aha. Er spielte 18. Dd2. Das musste der Verlustzug sein, zumindest im höheren Sinne. Da war ich mir sicher. Zu 100%.

Die Sache mit der „Sicherheit“ ist, zumindest in meinen Augen, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Anschnallen beim Autofahren? Ja, bitte tu es! Aber selbst dann, so leid es mir tut, bist du nicht absolut sicher vor Verletzungen. Im Alltag im Strahlenschutzanzug rumlaufen, weil sich Radon in der Luft befindet? Bitte tu es nicht.

Gedanklich müssen wir jetzt einen Tag zurückspulen, wenn wir meine Partie gegen Krockenberger im SVW-Mannschaftspokal als Referenz nehmen. Am Samstag, dem 17.06.2023, war ich nicht als Spieler im Einsatz, sondern als Trainer, Betreuer und Motivator. Die letzte Runde in der Jugendbundesliga Süd stand an. Sehr unglücklich mit vier Niederlagen gestartet, gelang gegen den SK Bebenhausen (3,5:2,5) und die OSG Baden-Baden (3:3) ein Mini-Comeback. Damit hatten es die Jungs und Mädchen wenigstens in der eigenen Hand, die Klasse zu halten. In der Saison 2021/22 war das nicht so knapp. Aber das lag auch daran, dass wir zwei kampflose Siege hatten. Der Start war mit 0/3 ähnlich schlecht, wobei die Kämpfe damals nicht einmal knapp waren.
In dieser Saison war das anders. Zwar war der Start 0/4, aber die Duelle waren knapp. Mit einem Quäntchen Glück oder etwas mehr Konzentration hätten das mindestens vier Unentscheiden sein können. Dann würde ich hier nicht vom Duell gegen den Abstieg berichten, sondern vom Duell um die Qualifikation zur DVM U20.

Aber so war es nun einmal. Die Ausgangslage für das Spiel gegen Ostfildern war relativ angenehm. Mit einem 3:3 wären wir quasi sicher gewesen – der Konkurrent im Fernduell, SC Brombach, hätte schon 6:0 gegen HN-Biberach gewinnen müssen – mit einem Sieg zu 100% sicher. Wow, da ist sie ja, die absolute Sicherheit. Zum Greifen nahe! Aber ich konnte sie nicht ergreifen. Ich bin zu alt, um Jugendliga zu spielen.

Für den SVW-Pokal bin ich nicht zu alt. 20…Ld8 warauf dem Brett. Ein weißer Springer auf b3 war von meinem Bauern auf a4 angegriffen. Krockenberger musste seinen Springer schamvoll nach a1 ziehen, dank meines Läuferrückzugs. In einem Najdorf-Sizilianer noch stolz auf d4 gestartet, hüpfte das Pferd in die stille Ecke. Erst acht Züge später konnte es das Eckfeld verlassen…
Flashback Dezember 2008. Zum ersten Mal überhaupt spielte ich bei der DVM mit. Altersklasse U14. Damals war ich nicht zu alt. Erste Runde als Außenseiter gegen TuS Makkabi Berlin. Buchmacher wären sich wohl sicher gewesen: Berlin wird 4:0 siegen. Aber nein. Es wurde ein 2:2. Im Mittelpunkt: meine erste Partie mit der Najdorf-Variante. Fernab jeglicher auswendig gelernter Theorie.

Mehr Improvisation ging nicht. Und trotzdem halte ich die Partie für ziemlich gut. Oder damit jeder es versteht: laut Lichess 90% Genauigkeit. Als hätte ich die Najdorf-Variante schon 15 Jahre im Repertoire. Nun, das ist jetzt der Fall. Der arme Krockenberger.

Und die armen Gegner aus Ostfildern. Zumindest wenn es nach „meinen“ Jungs ging. „Die machen wir so platt morgen“. Aha. Overconfidence is a flimsy shield, my friends. Dass es übersteigertes Selbstvertrauen war, welche vielleicht Schwäche kaschieren sollte, bemerkte ich auch aufgrund anderer Aspekte. Nach 30 Minuten wurde ich von einem Spieler gefragt, ob er die Partie aufgeben darf. Wenigstens habe ich nun gelernt, dass man das auch als Mannschaftsführer nicht empfehlen darf. Es sind nur Empfehlungen bezüglich Remisangeboten erlaubt. Und ich habe gemerkt, wie willensstark ich sein kann. Denn der betroffene Spieler sah, ja schon starrte mich minutenlang an. Ich blieb hart und löste ein paar Taktikaufgaben in einem Buch, um mir die Zeit zu vertreiben. Das würde mir sicher helfen, IM zu werden.
Was war mit dem Spieler, welcher die Gegner gedanklich bereits überrollt hatte? Er war sich unsicher. Er griff nach den Figuren und ließ wieder ab. Mit 10 Minuten auf der Uhr im 30. Zug ließ er die Zeit bis auf 2:30 runterlaufen. Gab es lange Varianten zu berechnen? Nein. Er musste sich zwischen zwei Zügen entscheiden, wobei einer dieser zwei Züge ein Matt in drei gegen sich zur Folge gehabt hätte. Und ich fragte mich, wieso er die Zeit verbrauchte. Diese Frage bleibt bis heute unbeantwortet. Wie die Partie ausging, könnt ihr euch denken. Nur einen Zug nach der langen Denkphase stellte der Spieler einen Bauern ein.

So wie Krockenberger. Seine Kompensation, ein Freibauer auf d6, wurde eingekreist und verspeist. Als „Ausgleich“ bekam er meinen Bauern auf a4. Aber das war mir egal. Da war ja noch der Springer auf a1. Sicher würde er bald aufgeben.

„Sicher würde er bald aufgeben“. Dieser Gedanke kam mir bereits während des Wettkampfes in der Jugendbundesliga. Und jedes Mal, als er einen unserer Spieler betraf, bewahrheitete sich meine Befürchtung. Jedes Mal, als er einen der gegnerischen Spieler betraf, windete er sich irgendwie wieder raus. Wie verhext. Als wäre Sauron noch ein Mal auferstanden, weil irgendein gieriges Mega-Unternehmen die Rechte an „Herr der Ringe“ gekauft hätte und noch eine Trilogie veröffentlichen wollte. Die Toten sollten ruhen. Aber ich freue mich schon darauf, wenn Imperator Palpatine in Star Wars XII sein 239175. Comeback gibt.

Und so fielen die Dominos. 0:1. 1:1. 1:2. 1:3. Zwei gute Stellungen waren noch übrig. Aber kein sicherer Vorteil mehr. Einer, den man sich erarbeiten musste. Noch mehr Flashbacks zur DVM 2008. Wie ich stundenlang da saß, um selbst Stellungen auszuspielen, welche trockener als die Sahara schienen. Obwohl das Team bereits 0,5:2,5 zurücklag und mein Sieg nichts geändert hätte. Aber ich wollte kämpfen. Das war schon immer so. Ich wollte nie etwas abtauschen, außer es brachte mir etwas. So wie gegen Krockenberger. Die Türme flogen raus. Dame + zwei Läufer + Mehrbauer gegen Dame + Läufer + Springer. Der Springer a1 halt. Er hatte eine grandiose Karriere vor sich. Am Ende landete er auf h3. Und mein Mehrbauer auf c2, wo er sicher zur Dame werden würde. Krockenberger gab auf.

Davor aber gab die Jugendbundesliga auf. Zwei Turmendspiele mit gleich vielen Bauern an einem Flügel. Trockener als die Sahara. 1,5:3,5. 2:4. Ende.

Wortwörtlich das Ende. Im Jahr 2006 als „BW-Jugendliga“ gegründet, waren wir fast der einzige Gründungsverein, welcher übriggeblieben war. Eppingen, Neumühl, Urach, Bad Mergentheim, Tamm, Wolfbusch, sie alle waren verschwunden. Bebenhausen, immer noch dabei, oder besser gesagt „wieder dabei“, weil sie seit 2006 hin und wieder abgestiegen sind. Und die ganzen anderen Vereine, welche immer wieder hinzukamen, jedoch teilweise schnell wieder verschwanden. Zu viele, um sie hier alle zu nennen.
Und wir. Da waren wir. Nächste Saison sind wir nicht mehr da. Der Letzte macht das Licht aus. In diesem Fall war das ich.

Da war das klare 4:0 über Schmiden/Cannstatt kein Trost. Ja, das war der Grund, wieso meine Stimmung bedrückt war. Mit dem 7. Platz waren wir offiziell aus der Jugendbundesliga Süd abgestiegen. Für mich ein sehr trauriger Tag. Neben dem IM-Titel wünsche ich mir nichts mehr, dass mich eines von diesen Kindern irgendwann überholt. Darin investiere ich wahrscheinlich mehr Energie und Zeit als in das Erreichen meiner persönlichen Ziele. Denn nach mir muss es auch weitergehen. Nun, ich bin mir absolut bewusst, dass andere Leute unseren Abstieg gut finden und sich vielleicht daran ergötzen und ich weiß auch, dass ich für solche Meinungen nicht unbedingt in fremde Vereine gucken muss. Aber für mich ist es schlimm. Ein Verein, welcher in der 2. Bundesliga Süd spielt und sich „Gute Jugendarbeit“ auf die Fahne schreibt, sollte zumindest die Klasse in der Jugendbundesliga halten.
Vor allem, weil diese Verbandsjugendliga sicher nicht der geeignete Ort ist, um die zukünftigen Bundesliga- und Oberliga-Spieler:innen des Heilbronner SV auszubilden.


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