Eine doppelte Premiere findet an diesem Wochenende in Düsseldorf statt: Seit dem gestrigen Samstag läuft die erste FIDE-Schnellschach-WM für Teams und wir, die „Heilbronn Hustlers“, sind mit dabei!
Natürlich ist es für uns die erste Teilnahme bei einer Weltmeisterschaft und ja, zugegeben, es ist ein offenes Turnier, sodass neben uns und der versammelten Weltelite im Grunde wirklich jeder mitspielen kann, der irgendwie in der Lage ist, die Figuren zu bewegen (okay, und eine FIDE-ID hat…). Und dennoch sind wir – wohl aufgrund des exorbitanten Startgeldes von 1000€ – eines der wenigen vereinsbasierten Teams. Andere Teams kommen eher als verkappte Nationalmannschaften daher, oder eben als Star-Ensembles, so zum Beispiel das Team Freedom mit niemand geringerem als dem Tiger von Madras, Vishy Anand, an Brett 1.
Gut, natürlich muss man konstant vorne mitspielen, wenn man in den Genuss kommen will, es mit einem solchen Top-Team aufzunehmen. Da hat man mit Setzlistenplatz 19 bei insgesamt 36 Teams eher geringe Chanc… Moment, Platz 19? Gelobet sei das Schweizer System! Setzlistenplatz 19 ist bei 36 Teams nämlich der erste „Ungesetzte“ und so hieß es in Runde 1 tatsächlich:
Team Freedom (2522) vs Heilbronn Hustlers (2137)
Leider, leider ließen unsere Kontrahenten ihren Tiger noch nicht „free“ und so bekam es unser Kapitän Enis an Brett 1 mit dem russischen Super-GM Danil Dubov zu tun. Ich weiß nicht was ich beeindruckender finden soll, sein Rapid-Rating von 2723 Elo-Punkten oder die Tatsache, dass er einer jener 44 Unterzeichner war, die sich im Frühjahr 2022 in einem offenen Brief gegen den Angriff auf die Ukraine ausgesprochen hatten.
Ich wäre wahrscheinlich vor Respekt geplatzt, aber nicht so Enis, der lange Zeit gut mithielt und sich sogar zwischenzeitlich mit einem Materialvorteil Dame gegen Turm + Springer brüsten konnte. Jedoch verfügte sein Kontrahent über fiese Mattdrohungen und zeigte sich mit einer Ausnahme stets auf der Höhe des Geschehens. Schade trotzdem, denn mit dem rechtzeitigen Zentralisieren seiner Dame hätte sich Enis den halben Punkt wohl sichern können.
Philipp Wenninger spielte gegen den indischen GM Vidit ebenfalls gut mit, doch leider war auf diesem Level der eine Mehr- (bzw. Weniger-) Bauer schon einer zuviel. Möglicherweise hätte Philipp mit einer Doppelturmblockade auf der b-Linie versuchen können, den halben Punkt abzuklemmen, aber dann hätte sein Gegenüber wahrscheinlich solange manövriert, bis Philipp aus Hunger aufgegeben hätte.
Und auch Ramin stand an Brett 3 gegen Super-GM Richard Rapport mit Weiß nach der Eröffnung in einem ausgeglichenen taktischen Spannungsverhältnis. Doch auch hier folgten zwei-drei Ungenauigkeiten, gefolgt von einem Einsteller, der die Partie sofort beendete. Schade, aber des Kompliments von Kommentator Yasser Seirawan ob seiner Eröffnungsbehandlung durfte er sich sicher sein. Die Aufzeichnung findet ihr durch einen Klick auf diesen YouTube-Link. Auch Enis‘ und Philipps Partie werden kurz behandelt (ab Minute 20, aber schaut am Besten schon ab Minute 14 rein, unser Team ist fast vollständig im Video zu sehen).
An Brett 4 mit Daniel Diller dann einer von zwei Nicht-Heilbronnern im Team, der es mit GM Evgeniy Najer zu tun bekam. Hier verstand es der Großmeister, Daniels Bauernstruktur am Damenflügel zu schwächen und nachdem Daniel einen Zwischenzug übersehen hatte und eine Figur verlor, ging auch dieser Punkt an das Team Freedom.
An Brett 5 hatte Daniel Schäfer gegen Richard Rapports Frau Jovana im 18. Zug die Möglichkeit, seinen Turm auf a1 gegen den gegnerischen Fianchetto-Läufer auf g7 zu geben und seine Gegnerin fortan mit mächtig Kompensation in Form eines Mehrbauerns und des Läuferpaars zu bespielen. Leider wurde auch diese Chance verpasst und die Großmeisterin stellte ihrerseits mit dem hübschen …Dh8! eine undeckbare Mattdrohung auf.
Wie das gegnerische Team haben auch wir eine Frau in unseren Reihen, namentlich Silvia Spiegelberg an Brett 6. Und wie auch die Frau im gegnerischen Team gegen unseren „Amateur“ Daniel spielte (ein Spieler mit Elo <2000 ist bei diesem Turnier wie der Einsatz einer Spielerin in jedem Match Pflicht), spielte Silvia gegen den „Amateur“ im gegnerischen Team, Alexander Shapiro. Leider fand sie mit den schwarzen Steinen nie wirklich ins Spiel und musste schließlich ihren Felderschwächen am Königsflügel Tribut zollen.
Ein glattes 0-6 also zum Auftakt, aber die Stimmung war gut, denn immerhin hatten wir über weite Strecken ganz gut mitgehalten. Und da war ja noch die Geheimwaffe Tobias Peng, die zur zweiten Runde anreisen würde.
Da gab es dann auch ein prompt ein überzeugendes 6-0 gegen das Team MadgeBurg and Friends, sodass die Schlappe schon nach der zweiten Runde wieder ausgebügelt war. Gegen die ukrainisch besetzten Chess Wizzards folgte ein ernüchterndes 3-3 wobei wir an den ersten drei Brettern verloren und die hinteren drei gewannen.
Dann in Runde 4 nicht etwa ein Aufbaugegner, sondern der nächste dicke Brocken: das Team Chessbrah OFM mit vier Großmeistern. Aber gut, das war ja eigentlich auch das, was wir wollten: Spaß haben und ein paar größere Skalps ergattern. Mit 5-1 wurden wir in unsere Schranken verwiesen, lediglich Silvia konnte nach einer wilden Partie einen Sieg erringen.
Der zweite Tag startete genauso enttäuschend, wie der erste aufgehört hatte, mit einem 1,5-4,5 gegen den Aachener SV. Daniel konnte eine überlegene Stellung samt Mehrmaterial nicht in einen vollen Punkt ummünzen, und auch bei den anderen lief gegen ihre (zugegebenermaßen starken) Gegner nicht viel zusammen. Enis sorgte immerhin für ein kleines Comeback, nachdem er aus schlechter Stellung heraus noch den Turnaround gegen IM Christian Seel schaffte und diesem den vollen Punkt abnahm.
In Runde 6 dann endlich der erhoffte Befreiungsschlag gegen das Team aus Neustadt/Weinstraße, der durch die knappe 2,5-3,5-Niederlage gegen ein Team namens Wensing & Pöbel wieder zunichte gemacht wurde (wobei „Wensing“ von Philipp Wenninger immerhin bezwungen werden konnte, der „Pöbel“ jedoch triumphierte, als Enis beim Stande von 2 zu 3 trotz langem Lavieren im Turmendspiel nicht über einen halben Punkt hinauskam).
Um mit einem guten Gefühl in den dritten Tag zu gehen, musste also in Runde 8 nochmal ein Sieg her, was mit einem 4,5-1,5 über die deutsch-iranisch zusammengewürfelte Truppe von PhileKhoob Chess Club eindrücklich gelang. Wir stehen damit mit 7 von 16 möglichen Mannschafts- sowie 24 von 48 möglichen Brettpunkten auf einem zwischenzeitlichen 23. Platz, von dem es ja nun wirklich nur nochmal bergauf gehen kann!
Also, morgen ab 13.30 Uhr die „Pflichtaufgabe“ gegen die Blerickse Schaakvereniging lösen (Klick auf den Link führt zum Kommentatoren-Stream und den Live-Brettern, ggfs. ganz unten Runde 9 auswählen) und dann nochmal ein paar Großmeister ärgern. Und vielleicht werden wir am Ende dann doch nochmal hochgelost gegen die Teams von So, Caruana, Svidler, Short oder Aronian, sodass uns diese Ehre auch noch zuteil wird.