Das Thema dieser Serie ist die „Taktik des Alltags“, also taktische Situationen, mit denen wir Normalsterbliche in unseren Partien konfrontiert sind. Wer genügend Partien gespielt hat, weiß, dass brillante Opferangriffe leider die Ausnahme bilden; entscheidend ist viel häufiger, die kleinen Chancen, die sich links und rechts am Wegesrand auftun, zu erkennen und zu nutzen.
Alle Beispiele kommen aus dem „wahren Leben“, entstammen also meinen eigenen oder Heilbronner Partien. Manchmal kam die Kombination oder taktische Möglichkeit aufs Brett, manchmal wurde sie jedoch auch übersehen. Die Spanne reicht vom simplen kurzzügigen Bauerngewinn bis zu komplexeren Kombinationen, bei denen klassische Motive eventuell in versteckter oder „verfälschter“ Form auftreten können. Hin und wieder ist auch mal eine „Perle“ dabei, entweder in Form einer Kombination „für die Galerie“ oder als gehaltvolle Stellung mit vielen interessanten Motiven und Möglichkeiten, die naturgemäß zum großen Teil unter der Oberfläche bleiben und erst in der Analyse auftauchen.
Handgemenge (Fortsetzung)
Wir knüpfen direkt an letzte Woche an und stellen die Frage, ob sich Weiß auf c6 bedienen kann? Auf den ersten Blick sehen Bauerngewinn nebst Gabel verlockend aus, aber in dieser Stellung benötigt man mindestens einen zweiten und dritten Blick!
Nach 24.Lxc6 hat Schwarz mit Lf4, Lc5 und Lg3 mindestens 3 potentiell unangenehme Entgegnungen. Selbst wenn nur eine davon wirklich durchschlägt, ist das schlimm genug für mich, um auf den Bauernraub zu verzichten. Stattdessen empfehle ich, mit T2e2 gleichzeitig zu zentralisieren und das Motiv Db1+ aus der Stellung zu nehmen. Als nächstes überführe ich den Randspringer ins Zentrum und dann schau ich mir die beiden dauerhaft schwachen Bauern a7 und c6 nochmal an.
Es könnte folgen:
1. Lxc6 Txe3 2.Dxe3 Lxg3 3.Le4 Lf5 4.Dxg3 Lxe4 5.Dxg6 fxg6
Das Material ist ausgeglichen; weiß hat eine Mehrheit am Damenflügel;
der schwarze Läufer kann aber gleichzeitig auf beiden Flügeln wirken.
Bei diesem schwierigen Endspiel ist es meines Erachtens für weiß nicht ratsam,
sich vorher in so taktische Verwicklungen zu begeben.