Star Walkin‘

Wieso sollte ich Legenden verehren, wenn ich mich ihnen anschließen kann?

Letztes Jahr erreichten wir im brandenburgischen Wittenberge bei der Deutschen Blitz-Mannschaftsmeisterschaft (DBMM) den 12. Platz unter 24 teilnehmenden Mannschaften. Dieses Ergebnis wollten wir mit leicht verändertem Team definitiv verbessern – vor allem, weil wir mit unserer Spielweise teilweise total unzufrieden waren. So starteten Simon Degenhard und ich jeweils mit 0,5/4 und jeder Spieler verlor Elo, teilweise sehr viel.

Mit leicht verändertem Team (Philipp Huber statt Philipp Wenninger und Steffen Mages statt Tobias Peng, wodurch ich an Brett 1 rückte) ging es ins beschauliche Dinslaken. Die Stadt selbst ist wohl kaum bekannt für irgendetwas und wenn doch, bitte ich um Verzeihung für meine mangelnde Kultur. Das nahe gelegene „Highlight“ ist der berühmt-berüchtigte Duisburger Stadtteil Marxloh, welcher nur wenige Autominuten entfernt von Dinslaken liegt. Laut Inhaber des „Lessing Grills“ stimmen die Gerüchte und TV-Reportagen über Marxloh nicht nur zu 100%, es sei sogar schlimmer – was für ein Spaß. Falls ihr irgendwann mal in Dinslaken seid, empfehle ich den Grill durchaus wegen der schmackhaften Speisen.

„Schmackhaft“ schien auch das Turnier zu werden, denn es fand nicht nur in der zentral gelegenen Kathrin-Türks-Halle statt – Stadtpark und Penny waren direkt daneben und sie befand sich knapp 10 Gehminuten vom Bahnhof entfernt – interessanter waren die gemeldeten Teams. Die DBMM 2022 schien nur ein Durchhänger gewesen zu sein, denn es waren Bundesligisten wie SG Solingen und SC Remagen-Sinzig dabei, wobei sich an Brett 1 bei Solingen niemand Geringeres als GM Loek van Wely die Blöße gab.
Jüngere Generationen wissen wahrscheinlich nicht so viel mit dem Namen anzufangen, was ich verstehen kann. Van Wely gehört nicht mehr zur absoluten Weltspitze und schon gar nicht zur Generation Schachspieler, welche eher mit Streaming als mit Turniersiegen auf sich aufmerksam machen. Wobei, Profi-Streamer GM Hikaru Nakamura hat vor Kurzem das Norway Chess-Turnier gewonnen, also kann der schon noch spielen…

Es war klar, dass bei den ganzen GM-gespickten Teams – selbst Vorjahressieger Düsseldorf rüstete auf – eine gute Platzierung sehr schwierig zu erreichen sein würde. Bei 26 Mannschaften peilten wir ungefähr die Top 10 an. Und mein persönliches Ziel war es, wenigstens gegen Van Wely spielen zu dürfen – ein Restrisiko blieb noch, weil Solingen mit einem Ersatzspieler vor Ort war.

Ruhe vor dem Sturm

Unsere Mannschaft anders, ein anderer Ort, andere Gegner – und doch drohte derselbe schlechte Start. Zwar waren die Gegner mit GM Vojtech Plat (Remagen-Sinzig) und GM Michael Bezold (FC Bayern) ziemlich stark, aber dennoch wurden Erinnerungen an das Vorjahr wach. Oh-oh. Auch Simon und Steffen Mages litten am Anfang, nur Philipp Huber schien in Form zu sein. In den Runden 3 und 5 befreiten wir uns aus der Misere mit zwei 4:0-Siegen, wobei ich euch eine meiner Kurzpartien nicht vorenthalten will:

Nach diesem Sieg aus Runde 5 waren alle Zweifel bei mir beseitigt und ich drehte auf – zwischenzeitlich stand ich bei 6 Punkten aus 9 Runden. Wenn ich mir das Ganze noch schön reden will, dann waren es nach meinem 0/2-Start sogar 6/7. Durchaus beeindruckend. Dafür waren die Runden 10-13 wieder schlecht, bei Philipp Huber wurde es sogar ein „Audi“, sodass wir froh waren, die Mittagspause im unteren Mittelfeld zu erleben.

Die Currywurst in der Halle, wenngleich sie lecker war, schrie „Haramstufe Rot“. Wie eingangs erwähnt, rettete uns der Penny vor dem sicheren Hungertod. Mit Fertig-Wraps aus dem Kühlschrank und einem Nuss-Nougat-Croissant intus ging es wieder ans Brett.

Leichter wurde es nicht, denn wir hatten zwar Remagen und Werder Bremen hinter uns gelassen (sprich: sie hatten uns überrollt), aber es warteten noch Teams wie Solingen, Düsseldorf und St. Pauli auf uns. Zu allem Überfluss ging es in den letzten drei Runden gegen Baden-Baden, Schönaich und Stuttgart, also alle baden-württembergischen Vertreter. Zwar lief es vor allem bei den Württembergern nicht, aber wir wollten diese direkten Duelle sicher nicht verlieren. Also war es wichtig, die Moral oben zu halten. Und wie wir das schafften. In den Runden 14-20 gewannen wir fünf Begegnungen, verloren unerwartet gegen SK 1980 Gernsheim und nahmen SK Doppelbauer Turm Kiel ein 2:2 ab, wobei selbst Philipp Huber nicht mehr an einen Punktgewinn glaubte, nachdem wir schnell 0:2 hinten lagen. Für mich gab es in Runde 18 ein persönliches Highlight, weil ich FM (bald IM) Marius Fromm besiegen konnte und die Partie mehr oder weniger wie aus einem Guss war.

Für das Team folgte in Runde 19 ein Highlight, denn trotz meines Totalausfalls an Brett 1 spielten die anderen unbeirrt weiter und holten ein 3:1 gegen FC St. Pauli. Die Stimmung hätte vor den letzten fünf Runden nicht besser sein können und das war wichtig. Solingen, Düsseldorf und eben Baden-Baden, Schönaich sowie Stuttgart würden die Gegner sein.

Da wir unser Punktesoll mehr oder weniger erfüllt hatten, wollten wir einfach nur Spaß haben. Gegen Solingen war ich so fokussiert wie noch nie, denn mir saß tatsächlich Van Wely gegenüber. Dahinter waren sie auch nicht viel schlechter. IM Alexander Krastev, GM Alexander Naumann und IM Markus Schäfer. Brutal. Aber ich schaute nicht rüber. Ich spielte die intensivste Blitzpartie meines Lebens. Mit Weiß holte ich nichts aus der Eröffnung raus – nicht verwunderlich. Also musste ich eine leicht schlechtere Isolani-Stellung verteidigen. Daher kann ich die Partie leider nicht mit euch teilen. Im Mittelteil wurde so viel manövriert, dass wir wahrscheinlich 60 Züge insgesamt gespielt haben, ohne ins Endspiel zu gehen. Jedoch hielt ich mit. Alle Drohungen wurden abgewehrt, alle Ideen meines Gegners habe ich erkannt. Die Zeit wurde knapp und er ließ meine Dame auf seine Grundreihe. Man merkte Van Wely an, dass es ihm unangenehm wurde. Er hatte keinen perfekten Score, aber gegen so einen Amateur wie mich verlieren? Das geht doch nicht! Aber es half nicht. Dame, Läufer und Springer jagten seinen König bis nach h6. Ein Abzugsschach des Springers mit Damengewinn markierte das Ende. So wie ich den Springer auf das Feld d3 geknallt hatte, haben es wohl auch die arabischen Gangs in Marxloh gehört. Ein Blick meines Gegners – und dann Ruhe. Er reichte mir die Hand. Zuferi 1-0 Van Wely.

Kurz rübergeschaut und was für ein Anblick sich mir da bot. Philipp hatte ebenfalls gewonnen! Simon kämpfte hart. Er stand auch auf Gewinn, denn er hatte GM Naumann sehenswert überspielt. Leider sind diese GMs so zäh wie Menschenfleisch. Also nicht dass ich Menschenfleisch probiert hätte, aber ich stelle es mir unheimlich zäh vor. Ich habe keinerlei Straftaten begangen (füge hier Engel-Emoji ein).

Druckt es aus, laminiert es, rahmt es euch ein…

Schlussendlich spielten wir „nur“ 2:2 gegen Solingen. Wir hätten auch gewinnen können. So war es nicht. Dass uns vier Profis aus der 1. Bundesliga gegenüber saßen, war auf den Brettern nicht spürbar. Man merkte es nur, weil mich irgendein Solinger Verantwortlicher von der Seite anschnauzte: „fahr mal deine Emotionen runter“. Bitch. Ich bin halt nicht alt und verbittert wie du, dass ich mir jedes Glücksgefühl kaufen muss. Ich kann mir diese Glücksgefühle selbst erarbeiten.

Wir setzten noch einen drauf mit einem 2:2 gegen Düsseldorf. Quasi derselbe Verlauf wie gegen Solingen und dieselben Ergebnisse. Philipp und ich gewannen. Damit endete das Turnier trotz der Durststrecke in der Mitte noch versöhnlich für Philipp. Auch Simon konnte trotz dieser beiden Nuller zufrieden sein, denn abgesehen davon verlor er in der zweiten Turnierhälfte nur in Runde 14. Steffen gewann einige „big points“ an Brett 4 und darf sich wie Simon und ich über ein Elo-Plus freuen.
Die restlichen drei Begegnungen liefen sehr locker ab. Für mich schon zu locker. Gegen Niklas Schmider musste ich mit 128 Bauern weniger ein Remis forcieren, Timur Kocharin (Schönaich) besiegte ich durch einen taktischen Trick und gegen Mark Kvetny (Stuttgart) dominierte ich zwar die Partie, aber die Spannung fehlte leider. Ich brachte den Vorteil nicht nach Hause und wurde ausgekontert. Meine Ergebnisse reflektierten die Leistung des Teams in den letzten Runden. 2:2 gegen Baden-Baden, 3:1 gegen Schönaich und 1,5:2,5 gegen Stuttgart.

Ein wenig schmerzt diese Letztrundenniederlage, denn dadurch verloren wir den 10. Platz. Aber ok, 11. Platz von 26 Teams war definitiv eine klare Verbesserung – und noch viel schöner war, dass jeder irgendwie zufrieden war. Dadurch wurde auch die Rückfahrt spätabends nicht zum Problem. Für mich das i-Tüpfelchen war der Sieg von Manchester City in der Champions League, welchen ich halbwegs live mitverfolgen konnte (danke 100 GB Datenvolumen pro Monat).

Eine detaillierte Tabelle findet ihr unter folgendem Link: https://chess-results.com/tnr778252.aspx?lan=0&art=1
Wir haben die anderen baden-würrtembergischen Teams aus jeden Fall klar hinter uns gelassen.

So sehen fast-Top10-Platzierte aus!


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