Die Apostaten

Unsere erste Saison in der zweiten Bundesliga Süd neigt sich mit schnellen Schritten dem Ende zu.

Aber halt! So schnell würde es noch nicht gehen. Am Donnerstag, dem 23. Februar 2023, fand die Jahreshauptversammlung statt, welche ohne größere Vorkommnisse beendet werden konnte. Es wurden zahlreiche Leute für ihre Treue zum Heilbronner Schachverein geehrt, darunter Dr. Wilfried Fischer und Erich Schwenzer für jeweils 60 Jahre Mitgliedschaft im Heilbronner Schachverein. Ignoriert man eine kurze, unglückliche Unterbrechung in den 50er-Jahren, war Dr. Fischer bereits seit 1952 im Heilbronner SV, also über 70 Jahre. Unglaublich!

Nicht ganz so unglaublich waren die ersten Ereignisse des 25. Februar 2023. Morgens reisten Kim-Luca Lahouel, Felix und Jannis Hagenmeyer sowie Dennis Birke nach Eberstadt, um die erste Runde des KO-Pokals Unterland auszuspielen. Nachdem wir Eberstadt bereits im Unterlandpokal mit 4-0 besiegt hatten, erzielten die Jungs auswärts dasselbe Ergebnis. Damit sind wir im KO-Pokal eine Runde weiter. Mal schauen, ob wir es mit einer zweiten Mannschaft zum Württembergischen Pokal schaffen.
Ebenso glaubhaft war es, dass wir zum Bezirkstag nur mit zwei Personen anreisten, obwohl wir aufgrund der Größe unseres Vereins fünf Delegierte hätten entsenden können. Was wir spielerisch in den letzten Jahren erreicht haben, konnten wir in manchen Bereichen noch nicht reproduzieren. Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen gehörten dazu. Besonders schlimm war es nicht: Saygun Sezgin wurde als Bezirksjugendleiter bestätigt, alles lief nach Plan.

Was ist eigentlich ein Apostat? Man kann es mit „Abtrünniger“ übersetzen, wobei es eigentlich um Religion geht. Also eine Person, welche vom Glauben abgefallen ist.

Das tat ich fast, als wir in Bad Mergentheim ankamen. Hagel?! Was soll das? Regen, okay, Schnee, auch in Ordnung. Aber Hagel? Das war mir doch etwas zu viel.
Ebenso betrachtete ich die Aufstellung von Bad Mergentheim ungläubig: statt GM Kazakovskiy, IM Razafindratsima und IM A. Gasthofer spielten Michael Pfleger und Kai Kluss, zwei Lokalmatadoren. Die offizielle Begründung für das geschwächte Auftreten war „Krankheit“. Zumindest sollte erwähnt werden, dass es für die Gastgeber um nichts mehr ging. Ötigheim würde sich den Aufstieg nicht nehmen lassen und der Klassenerhalt war schon lange sicher. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

Baden-Baden trat gegen uns wie erwartet an und war durchaus favorisiert, wenn auch nicht so stark. An manchen Brettern (Theo gegen IM Julian Martin oder ich gegen FM Niklas Schmider) war der Elo-Unterschied kaum vorhanden. An den anderen Brettern hofften wir auf unseren jugendlichen Elan und der machte sich bemerkbar. An Brett 8 spielte Philipp Huber eine sehenswerte Partie gegen GM Roland Schmaltz und nutzte einen Fehler in der Eröffnung gnadenlos aus. Der schwarze König wurde über das halbe Brett gejagt und so gingen wir gegen den Behemoth mit 1-0 in Führung!

Philipp die Ruhe selbst, liegt wahrscheinlich an der Kappe und den Ohrstöpseln. Copyright: Klaus Kistner (Bad Mergentheim)

Und es ging gut weiter. Noah Fecker neutralisierte GM Stelios Halkias mühelos, Fabian Bänziger blieb solide wie immer und ließ gegen IM Matthias Dann nichts anbrennen, Nikolas Pogan folgte ihm und zwang IM Dennis Breder zur Punkteteilung und auch Simon Degenhard hatte den französischen GM Jean-Noel Riff so weit, dass der Großmeister von sich aus Remis bot. Dass das nur ein diabolischer Trick war, wurde uns erst später bewusst…
An Brett 1 wehrte sich Philipp Wenninger tapfer gegen GM Yannick Gozzoli, musste sich aber auf den schwarzen Feldern geschlagen geben. Damit stand es 3-3 und es lag an den beiden Begegnungen, welche ich eingangs als relativ ausgeglichen beschrieb: IM Martin vs. Theo und FM Schmider vs. mich.

Zumindest auf der Uhr hatte ich von Anfang an Druck aufgebaut. Copyright: Klaus Kistner

Dabei lief an beiden Brettern alles nach Plan, als Philipp H. uns 1-0 in Führung brachte. Sowohl Theo als auch ich setzten unsere Gegner mit vorbereiteten Varianten früh unter Druck. Jedoch führte der Niedergang des einen zum Problem des anderen. Zwischenzeitlich hatte ich die Möglichkeit, in meiner unausgewogenen Stellung (Figur vs. drei Bauern) das Material so weit zu verdünnen, dass ein Remis sehr wahrscheinlich gewesen wäre. Jedoch war ich der Überzeugung, auf Gewinn spielen zu müssen, um etwas Zählbares in diesem Kampf zu holen. Prompt wählte ich eine schlechte Fortsetzung, wodurch die weißen Freibauern ins Rollen kamen. Theo sah dies und entschied (folgerichtig), seine ausgeglichene Stellung mit einer Brechstange auf Gewinn zu spielen. Leider ging dies genauso in die Hose wie mein Gewinnversuch, sodass wir nach einem fulminanten Start noch mit 3-5 gegen Baden-Baden II verloren.

Nach einer kurzen Phase der Niedergeschlagenheit fassten wir für das Spiel am Sonntag neuen Mut. Scheinbar gab es ohnehin nichts zu holen. Ötigheim fertigte Bad Mergentheim mit 7,5-0,5 ab. Auch wenn die Gastgeber an den letzten drei Brettern relativ schwach waren, war ein derart hohes Ergebnis trotzdem unerwartet. Und wenn ich euch jetzt sage, dass ausgerechnet Michael Pfleger gegen den 400 Punkte stärkeren GM Kiril Georgiev das einzige Remis der Mergentheimer holte, fallt ihr sicher vom Glauben ab.
Außerdem schaffte Speyer gegen Heidesheim nur ein 4-4, was unser Fernduell mit Speyer noch nicht ganz hoffnungslos aussahen ließ. Mit mehr oder weniger ausreichend Schlaf gingen wir in die achte Runde der 2. Bundesliga Süd.

Ich ganz hinten links am Grübeln, in welcher meiner 5034 Theorie-Dateien ich die Variante schon gesehen hatte…Copyright: Klaus Kistner

Der Start lief wie erwartet. Noah wurde von IM, bald sicher GM, Paoli in einer sehr langweiligen Caro-Kann-Variante schnell mit einem Mattangriff abgefertigt. Wenn es eine Partie gibt, welche zeigt, wie unwichtig Computerbewertungen nach 10 Zügen sind, dann war es diese hier. Niko erwischte einen rabenschwarzen Tag, verbrauchte zu viel Zeit in einer zu schlechten Stellung und verlor nach knapp drei Stunden forciert Material. Philipp Wenninger übersah einen taktischen Schlag und verlor eine Qualität. Auch wenn er sich tapfer wehrte, verwertete GM Christian Bauer den Materialvorteil großmeisterlich. In unserer WhatsApp-Gruppe sanken die Gemüter rapide ab. Aber sie hatten die Rechnung ohne die Jungstars gemacht!

Zuerst erwehrte sich Fabian der Versuche von GM Erik Van Den Doel, welcher im Slawisch-Abtausch versuchte, einen weißen Vorteil nachzuweisen. Kurz darauf konnte ich meine Partie beenden. In der Abtauschvariante des Damengambits spielte ich eine vor Monaten analysierte Variante. Mein Gegner, GM Matthieu Cornette, konnte nicht so recht glauben, was er da sah. Denn meine Variante sah so aus, als würde Weiß forciert verlieren. Nachdem der Franzose die Augen aufgerissen hatte, um mich ungläubig anzustarren, versank er in tiefes Nachdenken. Es gab keinen forcierten Gewinn für Schwarz – tatsächlich war die Stellung für Weiß besser, was ich noch im Groben wusste. So ließ sich der Großmeister nach 40 Minuten Nachdenken zu einem zweifelhaften Figurenopfer hinreißen und spielte danach noch zwei ungenaue Züge, was zu viel des Guten war. Ich konsolidierte meinen Materialvorteil und spielte eine technisch einwandfreie Partie.
Simon machte das Malheur für die Familie Cornette komplett. Auf Basis einer von MVL gespielten Partie in der Bundesliga vom 25. Februar 2023 bereitete er sich gegen IM Deimante Daulyte-Cornette vor. Sie schien nicht so recht glauben zu können, dass Simon sich so akribisch vorbereiten würde, verbrauchte wie ihr Mann viel Zeit und ließ Simon eine Initiative entwickeln. Das Ergebnis des weißen Druckspiels waren zwei verbundene Freibauern am Damenflügel, welche die Partie entschieden. Damit kamen wir auf 2,5-3,5 ran!

Und es begann das große Bangen. Theo stand gegen IM Hing Ting Lai ziemlich gut, aber schien mental geschwächt zu sein, denn davor hatte er drei Bundesliga-Partien in Folge verloren. Philipp Huber, als einziger Elo-Favorit, stand zwischenzeitlich sehr gut, wollte jedoch zu früh zu viel und musste ein passives Damenendspiel verteidigen. Es ging drunter und drüber. Philipp wehrte sich tapfer, er musste nur ein Remis holen, dann würde die Hoffnung auf Theo ruhen. Ein 4-4 gegen Ötigheim holen, das wäre es doch. Neben der Außenwirkung wäre das ein wichtiger Punkt für den Klassenerhalt.
Jedoch kam es nicht so. Kolja Kühn wehrte Philipps Angriff ab und verwertete seinen statischen Vorteil sehr gut. Philipp musste sich geschlagen geben. Dass Theo gewann, änderte an der Niederlage der Mannschaft nichts mehr. Trotzdem freuten wir uns für Theo. Er beendete seine Durststrecke und behält damit die Chance, eine IM-Norm zu erspielen. Drücken wir ihm die Daumen in der letzten Runde!

Wahrscheinlich blickten am Ende alle Teilnehmenden ungläubig drein. Ötigheim war gerade so mit einem blauen Auge davongekommen. Wir verpassten zwei große Chancen auf so wichtige Punkte im Abstiegskampf. Wir hatten mehr Brettpunkte als Bad Mergentheim und vier Mannschaftspunkte weniger. Da kann man schon vom Glauben abfallen.

So wie die zentrale Figur unserer heutigen Geschichtsstunde, Kaiser Julian „der Abtrünnige“ oder „Julianus Apostata“. Als Verwandter von Kaiser Konstantin dem Großen war es umso merkwürdiger, dass Julian sich wieder dem heidnischen Glauben zuwandte, obwohl Konstantin das Christentum zur dominanten Religion im Römischen Reich machte. Julian wurde im Jahr 360 n.Chr. Alleinherrscher von Rom und versuchte in allen Belangen, die Zeit zurückzudrehen – er wollte seine Vorfahren für diverse schlimme Niederlagen gegen die Sassaniden (Perser) in der Vergangenheit rächen und außerdem das Christentum zurückdrängen. Julian ist einer der Kaiser, welcher in der Geschichte am Stärksten diskutiert wurde. Aber er scheiterte in allen Bereichen und starb 363 n.Chr. an den Folgen einer in der Schlacht zugezogenen Wunde.

Nun würde ich sehr gerne die Zeit zurückdrehen und gegen Schmider das Remis forcieren, damit Theo beruhigt Remis machen könnte. 4-4 gegen Baden-Baden, wie schön wäre es gewesen. Die Zeit kennt nur eine Richtung: nach vorne. Das Finale rückt näher, am 19. März müssen wir wieder nach Bad Mergentheim. Leider unter den schlechtesten Bedingungen überhaupt: falls Speyer am 18. März gegen Ötigheim gewinnt, dann haben sie den Klassenerhalt und wir steigen ab. Und wenn wir gegen Ötigheim fast etwas geholt hätten, wird eine Profi-Truppe das wohl erst recht schaffen…
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