Das Thema dieser Serie ist die „Taktik des Alltags“, also taktische Situationen, mit denen wir Normalsterbliche in unseren Partien konfrontiert sind. Wer genügend Partien gespielt hat, weiß, dass brillante Opferangriffe leider die Ausnahme bilden; entscheidend ist viel häufiger, die kleinen Chancen, die sich links und rechts am Wegesrand auftun, zu erkennen und zu nutzen.
Alle Beispiele kommen aus dem „wahren Leben“, entstammen also meinen eigenen oder Heilbronner Partien. Manchmal kam die Kombination oder taktische Möglichkeit aufs Brett, manchmal wurde sie jedoch auch übersehen. Die Spanne reicht vom simplen kurzzügigen Bauerngewinn bis zu komplexeren Kombinationen, bei denen klassische Motive eventuell in versteckter oder „verfälschter“ Form auftreten können. Hin und wieder ist auch mal eine „Perle“ dabei, entweder in Form einer Kombination „für die Galerie“ oder als gehaltvolle Stellung mit vielen interessanten Motiven und Möglichkeiten, die naturgemäß zum großen Teil unter der Oberfläche bleiben und erst in der Analyse auftauchen.
Mit der Harmonie ist es manchmal so eine Sache: In der Diagrammstellung ist die turbulente Vorgeschichte (an mindestens einer Stelle ließ sich Schwarz einen klaren Gewinn entgehen) schon längst Vergangenheit, aber auch das Endspiel ist nicht langweilig.
Auf den ersten Blick steht Weiß ganz gut da: Der gegnerische Freibauer ist blockiert, wobei sich die Blockade mit Sd3-b2 sogar verfestigen ließe; im Gegensatz dazu scheint sich der schwarze Läufer etwas verlaufen zu haben und sobald der angegriffene Springer wegzieht, kann sich der weiße Freibauer auf den Weg machen. Wie konnte Schwarz nachweisen, dass es tatsächlich der Weiße ist, der an der Disharmonie seiner Figuren zugrunde geht?
Hübsch – das sieht fast konstruiert aus. Schwarz sollte mindestens eine Qualität gewinnen nach
1. – Sd4+
2. Txd4 Lxd4 gibt die Qualität direkt, 2. Ke1, Kd1 Txd3 verliert den ganzen Springer.
2. Kf1 Txd3 (mit der niedlichen Mattdrohung Td1#) 3. Kxg1 Se2+, Sf3+ (auch das Zwischenschach 3. Td8+ Kg7 ändert daran nichts)
2. Kd2 Le3+! mit Hinlenkung: 3. Kxe3 (nach allem anderen geht mindestens d3 verloren, in einigen Varianten wird es sogar matt) Sf5+ nebst 4. – Sxd6
Herzliche Grüße
Jochen
PS: Morgen schaffe ich es vermutlich leider wieder nicht, aber ich versuch’s demnächst mal wieder, Enis. 🙂
Dem ist nichts hinzuzufügen 🙂
Jochens Variante ist zwar nichts hinzuzufügen, deiner Stellungsbewertung schon: Das der Randfreibauer von einem Springer blockiert wird, ist nicht gut für den Springer! Und die Möglichkeit diesen Springer zu decken, indem man einen zweiten Springer ins Abseits stellt, ist ebenfalls kein Pluspunkt. Der Läufer hingegen ist in einer offenen Stellung mit Bauern auf beiden Flügeln so gut, der kann sich gar nicht verlaufen. Der einzige potentielle weiße Vorteil ist die zentrale Königsstellung, und ausgerechnet daran geht er zugrunde.
Ich kann ja nicht gleich alles verraten, deshalb wollte ich mich mit dem „ersten Blick“ aus der Affäre ziehen 😉