Bedenke 2x bevor du einen Bauern ziehst, denn er kann nicht mehr zurück

Mein letzter Bericht liegt schon eine Weile zurück. Genauso lange liegt es zurück, als ich noch halbwegs vernünftig Schach spielen konnte. Jedoch kann ich mich noch an Grundprinzipien erinnern und der Titel dieses Berichts war das zentrale Thema oder Problem bei diesem Mannschaftskampf.

Wir hatten ein Heimspiel und die Stuttgarter Schachfreunde 3 als Gast. Ramin hatten wir an diesem Tag an die 1. Mannschaft abgegeben, aber von der Aufstellung her waren wir nominell favorisiert. Es ging pünktlich los und an den ersten vier Brettern wurde unisono mit 1.d4 eröffnet. Doch sehr schnell kamen unterschiedliche Stellungen aufs Brett. Bei Robin ergab sich ein Halbslawisch, bei dem sein Gegner 4.cxd5 spielte. Gefolgt von 5.Dc2. Gegen Mister Chaos eine gute Strategie – vermeide taktische Verwicklungen, baue dich ruhig auf und suche positionelles Spiel. Patrick spielte gegen Claus Seyfried. Patrick entwickelte erst einmal in aller Ruhe seinen Königsflügel mit Sf3, e3 nebst Ld3. Der fehlende Druck auf d5 erlaubte seinem Gegner die Möglichkeit mit f5 nebst Sf6 seine eigenen Vorstellungen zu realisieren – Kontrolle von e4 mit langfristigem Plan auf dem Königsflügel anzugreifen. Oft kommt es zu einem Rennen an beiden Flügeln und wer sich zuerst durchsetzt, gewinnt. Bei Jürgen wurde es schnell Katalanisch, da hieß es abzuwarten, wer diese Sprache besser beherrscht. An unserem Brett entstand die klassische orthodoxe Verteidigung. Mein Gegner griff dann im 8. Zug zu dxc4, worauf ich dann mit Lxc4 antwortete. Dabei versuchte ich mich zu erinnern, wohin der Läufer im Fall von b5 besser hin ziehen sollte, Ld3 oder Lb3? Keine Ahnung, Theoriekenntnisse sind bei mir nicht mehr gegeben. Aber an dieser Stelle musste ich mich dann noch nicht entscheiden, meinen Gegner interessierte sich viel mehr was ich nach Abzug des Springers Sfd5 mit meinem Lg5 vor hatte.

Derweil ging es an den hinteren Brettern wie folgt zu. Kim Luca und sein Gegner folgten der Hauptvariante im Spanier, wo mein sehr viel Zeit sparen kann. Man muss ja nur die ersten 18 Züge herunterblitzen. Das wäre was für Julian, der ja ein besonderes Problem mit Zeitmanagement hat. Das bringt regelmäßig Robin auf die Palme, weil Julian in der Eröffnung so viel Zeit liegen lässt, die ihm dann in den kritischen Stellungen so kurz vor der Zeitkontrolle fehlt. Da wir gerade von Julian sprechen, ich machte zwei Schritte zur Seite und schauen, was sich auf seinem Brett so tat. Julian hatte Weiß und wich nach 1. ..c5 auf die Alapanin-Variante im Sizilianischen aus. Dahinter spielte Marcel mit Schwarz gegen Pavel Aksenov, gegen den habe ich auch schon das Vergnügen gehabt hatte. Komplettiert wurde unsere Mannschaft durch Adrian, welcher am letzten Brett im Sizilianer mit 3. Sc6 landete.

Zusammengefasst waren also überall Stellungen mit starken positionellem Charakter auf dem Brett. Also nichts, wo man mit schnellen Entscheidungen rechnen müsste. Dementsprechend wurde ich dann überrascht, als Robin sehr früh aufgeben musste – gerade mal nach 18 Zügen. Was war passiert? Beide hatten sich zuerst einmal normal entwickelt und ihre Figuren in Position gebracht. Es entstand folgende Stellung.

Die Hauptidee besteht darin, b6 zu spielen, nebst Lb7 und dann im Zentrum aktiv zu werden. Häufig schiebt man noch Ld6 ein, um die Krücke auf h2 zu tauschen, die wichtige schwarze Felder kontrolliert. Was passierte? Es folgte c5 und nach dem Tausch (und einem weiteren Zug) entfernte Robin seine Dame aus der d-Linie

Und jetzt entschied 17. Lb5 die Partie (17. ..Te8 18.Lc6)

Es stand also 1:0 für den Gegner. Ich überflog die anderen Bretter. Patrick war es gelungen, seinen schlechten schwarzfeldrigen Läufer zu tauschen und kontrollierte e5. Auf der anderen Seite besaß Schwarz mehr Raum und konnte sich unbehelligt weiterentwickeln. Also alles noch im Fluss. Jürgen hatte im vierten Zug auf c4 geschlagen und 5 Züge später hatte Weiß immer noch keine Anstalten gezeigt, diesen zurückzunehmen. Statt dessen hatte sich die g-Linie nach SxLf4 öffnen lassen um dort aktiv zu werden. Da Jürgen solche Stellungen gut zu behandeln weiß, machte ich mir da keine große Sorgen. Langfristig ist der Doppelbauer eine Schwäche und je mehr Figuren getauscht werden, umso weniger ist die offene g-Linie etwas wert. Ich stand derweil an einem Scheideweg. Es ist das klassische Dilemma. Wohin gehören die Türme und wo positioniert sich die Dame am Besten. Ich habe sicherlich Hunderte male in dieser Stellung Dc2 gezogen. Aber immer stand sie in Folge, wenn der schwarze Turm sich mal nach c8 bequemte, dort blöde rum. Also entschloss ich mich spontan zu 11.e4. Man ist nie zu alt, um mal andere Varianten auszuprobieren. Und wohin die Türme gehören, wird sich dann zeigen. Mein Gegner überlegte in Folge nun sehr lange, was mir die Gelegenheit gab, mich an den hinteren Brettern zu tummeln.

Kim Luca: Immer noch in der Theorie. Julian wartete offensichtlich auf göttliche Inspiration. Wie behandelt man die Stellung? Mit b3 hatte er den schwarzen Bauern auf c4 kurz vorher befragt und nach dem Abtausch stellte sich die Frage, wie weiter. Doch weder eine göttliche Intervention fand statt, noch ein herumschwirrendes positiv geladenes Inspirationsteilchen kamen vorbei. Julian zog Lg5, was definitiv nicht das Gelbe vom Ei war. Die E-Linie besetzen, Sb1 entwickeln wären solide, gute Fortsetzungen. Marcel hatte leichte Vorteile, stand optisch besser. Pavel hatte mit Sd5 einen schwachen Zug aufs Parkett gelegt. Hätte er in der Folge noch die Damen getauscht wäre es nicht wirklich drastisch gewesen, aber den Zug mit Db1 hat niemand von uns verstanden. Im ersten Augenblick dachte ich, dass Marcel dadurch eine Mehrfigur behält. Lg4 und das war es. Da war ich schon dabei diese Partie virtuell als Sieg abzuhaken. Kurz darauf wurde ich eines besseren belehrt, Weiß konnte a3 gefolgt von b4 die Figur zurückgewinnen. Kostete einen Bauern für Weiß, also gut für uns. Beim Nachspielen der Partie bemerkte ich, warum die Blechmonster so gut sind. Statt Lg4 einfach den Läufer stehen lassen und Sd4 ziehen, mit der Idee, die Dame über c8 auf den Königsflügel zu bringen. Danach steht weiß einfach grottig auf Verlust. Adrian stand auch nicht berauschend, sein Gegner kontrollierte die Stellung, Gegenspiel gab es nicht. Zu diesem Zeitpunkt sah es insgesamt noch nicht rosig aus.

Wieder zurück zu meiner Partie. Ich fühlte, dass ich einen leichten Vorteil hatte, war aber nicht greifbar. Ein Labyrinth von Abzweigungen lag vor mir. Sollte ich mit a4 aktiv werden oder weiter den Druck im Zentrum verstärken? Ich vertage die Entscheidung mal wieder. Zog die Dame von der Grundreihe weg und verband so meine Türme. Vielleicht traf ja mein Gegner die Entscheidung für mich. Er zog Tfb8. Wunderbar, also im Zentrum bleiben und sollte irgendwann sein Turm zurückziehen, hätte er ein Tempoverlust. Mein Gegenüber setzte konsequent am Damenflügel mit a5 fort. An dieser Stelle berechnete ich dxe5 bzw. Sxe5. In beiden Varianten hätte ich einen Turm auf die 7. Reihe gebracht, jedoch ohne daraus einen entscheidenden Vorteil zu ziehen (vorausgesetzt mein Gegner wählte die richtige Zugfolge). Als Nachteil hätte ich mit a2 und c3 zwei isolierte, schwache Bauern. War es für mich nicht wert. Blieb noch der Bauernzug auf d5 übrig. Und dann verlor ich den Faden. Dabei war es eigentlich einfach zu sehen. Durch ein Turmopfer nebst nachfolgender Springergabel hätte ich einen Bauern gewinnen können.

20.Lxc6 Txc6 21.Txd7 Dxd7 22.Sxe5

Nicht gesehen und so setzte sich das zähe Ringen fort. Bei Jürgen war hingegen der Sieg abzusehen – er hatte seinen c-Bauern behaupten können, der Königsflügel war geschlossen und so konnte er nun bequem seine Bauernmehrheit ins Spiel bringen. Patricks Gegner hatte offenbar wie ich auch keinen Plan, die Öffnung der Stellung war zu früh (bedenke zweimal bevor du einen Bauern ziehst), seine Figuren standen aktuell schlecht. Das Resultat war ein Isolani auf e5, der in allen Richtungen nach Hilfe schrie. Es folgte ein Abtausch aller Schwerfiguren und im Doppelspringerendspiel offenbarte Seyfried Schwächen. Er tauschte eines der Pärchen, um mit einem Bauern in Rückstand zu geraten. Wäre noch nicht so schlimm gewesen, hätte er seine restlichen Bauern dort gelassen, wo sie waren – einfach hinten. Patrick nutzte das gekonnt aus, und der Sieg an Brett 2 war auch sicher.
Kim Luca machte es noch einmal spannend, indem er im Turmendspiel einen Bauern verlor. DIe Partie endete kurz darauf in einem Unentschieden. War eher der Tatsache geschuldet, dass sein Gegenüber wohl nach Hause wollte. Julian hatte verloren. Auch hier hatte sich der Verlust als Folge eines unzeitgemäßen Bauernvorstoßes entwickelt. Welcher Großmeister hatte immer angemahnt, dass man seine Bauern nicht unbedacht nach vorne ziehen sollte, denn sie können nicht zurück?
Meine Partie war tot. Mein Gegner hatte einen Bauern gewonnen, das daraus resultierende Endspiel war nicht zu gewinnen und so bot er mir remis an. Adrian hatte Glück. Schwarz stand klar besser und es drohte, dass der d-Bauer entscheidend zur Grundreihe marschierte. Hier tauschte Schwarz seinen weißfeldrigen Läufer ab und vergab so seine gute Stellung. Dann überzog er das Spiel, indem er mit Gewalt am Ende einen Bauern umwandeln wollte, opferte die Qualität und verlor durch ein Zwischenschach Haus und Hof. Beziehungsweise, er ließ sich das Ende nicht mehr zeigen. Marcel stand auf Gewinn, Weiß hatte seinen Bauern zwar weit vorne, doch mit dem Turm auf der Seite konnte er diese nicht gescheit nach vorne bringen, während die beiden Bauern von Marcel unterstützt vom König eine unaufhaltsame macht waren. Kurz darauf streckte sein Gegner die Waffen. Mit 5:3 gewannen wir den Mannschaftskampf und konnten unser Polster nach unten wieder verbessern.


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