Von Meistern, Rückkehrern und…Teilnehmern

Nach dem ersten Reinschnuppern im Jahre 2014, bei welchem mir man mein Jahr Pause anmerken konnte, war ich am 24. Juni tatsächlich einer der Turnierfavoriten bei den Württembergischen Schnellschacheinzelmeisterschaften. Anders als 2014 konnte ich doch eine relativ große Gruppe an „Heilbronnern“ mitziehen, selbst Altmeister Ulrich Schulze ließ sich von meinem Elan mitreißen. Wobei, ehrlich gesagt denke ich, dass er einfach so mitspielen wollte…

Aus meiner rein persönlichen Sicht konnte ich gar nichts erwarte, denn während meine Elo seit ungefähr einem Jahr praktisch nur steigt, wollen meine Fähigkeiten in kurzen Bedenkzeiten nicht wirklich mitziehen. Die WSSMM im April 2018, bei welcher ich gefühlt 2/9 (wahrscheinlich waren es 4 oder so) Punkten an Brett 1 machte, war nur eines der vielen Beispiele. Dazu kam noch, dass einige „Biester“ im Schnellschach dabei waren, allen voran SVW-Rückkehrer Philipp Wenninger. Für alle Euphorisierten folgt nun ein Dämpfer: Nein, er spielt nicht wieder bei uns, sondern er wird der Verbandsliga-Mannschaft von Schönaich helfen, aufzusteigen (die brauchen nämlich einen 2300er-Schnitt, um in der Liga 50% zu machen). Wie so oft im Leben gilt „suum cuique“.
Neben mir vertraten Simon Degenhard, Tobias Schmidt, Steffen Mages und der bereits erwähnte Ulrich Schulze den Heilbronner SV. Hätte es eine Teamwertung gegeben, so wären wir dort im Favoritenkreis gewesen.

Aufgrund des relativ großen und gut besetzten Feldes von über 120 Teilnehmern kam es schon schnell zu unangenehmen Paarungen. Die ersten beiden Runden überstanden alle noch erwartungsgemäß, was für Steffen Mages bedeutete, von Jens Hirneise zurück nach hinten geschickt zu werden. Eine Runde später ereilte Simon Degenhard das gleiche Schicksal, dafür schon an Brett 1, denn Ratingprimus IM Mark Kvetny (ich möchte ja nicht angeben, aber ich hab 75% in langen Partien gegen ihn) erlaubte sich früh ein Remis. Philipp stellte einen Turm gegen Andreas Schulze (TG Biberach) ein, Tobias erlaubte sich ebenfalls eine „0“ gegen einen Underdog, als er seinem Ex-Teamkollegen Wilhelm Haas einen Sieg schenkte. Ich hingegen behielt noch bis Runde 4 meine weiße Weste, zuerst schlug ich Manuel Günnigmann, oder besser gesagt, er schlug sich selbst, als er in „todremiser“ Stellung einen Turm einstellte (so habe ich doch meine Revanche für die DJEM 2009 bekommen), während ich nach der Mittagspause den starken Schnellschachspieler Hans-Joachim Vatter nach allen Regeln der Kunst in einem italienischen Endspiel überspielte.

Ein Aufeinandertreffen mit Jens Hirneise blieb mir dennoch zunächst erspart, wenn wir beide sowie die beiden Verfolger Gerhard Junesch und Thilo Kabisch marschierten weiter im Gleichschritt. Zunächst gab es faire und ausgespielte Remisen untereinander, in der Runde darauf remisierte Jens gegen den Lauffener Gunnar Schnepp, ich konnte Rudi Bräuning zwar Einiges an Kopfschütteln entlocken, jedoch auch nicht mehr, dafür gewann Gerhard Junesch gegen Thilo Kabisch und ging alleine in Führung. Im Hintergrund schlichen sich Philipp (nach seiner Niederlage gewann er in absolut ungewinnbarer Stellung gegen Simona Gheng auf Zeit, ich war also nicht der einzige Glückspilz) und Tobias mit einigen Siegen an uns heran. Simon erlaubte sich zwischendrin noch ein Remis, blieb jedoch in Schlagdistanz bei einem neunrundigen Turnier, auch Steffen hielt mit. Ulrich hingegen ließ Federn und war mit zwei Niederlagen schon aus dem Titelrennen raus.

Zwischenstand:
Philipp 5/6
Tobias 5/6
Ich 5/6
Simon 4,5/6
Steffen 4,5/6
Ulrich 3,5/6

Im Anschluss verabschiedete sich der zweite Titelfavorit. Wettbüros hätten wohl auf mich gesetzt, aber es war Jens Hirneise, welcher gar nichts mehr zusammenbrachte, Gerhard Junesch gewähren ließ und nach weiteren 0,5/3 entnervt nach Hause fuhr. Dementsprechend wollte ich ihm nicht durch die Nachricht, ich würde mein Rochade-Abo kündigen, sein Herz endgültig brechen, sondern ließ ihn in Ruhe. Konnte das mein Tag werden?
Zunächst musste ich noch den kleinen Tobias aus dem Weg räumen, obwohl er mich schon fast um ein Remis anbettelte. Aus einer rein objektiven Sicht würde ein Remis niemandem etwas bringen, der Sieger sollte halt das Turnier gewinnen. Wie üblich, wenn ich ein Remisangebot ausschlage, patze ich gleich herum, so hatte ich gleich nach 12 Zügen zwei Bauern mit schemenhafter Kompensation weniger. Was würde mein großes Vorbild Carlsen jetzt tun? Er würde sich wahrscheinlich aufregen, sich „tilten“ (also schlechte Entscheidungen treffen aufgrund seines emotionalen Zustands) und die Partie schnell verlieren. Konsequenz: Lieber mal nicht wie Carlsen sein. Was würde Kasparov jetzt tun? Irgendwelche Grimassen schneiden und irgendetwas angreifen. Das hörte sich eher nach einem Plan an. Kurz darauf stand Tobias tatsächlich vor praktischen Problemen und als er sich siegessicher wähnte, stellte er eine Figur ein. Bereits vorher opferte er richtigerweise eine Qualität, also wieder der Mehrturm, der so oft entscheidend war. Ein antiklimatisches Ende.
Philipp entledigte sich in der Zwischenzeit Gunnar Schnepp, welcher sich sichtlich echauffierte, dass er seine ausgeglichene Stellung noch verlor. Tja, „ausgeglichen“ ist halt kein Synonym für „Remis“, ist ein guter Rat für jeden Spieler. Simon stach Tobias Kölle aus. Der Kleine durfte zwar nicht gegen mich spielen, litt aber an einigen meiner Bekannten, neben Simon besiegten ihn noch Philipp und Ulrich. Jener Ulrich gewann in Runde 7 noch gegen einen anderen Shooting Star, Noah Geltz von Heilbronn-Biberach. Für Steffen waren alle Träume mit einer Niederlage gegen Thilo Kabisch ausgeträumt.

Zwischenstand:
Philipp 6/7
Ich 6/7
Simon 5,5/7
Tobias 5/7
Steffen 4,5/7
Ulrich 4,5/7

In Führung lag jedoch immer noch Gerhard Junesch mit 6,5/7 und da ich schon meinen direkten Vergleich remisiert hatte, musste ich nun auf Philipp hoffen. Mir selbst würde jedoch auch nur ein Sieg etwas bringen, also opferte ich früh einen Bauern bei heterogenen Rochaden. Witzigerweise hatte ich wenige Tage davor meine Stadtmeisterschafts-Partie gewonnen, weil ich den schwarzen b-Bauern mit meiner Dame fraß, während mein König lang rochiert war. Nach der Partie erzählte ich meinem geschlagenen Gegner viel über die verlorenen Felder und fehlenden Hebel am Damenflügel, wenn der b-Bauer ersatzlos weg ist. Ich hätte es besser wissen sollen, aber opferte dennoch meinen g-Bauern. Das fühlte sich genauso spekulativ wie Kryptowährungen an, zudem war der Ertrag genauso wie bei Kryptos: wenn man keine Ahnung hat, verliert man nur. Immerhin konnte ich die Stellung so kompliziert halten, dass Damen + Figuren X auf dem Brett blieben. In beiderseitiger Zeitnot machte ich ein paar geometrisch schöne, objektiv jedoch nicht gewinnbringende Damenmanöver und mein Gegner kollabierte.
Zwischendrin musste ich einfach immer wieder bei Philipp schauen, es sah immer ausgeglichen aus, okay, remis?…plötzlich stellte Junesch die Dame ein.
T A B E L L E N F Ü H R U N G !

Zwischenstand:
Philipp 7/8
Ich 7/8
Simon 6,5/8
Tobias 6/8
Steffen 5,5/8
Ulrich 5,5/8

Zu meiner Letztrundenpartie gibt es nicht viel zu sagen. Die größte Diskussion zwischen Philipp und mir bestand darin, was wir denn spielen, bevor wir Remis vereinbaren. Am Ende wurde es Slawisch-Abtausch. Ich glaube trotzdem daran, dass man damit auf weißen Vorteil spielen kann.
Thilo bezwang Rudi Bräuning mit Leichtigkeit (Figureneinsteller). Somit stand auch er bei 7,5/9 und das große Rechnen begann bei Philipp. Ich wähnte mich trotz Restzweifel sicher, da ich immer vorne dabei war. Wenige meiner Gegner gewannen in Runde 9 auch noch, also musste das der Titel sein. Ulrich gewann die Schlussrunde noch und setzte sich mit all seiner Erfahrung vor Steffen und Tobias, welche beide verloren.
Am Spannendsten war die Partie zwischen Simon und Gerhard Junesch. Für „alle“ (d.h. alle außer Thilo) wäre ein Sieg Simons am Besten gewesen, denn seine Buchholz war katastrophal im Vergleich zu der Feinwertung seines Gegners. Nach eher drögem Verlauf kam es zu folgender Stellung:

Nach der Partie wollte mir Simon erzählen, dass das ja aufgrund von Zugzwang sowieso gewonnen sei. Mein Gefühl widerstrebte dieser Einschätzung komplett und die Engine gibt mir auch Recht, wobei ich sagen muss, dass Schwarz wenigstens ein paar Sekunden dafür investieren muss, die Idee …Da5! zu finden, welche die weiße Dame zwingt, auf der Diagonale b8-h2 zu bleiben, denn ansonsten folgen nervige Schachs. Der Ludwigsburger Spitzenspieler fand jedoch …d3?? mit ebenfalls guter Idee, einem demaskierten Angriff auf h4. Leider war die Antwort Dxd3+ mit Schach und da war die Partie für mich bereits gelaufen. Ich hätte es jedoch besser wissen sollen, denn die Partie ging wirklich noch Remis aus.

Endstand:
Ich 7,5/9 (Platz 1)
Philipp 7,5/9 (Platz 2)
Simon 7/9 (Platz 6)
Ulrich 6,5/9 (Platz 12)
Tobias 6/9 (Platz 14)
Steffen 5,5/9 (Platz 29)

Eine komplette Tabelle inklusive Ratingwertungen (Simon gewann die Jugend, Ulrich bei den Senioren – inoffiziell waren wir sicher die beste Mannschaft) sowie eine Sammlung modelreifer Bilder von mir findet sich auf der SVW-Seite.
Das war es also. Nach Monaten der Erniedrigung in kurzen Bedenkzeiten holte ich mir ungeschlagen den Titel auf Landesebene. So qualifizierte ich mich mit Philipp für das Turnier auf Bundesebene, welches Anfang September stattfinden wird. Leider blieb das nicht das einzige Mal, dass mein Compagnon sich aufgrund von Buchholz geschlagen geben musste, denn beim Kirchseeon-Open holte er zwar 5/5 (jetzt hat er wieder großen Elo-Vorsprung, muss ich mich wieder anstrengen…), aber verpasste den Sieg wegen eines Buchholzpunktes.
Den anderen wie Tobias gratuliere ich zu ihrer erfolgreichen Teilnahme.


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