Wer mich kennt, weiß zudem auch, dass ich nicht annähernd normal bin, also erzähle ich euch mal von meinem letzten Schachabenteuer.
Fangen wir jedoch klein an; über Fasching fand nicht nur das immer größer werdende Pfalz-Open statt, sondern auch ein Turnier, dessen Hintergründe sowie Spielmodi schon mehrmals wechselten. Die Rede ist vom Leintal-Jugend-Open, welches bereits früher zum Standardrepertoire unserer Jugendspieler gehörte, auch dieses Jahr fanden sich ein paar Heilbronner Namen in den Teilnehmerlisten wieder.
Nach dem Betrachten ebenjener Listen fiel mir der Hinweis „bis Jahrgang 1993!“ in der Ausschreibung auf, ich bin schon viel zu alt. Hoffen wir mal, dass das beste Schachalter 31 Jahre ist, wie angeblich von Wissenschaftlern bewiesen wurde.
Jedenfalls gab Aaron Zwetzich, geboren im zarten 2010, sein Turnierdebüt in der U12-Gruppe, während die Sawadski-Zwillinge von Patrick Wenninger in die U25A geführt wurden.
Aaron landete mit 2,5 Punkten aus 7 Runden auf dem 37. Platz (45 Teilnehmer). Er kam um das „spielfrei“ herum, erkämpfte sich also zwei Siege sowie ein Remis. Eine gute Leistung für einen solch jungen Spieler.
Die Zwillinge näherten sich DWZ-technisch wieder an – leider bekamen beide einen kampflosen Punkt im Turnier mit 15 Teilnehmern. Es ist noch zu erwähnen, dass hinter Patrick (über 400 Punkte Vorsprung auf Setzplatz 2) das Feld bis zum Schlusslicht der Setzliste unheimlich eng war, sodass jeder jeden schlagen konnte. Leonard erspielte sich zusätzlich noch eineinhalb Punkte (fünf Runden), während Nikolas einen halben Punkt weniger holte. Somit geht Nikolas runter mit der DWZ, Leonard hoch – aber beide sind ja noch in der Frühphase ihrer Karriere.
Über Patrick muss ich nicht viele Worte verlieren, er dominierte das Turnier nach Belieben mit 100% der Punkte. Das Preisgeld heimste er souverän ein, herzlichen Glückwunsch!
Endlich war die Vorlesungszeit vorbei, meine Klausuren sowie Modulleistungen geschrieben bzw. erbracht, somit konnte ich mir selbst die Erlaubnis geben, die Achse Heilbronn – Karlsruhe zu verlassen. Weit ging es jedoch nicht, nur bis nach Neustadt/Weinstraße und bei Autobahnschildern wie „A65 Karlsruhe“ wurde mir die ewige Baustelle oft genug in Erinnerung gerufen.
Neben mir trauten sich Simon Degenhard, Jewgeni Pogorelow, Severin Bühler (alle A-Open), Utz Kammerer (B) und Thomas Leykauf (C) auf das Parkett der Großmeister. Es gab mal wieder einen Teilnehmerrekord und Delegationen aus aller Welt (z.B. aus Belgien und China) waren aufzufinden. Game on!
Mein Ziel für das Turnier war, so offen muss ich das sagen, eine IM-Norm. Durch meinen neu gewonnenen FM-Titel wären sicher einige Gegner so eingeschüchtert, dass sie mir Gnadenremis abgeben würden, anders als damals, als ich noch bei 2200 rumgekrebst bin.
Runde 1 sah bis auf Severin alle in der Favoritenrolle. Er sorgte dann auch gleich mal für eine Überraschung und schlug seinen fast 300 Punkte stärkeren Gegner! Leider blieb dies nicht die einzige Überraschung, eine Spielerin der chinesischen Gruppe nahm mir mit sehr risikoarmen Spiel ein Remis ab – 4 vs. 3 Bauern an einem Flügel im Turmendspiel ist einfach nicht zu gewinnen, musste ich erfahren. Die Chinesen waren jedoch auch grundsätzlich nicht zu unterschätzen, eine der Kolleginnen meiner Gegnerin besiegte mit ihren 2176 Elo gar GM Misa Pap (~2500), ein männlicher Mitreisender holte sich die einzige (IM-)Norm im ganzen Turnier.
Simon traf es noch härter, er verlor gar gegen seinen Underdog. Jewgeni, Utz und Thomas holten souveräne Pflichtsiege.
Immerhin konnte ich wahrscheinlich einen Haufen Leute gegen mich aufbringen (nichts Neues für mich), da ich mein hoffnungslos ausgeglichenes Turmendspiel bis nach Mitternacht ausgequetscht habe. Vorbereitung hiermit ins Wasser gefallen (oder in den Wein, wie man es nimmt).
Die Startschwierigkeiten waren nach Tag 2 jedoch noch nicht behoben. Severin wurde durchgereicht, er bekam zwei Nullen reingedrückt. Simon musste sich nach einem Sieg in der zweiten Runde erneut einem Schwächeren geschlagen, namentlich Bernd Grill, dem württembergischen Schulschachreferenten. Jener Bernd Grill verlor in Runde 1 gegen den polnischen GM Sadzikowski – der junge Schachguru durfte dann in Runde 2 Jewgeni zum Frühstück vernaschen, wodurch unser Neuzugang den Tag mit 2/3 beendete. Bleiben wir mal bei „Gegnerverwandtschaften“ – in Runde 3 bekam ich Simons Erstrundengegner. Wahrscheinlich war Simon so verzweifelt bei der etwas lang…wierigen Spielweise des Weißen, dass er deswegen den taktischen Schlag am Vorabend übersah. Jedenfalls drückte ich mal wieder bis zum Ende, obwohl es einige Mal „0.00“ stand…und nach fast fünf Stunden stellte mein Gegner dann doch die Dame ein. So einfach geht’s, Simon!
In Runde 2 bekam ich übrigens IM Dimo Werner mit ca. 2000 Elo, nachdem ich mit 2,5/3 zumindest punktemäßig wieder auf Kurs war, könnte dies ja der entscheidende Titelträger für meine Norm-Ambitionen sein!
Utz holte immerhin einen Sieg gegen einen stärkeren Spieler, während Thomas seinem Sohn ein Vorbild war: er gewann beide Partien und durfte am Folgetag an Brett 1 spielen. Und was für Paarungen es gab!
Dank des Neckarsulmers Philipp Müller, welcher als Trainer im Auftrag der GKL (Gemeinsame Kommission für Leistungssport Schach in Baden-Württemberg) anwesend war, schmuggelte ich mich zu den beiden württembergischen Schachfamilien Leser (wie Katrin Leser, Deutsche Meisterin U16 2016) und Zell, welche sich beim örtlichen Griechen niederließen. War auf jeden Fall besser, als nach dieser traurigen Partie alleine zum Burger King zu fahren – aber keine Sorge, den besuchte ich dann mit Simon und co. am dritten Tag. Jedenfalls kann ich allen nur empfehlen: wenn ihr schon einen Ouzo trinken wollt, dann solltet ihr weder daran riechen noch ihn mit mehr als einem Schluck trinken, das funktioniert nicht.
Zurück zu den Paarungen, die ich in den Zeilen davor kurz „gehyped“ habe: es gab zwei Duelle HSchV vs. HN-Biberach! Im C-Turnier spielte Thomas gegen Dimitrios Triantafillidis, während Simon es mit Jens Hoffmann zu tun bekam. Zumindest letzteres Duell stand unter ungünstigen Vorzeichen, Simon hatte seit der überragenden DVM wieder eher seine schwachen Seiten offenbart, im Gegensatz dazu war Jens stark im Aufwind (2190 Leistung beim Böblinger Open).
Die Spitzenpaarung im C-Open ging jedoch gar nicht so lange, plötzlich gab es einen Figureneinsteller und ausnahmsweise war Thomas nicht am schlechten Ende! 1:0 für „uns“. Mit dieser glücklichen Wendung im Rücken konnte Simon ja nur noch gewinnen, auch wenn er fast alles dafür tat, um es nicht zu tun. Schlechtes Mittelspiel und im Endspiel ein eindeutig gewonnenes Bauernendspiel zugunsten eines Turmendspiels ausgeschlagen, welches eigentlich Remis war. Wie sollte es auch sonst bei Turmendspielen sein? Der Spirit seines Vaters trug Simon jedoch in Kombination mit Jens‘ Fehlern zum Sieg.
Hier muss ich noch klarstellen, dass ich immerhin ein Mindestmaß an Anstand besitze. Es wurde behauptet, dass ich Simon in irgendeiner Weise vorbereitet hätte…also mal ehrlich, Leute.
Utz ward nach seiner Niederlage in Runde 4 nicht mehr gesehen, da er das Turnier abbrach, die zweite Niederlage in Folge war wohl zu viel. Severin verlor zwar wieder in Runde 4, besann sich dann jedoch auf die Weisheit der Russen und gönnte sich erstmal ein schnelles Remis. Simon war im Aufwind und gewann in Runde 5 ebenfalls. Jewgeni schien den Teufelskreis „gegen Schlechtere gewinnen, gegen Stärkere verlieren“ durchbrochen zu haben, als er in Runde 5 IM Robert Baskin ein Remis abnahm. Ich folgte Jewgenis Beispiel, wobei mein Remis gegen einen IM mit 2400 in Runde 4 war. Hatte übrigens mal wieder einen Mehrbauern. Auf höchstem Level kämpfen die Weltstars um kleinste Vorteile und quetschen diese gnadenlos aus und mir reicht der kleinste materielle Vorteil mehrmals nicht. Irgendetwas ist da falsch, wahrscheinlich bei mir. Wenigstens ging mal die Vorbereitung gut, als mein Gegner schon sehr früh die Zugreihenfolge verwechselte, schaffte ich sogar, dies auszunutzen, also werte ich das mal als Fortschritt. In Runde 5 profitierte ich von „Doppel-Weiß“, improvisierte dafür vollkommen. Mein Gegner, der Ex-Kornwestheimer Jugendspieler Tobias Kölle, war mir schon aufgrund diverser Angelegenheiten bekannt, unter anderem betreute ich ihn bei der Deutschen Ländermeisterschaft 2016 für das Team Württemberg.
Sein Slawisch/1. e4 e5-Repertoire war an sich wasserdicht, also spielte ich 1. c4, was folgerichtig mit …e5 beantwortet wurde. Mit meiner ganzen Kreativität (die auf einen Teelöffel passt, außer es geht um Beleidigungen und Schlechtreden anderer) lockte ich Schwarz in eine Königsindisch-Struktur.
Nach dem Erreichen der Struktur wurde mein Springer zum Helden der Partie, unter Mithilfe eines meiner mutigen Türme:
Der Kleine wird aber sicher noch viele andere FMs, gar IMs und GMs schlagen, also bin ich nur für einen kurzen Moment obenauf.
Tag 4 lief dann zumindest für mich eher bescheiden. Ich hatte die Chance auf den großen Wurf gegen GM Toms Kantans (späterer Turniersieger nebenbei bemerkt). Es schien alles angerichtet zu sein, die Vorbereitung stand und kam auf das Brett, ich sah ein forciertes Remis…aber ich wollte mehr. Und wie das Leben so ist, wenn man mehr will, wird man dafür bestraft, im Laufe der Partie überspielte er mich gnadenlos. Dafür war ich selbst dann in Runde 7 überspielt, wieder klappte die Eröffnung sehr gut und ich konnte meine Kompensation bis ins Mittelspiel am Leben erhalten, bis folgende Situation entstand:
Mein erster Gedanke, 17. Dg3, war auch der beste Zug, dies bereitet unter anderem Se4-d6 vor, Schwarz leidet einfach unter seiner geringen Koordination sowie den potenziellen schwarzfeldrigen Schwächen. Ich „verbesserte“ dies durch 17. Le4?, was einfach dem Springer das Feld e4 nahm. Also:
17. Le4? Dh5 18. Tfe1?
Moment, geht da nicht einfach …La4 mit Qualitätsgewinn? Ja freilich! Aber mein Gegner spielte: 18…Dxd1 19. Txd1 La4, ich kam nicht dazu, zu fragen, wieso er dieses Abspiel wählte. Vielleicht lag es daran, dass er aufgrund mangelnder Theoriekenntnisse nur noch drei Minuten hatte. Jedenfalls konnte ich ihn mit Dame, Springer und Läuferpaar immer mehr in die Defensive zwängen, bis die Dame zu viele lose Figuren abgegriffen hatte.
Simon konnte den Aufwind des vorherigen Tages nicht ganz mitnehmen und kam nicht über zwei Remis hinaus. Severin schien wieder am Leben zu sein und holte gute 1,5/2. Jewgeni war wieder mein Vorbild, auch er verlor morgens gegen eine stärkere Gegnerin, erkämpfte sich dafür nachmittags einen Sieg.
B- und C-Turnier sind beim Pfalz-Open grundsätzlich nur für sieben Runden ausgeschrieben. So ging das Turnier für Thomas Leykauf schon früh zu Ende. Nach seinen 4/4 begnügte er sich mit zwei Remisen, was ihm ein entscheidendes Spiel in der Schlussrunde bescherte. In dieser Partie hatte er durchaus Chancen, zu gewinnen, leider fehlte ihm an einigen Stellen das Gespür für den richtigen Zug. So blieb zwar nur der 10. Platz im Gesamtklassement – jedoch gab es immerhin einen Ratingpreis in Höhe von knapp 100 €, herzlichen Glückwunsch!
„The final Countdown“ begann (glücklicherweise war das nicht Deizisau, wo dieses altbekannte Lied immer bei der letzten Runde abgespielt wurde), zum Ausklang gingen Thomas, Simon, Philipp und ich noch das Spiel der Nürnberger in Hamburg (St. Pauli) schauen. Das hätten wir uns auf jeden Fall sparen können, zudem bete ich, dass der VfB nicht wieder absteigt, damit ich hoffentlich nie wieder so einen Zweitliga-Grottenkick (sorry Thomas) sehen muss. Zumindest duselte ich mich zu einem Sieg im Billard, perfekte Voraussetzungen für den letzten Tag.
Der Traum von der Norm war auf jeden Fall noch am Leben. Ich bekam wieder einen IM in Runde 8, hatte wieder Weiß und bei einem Sieg würde ich zu 99% einen Großmeister bekommen. Nur fiel mir bei der Vorbereitung, genau genommen bei der Wiederholung der Varianten im Kopf, auf, dass durch die drei 2000er in den ersten Runden meine Eloperformance so „schlecht“ war, dass ich zwingend zwei Mal gewinnen musste. Einen 2400er (genau genommen Schachjournalist Georgios Souleidis) mit Weiß zu besiegen, war jetzt kein Ding der Unmöglichkeit. Aber dann mit Schwarz (zu 100% sicher) gegen einen GM gewinnen? Puh. Ein Remis zu erschnorren, hätte mir jetzt „nur“ ein paar Elo gebracht.
Gut, der erste Schritt war überhaupt, Runde 8 zu gewinnen. Die Eröffnung konnte ich zumindest blitzen – so viele Vorbereitungen sind noch nie in einem Turnier aufgegangen, dafür wenig Schlaf – während mein Gegner eine Verbesserung gegenüber einer Variante im 18. Zug brachte. Natürlich fand ich daraufhin nicht die Engine-Empfehlung, was meinen Gegner jedoch aus dem Konzept brachte, sodass ich trotzdem sehr gut stand. Knackpunkt war der königsindische Läufer auf g7, welcher jedoch nicht von seinen, sondern meinen Bauern eingekerkert war. Also tauschte ich alles bis auf die Läufer ab und voilà, das Endspiel war gewonnen.
Nun hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Chance auf dieses weiße Blatt Papier, dessen Titel „Certificate of Title Result“ heißt. Dazu musste ich nur einen Spieler mit 2540 mit Schwarz besiegen.
Gehen wir zunächst aber zu den anderen Recken über, da bei ihnen nicht mehr so viel passiert ist.
Severin ging wieder in seinem „Meltdown“-Zustand über und verlor beide Runden. An Rang 220 gesetzt, hatte er natürlich einen sehr schweren Stand, drei Punkte sind mehr als eine gute Leistung.
Bei Simon war endgültig die Luft raus, er konnte noch froh sein, zwei Remis erzielt zu haben. Dass irgendwann eine Schwächephase kommt, war klar, es ist sogar gut, dass sie jetzt da ist, da in nächster Zeit sowieso keine wichtigen Events mehr stattfinden. In die WJEM, hoffentlich DJEM und sonstige Mai-/Juni-Turniere kann sich Simon dann wieder mit voller Kraft stürzen.
Jewgeni blieb im alten Trott, gegen mehr Elo verloren, gegen weniger Elo gewonnen. Das eine Remis gegen IM Baskin verhilft ihm zu einem nicht-unerheblichen Elo-Plus. Und seine Aussage „ich kann ja nur noch schlechter werden“ konnte ich beim Verabschieden auch nicht so stehen lassen.
Was tat ich denn nun? Zunächst vergaß ich die Theorie in meiner Lieblingseröffnung, also improvisierte ich mal einen „Schlechter“-Slawen, d.h. Slawisch mit Fianchetto. Dies ging auch ganz gut und behielt die Spannung bei (anders als einige forcierte Varianten im Grünfeld – vielleicht probiere ich das mal öfter so), im kritischen Moment schlug ich leider falsch. Mein Gegner kam natürlich zu e3-e4, woraufhin ich ganz „natürlich“ dxe4 spielte, leider war dxc4 nebst e6-e5 besser, denn sein Läufer auf e4 war eine Macht. In der Folge konterte er mich stark über meine schlechten Figuren (Ld7 eingeengt von Bauern e6, f5, sowie Sb6 eingeschränkt von Bauer c4) aus, sein Sieg war nur noch eine Frage der Zeit.
Nichts mit Norm also, immerhin konnte mich Philipp Wenninger damit trösten, dass er aufgehört hat, zu zählen, wie oft er kurz vorm Ende gescheitert ist. Oder sollte mich das jetzt eher beunruhigen? Man weiß es nicht so genau.
Bisschen Elo gab es dafür, zusammen mit dem Oberliga-Sieg aus dem Januar gibt es +29, was wiederum 2329 Elo bedeuten, natürlich ein neuer Höchststand. Gleichzeitig knackte ich auch erstmals die 2300 DWZ, immerhin läuft es im Schach bei mir richtig.
Die Ergebnisse des Pfalz-Opens sind auf Chess-Results.com ausgelagert, dort finden sich sogar Partien des A-Opens, immer bis Brett 30 erfasst. Also wird man von mir dort immerhin sechs Partien finden.