Das Internationale Neckar-Open ging 2015, wie immer über Ostern, in seine 19. Auflage, ist aber schon seit 20 Jahren kontinuierlich in Planung, wie Turnierleiter Sven Noppes mit etwas Stolz verkündete. Sozusagen war dies ein kleines Jubiläum, ein Vorgeschmack auf das tatsächliche Jubiläum 2016, welches vom 24. bis zum 28. März stattfinden wird.
Bei insgesamt 753 Teilnehmern in drei Opens durften natürlich auch Heilbronner Spieler nicht fehlen. Leider waren es nicht so viele Freiwillige wie dieses Jahr und bei nur einem Fahrer (mir) war die maximale Spieleranzahl auf 4 begrenzt. Im A-Open versuchte Thomas Tschlatscher neben mir sein Glück. Kim-Luca Wasielewski hatte gute Erinnerungen an das Neckar-Open und spielte im B-Open. Jonas Dudt wollte seine positive Tendenz im C-Open bestätigen.
Für die etwas Älteren unter uns spielte auch ein alter Bekannter mit: Nhi Huynh nahm den weiten Weg aus Paris auf sich, um am Neckar-Open teilzunehmen. Nhi war mittlerweile fast fertig mit dem Studium und würde nun in Paris anfangen zu arbeiten. Daher war es schön, einen alten Bekannten zu sehen, bevor es wohl für längere Zeit kein Wiedersehen geben würde.
Die Zielsetzungen waren aufgrund der unterschiedlichen Setzlistenpositionen und Erfahrungen im Schach unterschiedlich. Jonas wollte, an 20 gesetzt, wenigstens einmal an Brett 5 spielen (nicht nur für mich ein Understatement), Thomas wollte schauen, wo er nach einer längeren Schachpause steht, Kim-Luca wollte ein paar Stärkere ärgern und ich…auch ich wollte erstmal nur ein paar dicke Brocken ärgern, schielte aber mit einem Auge auf eine IM-Norm und einen zweistelligen Elo-Gewinn.
Hier muss ich die Leser noch vorwarnen; da ich größtenteils in der Gemeindehalle gespielt habe, in welcher die ersten 84 Bretter des A-Opens spielen sollten, habe ich nur in wenigen Runden einen genauen Überblick über die Partien all unserer Leute.
Nachdem wir alle heil und mit leicht schmerzenden Beinen (zu viert ist es nie bequem bei mir im Auto) kurz vor 17.00 Uhr ankamen – alleine von Stuttgart nach Deizisau brauchten wir aufgrund des Feierabendverkehrs 35 Minuten – war wie immer „warten“ angesagt, wodurch die 1. Runde traditionsgemäß später als angesetzt begann. Immerhin war es nicht so schlimm wie 2014, als ich erst um 1.30 nachts zu Hause ankam.
Bei der Auslosung hatte ich das „Glück“, am drittletzten Brett zu spielen und so ganz knapp einer sicheren Niederlage gegen GM Chao Li und co. zu entrinnen. Abgesehen davon muss man es natürlich hinkriegen, 397 Spieler im A-Open so zu paaren, dass gleich zwei Bekannte aufeinander treffen. So spielte ich mit Weiß gegen Nachwuchstalent Annmarie Mütsch, welche einigen Heilbronnern von Stadt- und Vereinsmeisterschaft bekannt sein wird. Glücklicherweise (im Sinne eines möglichst langen Schlafs) ging die Partie nicht so lange, da sie zwei grobe positionelle Fehler beging und ich dann noch mit einem Figurenopfer taktisch durchdringen konnte.
Thomas versuchte sein Glück gegen FM Bernhard Lutz (~2300). Eine nicht-ambitionierte Eröffnungswahl und ungenaues Spiel resultierten in einem schnellen Bauernverlust. Danach schien der Titelträger den Faden zu verlieren und Thomas bekam Gegenspiel. Leider griff er mit zu wenig Figuren an und so ging die Partie nach etwas Kampf verloren.
Auch Kim-Luca gewann nur an Erfahrung. Größtenteils war das in Erfahrung in der Form von „ich muss meine Eröffnungen überarbeiten“. In einem Albin-Gegengambit sorgte sein DWZ-favorisierter Gegner für eine relativ schnelle Partie, da er mit besseren Theoriekenntnissen und einer etwas höheren Spielstärke leicht eine überlegene Stellung erreichen konnte.
Jonas hingegen hatte als zweiter Erstrunden-Favorit neben mir kaum Probleme und fuhr nach kurzer Zeit den ganzen Punkt ein.
Die zweite Runde verspricht erfahrungsgemäß etwas härter zu werden und das wurde sie zumindest nominell.
Thomas befand sich sozusagen im „YOLO“-Modus (YOLO = you only live once, sozusagen das „carpe diem“ der Neuzeit) und opferte gegen einen weitaus schwächeren Gegner ohne besonderen Grund eine Figur. Auch ohne das Opfer hätte Thomas einen starken Angriff gehabt, da die weiße Bauernkette h3-g4 vor dem König leicht mit …h5 angehebelt werden konnte. Zwar stand der weiße König mal irgendwann im Zentrum rum, jedoch war kein Matt zu finden und so setzte sich das Material durch.
Kim-Luca war keineswegs beeinträchtigt von der Niederlage anfangs und schaffte es, seinen Gegner Holger Schröck in einem Endspiel gekonnt zu überspielen. Kim-Luca zeigte, in welchen Endspielen ein Springer einem Läufer überlegen ist und wieso bei verbundenen Freibauern wichtig ist, wie weit diese vorgerückt sind. Der Sieg war dann nur noch eine Frage der Zeit.
Jonas hatte dank eines einzügigen Dameneinstellers wieder keine Probleme.
Als „Underdog“ durfte ich mit Schwarz gegen FM Giso Jahncke (~2300). Der Name kam mir bekannt vor und nach etwas Stöbern im Internet wusste ich, warum. Wir hatten bereits mindestens zwei Mal auf chess24 gegeneinander geblitzt, wobei ich die letzten beiden Spiele gewinnen konnte. Mit 1. Sf3 wollte er wohl unangenehmen Eröffnungen ausweichen und wir fanden uns in einer Maroczy-Stellung wieder. Ich weiß nicht, ob er diese vorbereitet hatte (laut Datenbank hat er sie nie mit Weiß gespielt) oder ob er darauf gebaut hatte, dass ich mich nicht auskennen würde. Mit üblichen taktischen Motiven erreichte ich ein besseres Endspiel, verpasste aber einen präzisen Zug und ließ ihn mit Gegenspiel davonkommen, woraufhin ich ein Dauerschach erzwang.
In Runde 3 bekam ich leider nichts von den anderen mit, da sie alle vor mir fertig waren. Thomas fuhr seinen ersten Sieg ein, Jonas hatte mittlerweile sein Minimalziel erreicht und gewann an Brett 5, Kim-Luca hielt gegen einen nominell stärkeren Gegner remis.
Auch ich hatte einen nominell stärkeren Gegner, als Ausgleich dafür Weiß. Der Nachteil von zwei Runden an einem Tag ist, dass das Vorbereiten auf die Nachmittagsrunde fast unmöglich ist. So konnte ich nur 10 Minuten in die Vorbereitung investieren. Dafür ging meine Eröffnungswahl perfekt auf und Schwarz hatte keinerlei Perspektiven. Ab Zug 20 forcierte ich die Ereignisse und opferte einen Bauern, woraufhin er die einzige Ausgleichsfortsetzung nicht fand. Um die dritte Runde abzuschließen, füge ich ein Bild an:
Ich spielte 38. Te7…
Als Belohnung für meine positionell sehr stark vorgetragene Partie durfte ich mich mit Schwarz gegen IM Jonas Lampert (~2450) beweisen. Soweit ich weiß, ist/war er einer der Schachprinzen, einer Gruppe talentierter Jugendlicher, welche vom Deutschen Schachbund sehr stark gefördert werden. Andere Vertreter dieser Prinzengruppe sind die Noch-IMs Matthias Blübaum, Alexander Donchenko, Dennis Wagner (bald alle GM) und IM Rasmus Svane.
Mit dementsprechend wenig Erwartungen, aber auch Furcht vor einem verkorksten Start mit 1,5/4 nach 1,5/2 ging ich in die Partie. Erstaunlicherweise ging die Eröffnungsvorbereitung auf und er spielte eine meiner Meinung nach harmlose Variante, mein Gegner jedoch war bei der Analyse der Ansicht, dass ich einen schlechten 11. Zug gespielt hätte.
Er übersah interessanterweise eine taktische Wendung, an dessen Ende ich ein Endspiel erzwingen konnte, in dem ich zwei Läufer gegen Turm + zwei Bauern hatte. Wie das genau zu bewerten war, wusste keiner von uns beiden, da Weiß als „Kompensation“ bereits einen Freibauern hatte, im Gegensatz zu Schwarz. Als wäre ich von der Aura der Super-GMs beeinflusst worden, fand ich bei beginnender Zeitnot eine extrem präzise Zugfolge, bei der ich mit einem Läuferopfer seine zwei verbundenen Freibauern entschärfen und meinen h-Bauern zwangsweise umwandeln konnte. Folglich gab mein Gegner auf…die Partie ist hier eingebunden, Interessierte können und dürfen selbstverständlich Anregungen geben (habe sie noch nicht intensiv analysiert).
Kim-Luca konnte seinen positiven Trend nicht fortsetzen und verlor leider. Mittlerweile war uns auch klar, woran das lag, er spielte in aussichtsreichen Stellungen sehr oft passive, langsame Züge, die seinen Gegnern Raum und vor allem Zeit zum Angriff gaben. Leider ist das nicht der Kim-Luca, den wir alle kennen und hoffentlich bessert sich das mit etwas Training wieder.
Jonas hingegen war „on fire“ und setzte seine Siegesserie fort. Mit 4 aus 4 gehörte er nunmehr (für mich erwartungsgemäß) zu den Turnierfavoriten.
Thomas erwischte einen 2200er, welcher genauso schlecht wie Thomas selbst ins Turnier gestartet war. Zunächst sah es so aus, als ob Thomas wieder verlieren würde. Um meine Gedanken nachzuvollziehen, reicht es aus, sich weiße, gegnerische Bauern auf b4 und d4 und schwarze Bauern auf b5, c6 und d5 vorzustellen bei einem schwarzen Läufer auf b7. Erstaunlicherweise hatte Thomas ein gewonnenes Endspiel erreicht, als ich das zweite Mal zum Zuschauen kam, schließlich gewann er dann auch.
Runde 5 hielt für mich FM Hans-Joachim Vatter bereit. Für mich nur ganz vage bekannt, scheint er für Baden das zu sein, was Bernd-Michael Werner für Württemberg ist, nämlich eine Legende mit abnormal vielen Turnierauswertungen. An „BMW“’s Anzahl kommt FM Vatter („nur“ 341 Auswertungen inklusive Neckar-Open 2015) nicht ran, dafür ist er eben ein FM mit einer unheimlichen Erfahrung. Eine Vorbereitung hatte ich hier nicht wirklich, sondern bekam im Voraus nur ein paar Züge vom allseits bekannten und beliebten FM Ufuk Tuncer zugeflüstert, die ich dann auch mal ganz spontan aufs Brett brachte. Mein Gegner schien mit Schwarz nicht viel Aktives unternehmen zu wollen, sondern tauschte viel ab und landete in einem unterlegenen Endspiel. Einmal befolgte ich den Grundsatz „when you see a good move, look for a better one“ nicht und so landete ich in einer unklaren Stellung mit kleiner Qualität mehr, wobei eine klar gewonnene Stellung mit gedecktem Freibauern auf g6 möglich gewesen wäre. Nach Zeitnot-Hickhack und einem Streitfall, bei dem ungefähr 40 Leute zusahen, endete die Partie im doch irgendwie verdienten Remis.
Thomas spielte wieder gegen einen Spieler mit ~2200 remis, Jonas verlor leider und Kim-Luca konnte einen schwächeren Gegner wieder überwältigen.
Nach drei Runden Titelträger wartete mit Dominic Wisnet (2263) kein Titelträger auf mich. Ob Titel oder nicht, es änderte nichts daran, dass er einfach besser als ich gespielt hat und dementsprechend verdient gewann. Damit zerschlugen sich auch die meisten Hoffnungen auf eine Norm…
Bei Kim-Luca zeigte sich wieder das Marcel Mikeler-Syndrom (ich nenne es so, weil ich den grundsätzlichen Hang zum Passiv-Spielen zuerst bei Marcel gesehen habe) und er verlor wieder unnötig gegen einen DWZ-stärkeren Gegner, Jonas rochierte kurz und verlor unglücklich.
Nach dieser vierfachen Null stellten wir unsere Essgewohnheiten um und fuhren mal zu Kentucky Fried Chicken anstatt zu Burger King. Wenn man sich sowieso nur von Fast Food ernähren kann, dann ist Abwechslung wichtig 😉
Die Umstellung zeigte teilweise ihre Wirkung.
Wie nach der verkorksten dritten Runde wurde ich mit einem sehr starken Gegner belohnt und durfte mit Weiß gegen FM Jasper Broekmeulen (~2400). Er spielte eine sehr ungewöhnliche Eröffnung und wir erreichten ein Endspiel, in dem ich eine schlechte Bauernstruktur hatte, dafür den nominellen Vorteil Läufer vs. Springer. Um Gegenspiel zu erlangen, opferte ich einen meiner isolierten Bauern. Dabei nutzte ich sehr viele taktische Nuancen und ich hatte plötzlich trotz Minusbauer die Oberhand. Da die Stellung aufgrund seiner potenziellen Freibauern am Damenflügel unklar blieb, einigten wir uns auf ein Remis.
Thomas blieb vom Unglück verfolgt und hatte zum zweiten Mal am Tag eine Gewinnstellung so weit in den Sand gesetzt, dass er verlor. Jonas berappelte sich wieder und gewann gegen einen Gegner mit knapp 1400 DWZ (er selbst hatte ja bis jetzt nur 1200!), Kim-Luca besiegte mit einer meiner Eröffnungsempfehlungen einen in etwa gleich starken Gegner.
Für den letzten Tag hatten wir uns vorgenommen, wenigstens einmal 4/4 zu schaffen. Diese Hoffnungen wurden gleich zunichtegemacht, als Kim-Luca gegen einen stärkeren Gegner schön druckvoll spielte und eine Qualität gewann und danach sich wieder passiv zurückzog, nur um eine einzügige Bauerngabel zu übersehen. Mit Läuferpaar gegen Turm war es dann für den Gegner ein Leichtes.
Thomas‘ Gegner vergaß wohl den Wert einer gesunden Entwicklung komplett und schwächte mit f3 auch noch seinen Königsflügel und Bauern auf e3. Thomas durchdrang die Stellung für ihn typisch mit Opfern (dieses Mal korrekt) und setzte den weißen König Matt, als er auf g5 stand.
Jonas gewann auch noch, wieder auf sehr souveräne Weise. Es würde mich nicht wundern, wenn er nächstes Jahr mit über 1500 DWZ im B-Open spielen müsste.
Thilo Kabisch durfte sich für die Niederlage bei der WEM 2014 revanchieren. In einer sehr taktischen Partie sah er sein Motiv mehr als ich und gewann damit zu viel Material. Somit wurden aus 4/4 nur 2/4.
Die neunte Runde war zwar im A-Open nicht mehr die alles Entscheidende (dort hatte Chao Li mit einem halben Punkt Vorsprung und einer Weißpartie gegen GM Roland Schmaltz alles selbst in der Hand), dafür aber für uns. Thomas, Kim-Luca und ich wollten immerhin Schadensbegrenzung betreiben bzw. ich meinen zweistelligen Elo-Gewinn sichern, Jonas hingegen hatte noch alle Chancen auf das Podest.
Den Anfang machte wieder Kim-Luca. Vielleicht war es dem unglücklichen Turnierverlauf und dem ungewöhnlich passiven Spiel geschuldet, denn die Partie endete bereits nach knapp einer halben Stunde mit Remis. Da in der Zeit über 20 Züge gespielt wurden, denke ich mal, dass sowohl Weiß als auch Schwarz viele Möglichkeiten zum ergiebigeren Spielen ausgelassen haben.
Thomas folgte danach mit einem genauso ziemlich geschobenen Remis. Auch er ließ Möglichkeiten zum ambitionierteren Spiel aus, geriet dafür gegen einen Spieler mit ~2200 wieder nicht in Verlustgefahr. Alles in allem also ein Turnier, bei dem Thomas gezeigt hat, dass seine aktuelle Zahl ihm nicht gerecht wird und er mit etwas Arbeit wieder an seine alten starken Leitungen anknüpfen kann.
Ich hatte es mit einer talentierten, jungen Schweizerin zu tun, war aber durch ihre aktuelle Elo-Zahl (1990) zum Siegen verdammt, wenn ich das Turnier nicht mit einem negativen Score beenden wollte. Passend zur letzten Runde war sehr wenig Dynamik in der Partie und es wurde viel manövriert und laviert. Nach 25 Zügen wurde gerade mal ein Bauer abgetauscht. Letztendlich konnte ich die Stellung zu meinen Gunsten öffnen und schnürte sie komplett ein. Zum Abschluss gewann ich noch einen Turm.
Viel brisanter war die Situation im C-Open. Schnell war klar, dass mindestens zwei Leute 7,5 Punkte hatten und somit nur der dritte Platz frei war. Jonas gewann einen Bauern, tat sich aber bei der Verwertung sehr schwer und so lief die Partie unheimlich lange, was uns alle auf die Folter spannte. Glücklicherweise schaffte es Jonas zu gewinnen. Leider reichte es wegen Buchholz nur zum fünften Platz und auch beim größten DWZ-Sprung reichte es nur zum dritten Platz in der Wertung, auch wenn ein Sprung von 179 Punkten mehr als respektabel ist. Herzlichen Glückwunsch noch einmal von mir!
Den Abend ließen wir dann im Pizza Hut Stuttgart ausklingen. Die armen Leute hatten zwar offiziell um 22.00 Uhr Feierabend, jedoch war der Laden so voll, dass wir 22.45 Uhr Gäste am Essen waren. Das war nicht wirklich unsere Absicht, auch wenn die Pizza wie immer unheimlich lecker war.
Alle Daten und Ergebnisse findet man auf der offiziellen Seite.