Im Allgemeinen sind wir Heilbronner ja relativ turnierscheu, wodurch man uns (wenn überhaupt) nur auf den größeren Turnieren in der Nähe, wie dem Deizisauer Neckar-Open oder der Stuttgarter Stadtmeisterschaft, sieht. Wozu auch, daheim soll es immmer am Schönsten sein.
Da Esslingen jedoch relativ nah ist, entschieden sich der Berichterstatter und Thomas Tschlatscher dazu, bei den Württembergischen Schnellschachmeisterschaften teilzunehmen. Aufgrund eines weiteren Mitfahrers (Nikolas Pogan) hatte Thomas die Opferrolle und musste auf meiner unliebsamen Rückbank Platz finden (was noch weniger ein Vergnügen ist, wenn Niko vor einem sitzt…).
Angekommen stellten wir zunächst fest, was wir erwartet hatten: einige Spieler mit DWZ 2100-2300, was für Thomas bedeutete, um den Ratingpreis DWZ<2000 zu kämpfen, während ich (Setzplatz 29/120)...ja, ich konnte eh nichts gewinnen, für DWZ<2100 gab es keine Ratinggruppe und Jugendlicher bin ich schon länger nicht mehr. Einen Kritikpunkt muss ich hier auch gleich loswerden: in meinen Augen waren die Preise relativ ungerecht verteilt. Manche Preisgelder waren verhältnismäßig überzogen, was schlicht Preise für weniger Teilnehmer bedeutete. Eine Möglichkeit wäre hier in meinen Augen, die Preise allgemein etwas zu senken, um damit mehr Leuten Preise zur Verfügung zu stellen (z.B. Top 7). Beim Hinsetzen fiel uns noch etwas negativ auf: es war verdammt eng. Mit "120 Teilnehmer maximal" hatten die Veranstalter des SC Dicker Turm Esslingen - die ihren Job sonst gut gemacht haben - leider sehr knapp kalkuliert, denn es kamen genau 120 Teilnehmer. Selbst bei nur schlanken Menschen in einer Reihe hatte man große Mühe, angemessenen Platz zu finden. Zudem war der Spielort nicht wärmeisoliert, wodurch die einfallende Sonneneinstrahlung dafür sorgte, dass man sich wie in einem Treibhaus fühlte. Genug der Vorrede: es ging ans Brett. Weder Thomas als ich hatten wirkliche Probleme in der 1. Runde. Thomas war knapp am Ende der 1. Hälfte gesetzt, wodurch sein Gegner nicht sehr stark war. Auch ich konnte meinen Gegner positionell komplett überspielen (Rossolimo kann alles), der abschließende Figureneinsteller wäre nicht einmal nötig gewesen. Im Folgenden wird der kleine Bericht fast nur auf mich fixiert sein, da ich Thomas nur gegen Ende des Turniers nach seinen Ergebnissen fragte. Theoretisch hätte ich auch in der 2. Runde das Schicksal erspart bekommen, an den ersten Brettern zerlegt zu werden, jedoch wollte mich Swiss Chess unbedingt mit Schwarz an Brett 2 gegen FM Gerhard Junesch (2338, SC Erdmannhausen) spielen sehen. Nach 1. Sf3 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 stand ich vor der Wahl 3...d5 (im Geiste meines Grünfeld-Inders, auch wenn Weiß danach mit 4. cxd5 Sxd5 5. e4 Sxc3 6. dxc3!? Dxd1+ 7. Kxd1 ein leicht vorteilhaftes, langweiliges damenloses Mittelspiel erreichen kann - gar nicht mein Stil) oder 3...Lg7, in der Hoffnung, dass er 4. d4 fortsetzt. So nett sind starke Spieler leider nicht, es ging mit 4. e4 d6 5. d4 weiter - ein Königsinder, in dem ich zwar die Theorie kenne, die Stellung aber nie gespielt habe. Folglich gab es auch eine kleine Lehrstunde: mein Damenflügel wurde komplett entblättert, wodurch er einen Freibauern auf b4 bekam, während das Spiel gegen seinen König praktisch inexistent war. Dieser fühlte sich nämlich sehr wohl in der Mitte hinter den zentralen Bauernketten. Danach passierten aber viele kleine Wunder auf einmal: erst zog sich Weiß nach und nach ohne wirklichen Grund zurück, dann tauschte er beide starken Springer und plötzlich konnte ich den Hebel g4 durchsetzen, während er doch wieder rochiert hatte. Mit ca. 20 Sekunden auf der Uhr hatte ich das Wunder von Esslingen vollbracht und mattgesetzt. Runde 3 hielt FM Harald Keilhack (2155, SC Feuerbach) für mich bereit. Die Tarrasch-Verteidigung des Damengambits lief für mich als Weißer wie nach Plan - ich konnte so viele Figuren abtauschen, dass sein mittlerweile vorgerückter Isolani auf d4 kollabierte und sich auf d3 opferte, um mir zumindest eine Bauernschwäche zu verpassen. Beflügelt vom Sieg gegen FM Junesch spielte ich wohl doppelt so gut wie in jeder langen Partie, die ich diese Saison hatte, denn mein Gegner kam zu keinem Gegenspiel. Wirklich nichts. Im Gegenteil, er musste aufpassen, nicht mattzugehen. Schließlich konnte ich alles bis auf ein Turmpaar abtauschen und mein Mehrbauer, welcher den stolzen Weg e2xd3-d4xc5-c6 gegangen ist, um ein Freibauer zu werden, sah sehr mächtig aus. Irgendwie...ging es aber nicht voran. Könige sind in Turmendspielen eben starke Blockadefiguren, wenn der eigene Turm (wie es eigentlich sein sollte) hinter dem Bauern steht. Also ab ins ausgeglichene Bauernendspiel, mein Mehrbauer hatte das Zeitliche gesegnet. Leider merkte ich auch, wie mir die Partie langsam entglitt, mit jeweils einer Minute auf der Uhr stand ich sogar auf Verlust. Nach einer Partie, in der er sich nur verteidigte, sah mein Gegner das aber nicht und willigte ins Remis ein. Noch einmal Glück gehabt. Ein weiterer alter Bekannter wartete in Runde 4 auf mich: Thomas Heinl (2146, SK Lauffen) spielte mit Weiß gegen mich. Dürfte ich auch mal gegen einen Gegner spielen, der in etwa gleich stark ist und nicht gefühlt doppelt so gut? Naja, ich sollte mich nicht beklagen, denn auch diese Partie konnte ich für mich entscheiden. Aus Angst vor einer Niederlage wählte ich etwas Solideres (1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. Lb5+ Ld7, normalerweise antwortete ich hier ...Sd7, was zu sehr dynamischen, nicht-balancierten Stellungen führt). Er hatte jedoch schlicht einfach nicht weit genug gerechnet, als er mit seinem Turm auf c7 eindrang, da seine Dame von der Diagonale h2-b8 vertrieben werden konnte - der Turm wurde ein gefundenes Fressen für meine Dame auf d8. Letztlich opferte er seine Dame gegen Turm in der Hoffnung, in meiner Zeitnot Schwindelchancen zu bekommen, aber als auch noch ein Springer verloren ging, war auch diese Partie mit einem Sieg meinerseits vorbei. 3,5/4, könnte da tatsächlich etwas in Richtung Top 5 gehen, vor allem, da ich nicht einmal wirklich glücklich gewonnen hatte?! Leider wartete mit FM Wolfgang Schmid (2125, Stuttgarter SF) jemand auf mich, der mir einen Dämpfer verpasste, dabei hatte ich den Sieg klar auf dem Brett. Es ging los mit 1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cxd4 4. Dxd4...na toll. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nach 3.d4 erst einmal 3...Sf6 zu spielen (weder 4. dxc5 noch Lb5+ sind eine Gefahr), um Weiß zu 4. Sc3 zu zwingen, womit die Ungarische Variante (4. Dxd4) vermieden wird. Nach 4...Ld7 5. c4 wechselte ich dann von meinem üblichen Najdorf-Aufbau auf einen Igel-Aufbau, in dem 20 Züge lang manövriert wurde. Da auch mein Gegner keine Anstalten machte, in irgendeiner Weise die Stellung zu öffnen, wagte ich den Vorstoß ...d5, der mir zwar einen Isolani gab, aber durchaus gutes Gegenspiel mit sich brachte. Es hätte sich auch beinahe in Form eines weiteren Siegs ausgezahlt...mein Springer auf e2 hätte nur nach c3 hüpfen müssen, um das Turmpaar d1/d5 aufzugabeln. Den Turm hätte er zwar durch Turmtausch retten können, jedoch wäre dann ein Springer auf c5 ungedeckt gewesen - Figurengewinn. Jedoch sah ich nur ...Sf4, was nichts einbrachte - ein Fehler wie gegen Tomasz Turski im KO-Pokal, wo ich einen Springer in seiner ganzen Wirkungsweise ignoriert hatte. Das Endspiel mit Minusbauer war leider nicht mehr haltbar. In der 6. Runde traf ich auf Winfried Klehr (1983), einen Vereinskollegen von FM Keilhack. Wieder tat Rossolimo seinen Job. Jedoch auf sehr ungewöhnliche Weise, da sich das komplette Zentrum und mein Königsflügel auflöste, was sowohl den weißen König g1 als auch den schwarzen König e8 in lebensbedrohliche Gefahr brachte. Die Zeitnot tat dann noch sein Übriges. Irgendwie standen beide Könige auf Matt (zumindest schien es so, konkret konnte ich kaum noch etwas rechnen), jedoch war er am Zug. Glücklicherweise zog er erstmal seinen Läufer ohne Schach, um ein Mattnetz zu spinnen - und gab das Mattfeld d6 für meinen Turm frei. Freude! Meine allerletzten Top 5-Hoffnungen habe ich mir in Runde 7 selbst verbaut. In gewisser Weise kam die Hauptvariante des Grünfeld-Inders auf dem Brett, jedoch mit dem seltenen Zwischenzug Da4+. Auch FM Igor Neyman (2299, Stuttgarter SF) scheint wie FM Junesch den Grünfeld-Inder als Weißer nicht zu mögen. Finde ich sehr unfair gegenüber mir. Ein gewohntes Bild ergab sich zu meiner Freude, Weiß expandierte im Zentrum, ich am Damenflügel. Nach Damentausch erhöhte ich die Komplikationen, indem ich eine Qualität für zwei Bauern hergab. Das entstandene Endspiel war natürlich in der Theorie mehr als haltbar, jedoch war das mit den wenigen Minuten auf der Uhr leider nicht möglich. Meine Konzentration ließ langsam auch im Allgemeinen nach, da ich plötzlich Bauern einzügig stehen ließ... Die 8. Runde war nichts Besonderes. Mein Gegner Jürgen Ditter (2097, SC Grunbach) tauschte in einem Königsinder antipositionell auf d4. Einen Damenausflug nach h4 konnte ich mit Sd5 widerlegen, da dies drohte, auf c7 einen Bauern zu gewinnen und gleichzeitig die Türme zu gabeln. Mein Gegner wollte seinen Fehler jedoch nicht eingestehen, indem er den Bauern deckt, sondern fing an, Figuren zu opfern. Mit ausreichend Zeit behielt ich den Überblick und konnte meinen Mehrturm nach Hause schieben. Also blieb mit 5,5/8 noch ein letzter Angriff auf die Top 10 übrig. Daraus wurde leider auch nichts. Dies war tatsächlich auch eine traurige Partie...in gewisser Weise ist es auch traurig, dass ich Branimir Vujic (2306, SF Pfullingen) keinen wirklichen Kampf liefern konnte. Jedoch konnte ich mich einfach nicht mehr konzentrieren. Nach 1. d4 Sf6 2. Lf4 c5 3. e3 d5 4. Sc3 Sc6?? (Kommentar Thomas: "solche Fehler hast du gemacht, als du 1100 hattest") 5. Sb5 war es auch praktisch schon vorbei. Auch Thomas war glücklos in seinem Vorhaben. Mit 5/9, ebenso gegen einen ordentlichen Gegenerschnitt, scheiterte er knapp am Gewinn eines Ratingpreises. In seiner Ratinggruppe landete er auf dem undankbaren 4. Platz, wobei die ersten Drei einen Preis bekommen haben. Schade, vielleicht klappt es ein anderes Mal, außerdem hat er das Nikolaus-Open gewonnen, was auch eine Leistung ist 😉 Nach der Siegerehrung ging es schnell nach Hause, wodurch ich keinen Blick auf die Abschlusstabelle werfen konnte. Auf http://www.svw.info/referate/spielbetrieb/schnellschach/9779-wssm2014?showall=1&limitstart= werden aber sicher im Laufe der Zeit die Ergebnisse auftauchen.
Schade, Enis, klingt aber trotzdem nach einer alles in allem guten Leistung!!