Neben den regulären Ligen gibt es diese anderen Wettbewerbe, diese merkwürdigen, wo man rausfliegen kann, wenn man einen schlechten Tag hat.
Ein schlechter Tag hätte uns fast einen Pokal gekostet. Für den 3. Juli war die zentrale Endrunde des Unterlandpokals in Öhringen angekündigt, anlässlich des 75jährigen Jubiläums der TSG Öhringen. Wir müssen den Hohenlohern durchaus danken. Mit einem Sieg in Runde 1 räumten sie zuerst Lauffen aus dem Weg. Die Lauffener antworteten mit einem klassischen „rage quit“ hin und meldeten sich vom Wettbewerb ab. In Runde 2 und 3 trafen wir auf beide Mannschaften der TSG und besiegten sie (gut, im Unterlandpokal kommt es eh auf Brettpunkte an). Und jetzt richteten sie die Endrunde aus. Wunderbar!
Die Ausgangslage war trotzdem nicht prickelnd. Stand 2. Juli um 16:00 Uhr hatten wir abgesagt, weil keine Mannschaft. Nach nächtlichen Telefonaten und Zusammenraufen wurden doch vier Heilbronner entsandt: Ramin, Daniel, Kim-Luca und ich. Nun, immerhin ein starkes Team, um aus eigener Kraft den Turniersieg zu schaffen. Schließlich wurden wir in Runde 4 gegen Ludwigsburg gelost, welche 1,5 Punkte Vorsprung hatten. Ganz ungewohnt (und zum Glück ohne DWZ-Auswertung) wurde ich zur tragischen Figur. In einer schwierigen Stellung ließ ich meine Zeit zu sehr runterlaufen. Als ich dann irgendwie eine Figur gewann, hatte ich nur noch wenige Sekunden gegen 10 Minuten meines Gegners. Nun, ich zeigte wohl mein bestes Spiel, indem ich 3-4 Züge pro Sekunde schaffte, ohne eine einzige Figur umzuwerfen. Aber es reichte nur dazu, die Zeit meines Gegners auf 2 Minuten runterlaufen zu lassen. In meiner Jugend habe ich solche Dinger tatsächlich noch auf Zeit gewonnen…
Netto gesehen trotzdem eine Verbesserung der Lage, denn beim vietnamesischen Buffet gab es die Erdnusssoße mit allerlei Fleisch, z.B. paniertem Hähnchen, ein wahres Geschenk Gottes. Dank der Erdnusssoße war ich mir sicher, dass wir die 2,5 Punkte auch noch aufholen würden.
Aber da war noch etwas! Wir waren mittlerweile Dritter, da Öhringen I uns überholte. Der Stand war: Ludwigsburg 13,0; Öhringen 11,0; HSchV 10,5. Es gab also nur einen Fall, in welchem wir sicher gewinnen würden: Öhringen schlägt Ludwigsburg 3-1 und wir schlagen Besigheim 4-0. Und beides musste erstmal genau so kommen…
Der Anfang der letzten Runde versprach wenig. Armin Bauer geriet gegen Alexander Vaysberg direkt unter Druck und mein Gegner spielte ein symmetrisches Grünfeld. Ekelhaft. Aber ich würde nicht Magnus mit zweitem Vornamen heißen, wenn ich nicht noch ein komplett symmetrisches Turmendspiel zu einem Sieg gequetscht hätte.
Und mit der Zeit rückte das Unmögliche immer näher. An Brett 1 bei Öhringen – LB wurde in ein Endspiel abgewickelt, in welchem Armin Bauer klaren Vorteil hatte. Walter Schaffert stand früh schon schlecht und musste auch aufgeben. Mein alter Bekannter vom Yu-Gi-Oh!-Sammelkartenspiel, Daniel Pranjic, wurde übel vorgeführt. Plötzlich führte Öhringen 3-0! Und wir übrigens auch, da sowohl Ramin als auch Kim-Luca früh entscheidendes Material gewannen – in beiden Fällen jeweils eine Dame.
Somit waren nur noch die vierten Bretter interessant. Beim Kampf am Spitzentisch ging es drunter und drüber. Zuerst hatte der Ludwigsburger Spieler eine Qualität weniger, dafür aber zwei schöne zentrale Freibauern als Kompensation. Dann ging die Figur verloren, aber die Bauern rückten weiter vor. Und als der Öhringer Spieler seinen Mehrturm mit Schach hängen ließ, war es klar. Öhringen würde 3-1 gewinnen.
Sofort ging ich zu Daniel und sah, dass er in einem Damenendspiel zwei weit vorgerückte Freibauern hatte. Die Klippen umschiffte Daniel gekonnt. Alle Mattdrohungen oder Dauerschachideen wurden so abgewendet, als hätte Dvoretskys Geist Daniel besessen. Mit einem Gegenschach und anschließendem Damentausch zwang Daniel Antonio Florio zur Aufgabe.
Wirklich unglaublich. Öhringen gewann 3-1 und wir gewannen 4-0. Selbst als wir versucht haben, diesen Pokal nicht zu gewinnen, haben wir ihn gewonnen…danke Öhringen! Und danke Erdnusssoße!
Unterlandpokal
Bei der Siegerehrung verpasste ich nicht nur den Start des Großen Preis von Großbritannien, sondern wir wurden auch doppelt geehrt. Schließlich gewannen wir – zum ersten Mal überhaupt? – den KO-Pokal Unterland. Zuerst besiegten wir den SV Ivanchuk 3-0, danach schickten wir Lauffen 2,5-1,5 nach Hause, weil Gunnar Schnepp nach 10 Zügen Remis gegen mich gemacht hat und als ich wegen des Bodensee-Cups nicht da war, sprangen Thilo, Patrick, Daniel und Severin ein, um die SF HN-Biberach 2,5-1,5 zu gewinnen. Natürlich gewinnen wir diesen Wettbewerb, indem wir unseren Lokalrivalen besiegen, wie könnte es auch anders sein.
KO-Pokal
Beim KO-Pokal haben wir eine wechselhafte Geschichte hinter uns. Manchmal kegelten wir uns selbst aus dem Wettbewerb, dafür gewannen wir 2018 den Württembergischen KO-Pokal. Nur der große Wurf auf der Bundesebene fehlte noch, den wollte ich noch holen. Oder zumindest im Halbfinale von Deizisau rasiert werden.
Der Weg dahin schien machbar zu sein. Zuerst mussten wir den Zweitligisten Stuttgarter SF aus dem Weg räumen, no biggie. Danach würde der Endboss um die Qualifikation für die Bundesebene warten, SG Schramberg-Lauterbach, ein Bezirksligist aus dem Bezirk Alb-Schwarzwald.
Und auch der 10. Juli begann schlecht. Im Halbschlaf blickte ich auf mein Handy: zwei verpasste Anrufe von Tobias Peng. Natürlich hatte er mal wieder Probleme mit seiner Zugverbindung. Sein erster Zug würde aus irgendeinem Grund nicht in Stuttgart halten. Dadurch würde er 30 Minuten zu spät kommen. Also, wenn sich immer noch jemand fragt, wieso sich manche Leute partout nicht von öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig machen wollen…
Glücklicherweise waren unsere Gegner wenigstens gut drauf und sie drückten nicht einmal Tobias‘ Uhr, als wir das Spiel begannnen. Okay, Stuttgart war uns 70 DWZ-Punkte im Schnitt überlegen und unser stärkster Spieler (ich, nur zur Info) hatte Schwarz an 1, aber Tobias Peng hat mir für die 2. Liga ja viele Siege versprochen, dann kann er bei unserem Konkurrenten in der kommenden Saison anfangen!
Furios starteten wir an Brett 4. Dort spielte Lukas Forster eine Variante, welche Niclas Huschenbeth bei der EM 2021 benutzte, um seinen italienischen GM-Kollegen Vocaturo auszuschalten. Ich fand es nur witzig, weil mir die Partie damals aufgefallen war, aber es ist im Prinzip eine Wegwerfvariante. Dafür ist sie gegen einen unvorbereiteten Gegner eine gute Wahl, da das Spiel sehr konkret wird und ein Fehlgriff das Ende bedeuten kann. Bei Daniel war es eher eine Reihe an zweitbesten Zügen und schnell ging entscheidendes Material verloren, weil ein Freibauer auf g7 nicht mehr aufzuhalten war.
Und der zweite Streich folgte kurz danach. Tobias spielte gewohnt scharf, manche würden „unsolide“ sagen. Da er sah, dass Daniel verloren hatte, versuchte Tobias es mit der Brechstange. Aber es war dann eher so, dass er auf eine Harke trat, welche in sein Gesicht sprang. Um Chancen zu kreieren, parkte er seine Dame auf b8, in der Hoffnung, seinen a-Freibauern umzuwandeln. Währenddessen brach die schwarze Dame in die weiße Königsstellung ein. Gemeinsam mit zwei Bauern erwies sich die Verteidigungsstellung als unzureichend und Christian Beyer holte den zweiten Sieg für Stuttgart.
Damit lag es an Thilo (gegen Igor Neyman) und mir (gegen Volodymyr Vyval), die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Ich mache es kurz: bei Thilo war nichts zu holen. Neyman glich mühelos aus und es gab zumindest aus meiner Sicht nicht den Hauch einer Chance, auf Vorteil zu spielen. Auch ich hatte ein „0.00“-Endspiel vor mir. Aber ich erinnerte mich an meinen zweiten Vornamen und spielte weiter. Einfach ein bisschen die Türme hin- und herschieben, es wird sich schon eine Möglichkeit ergeben. Und plötzlich hatte mein Gegner eine schicksalhafte Entscheidung zu treffen.
Weiß am Zug kann entweder Tc4 spielen und meinen König absperren oder Td7+ spielen und einen saftigen, schmackhaften BAUERN gewinnen. Und stellt euch auch noch vor, dass euer Gegner nur noch auf Inkrement leben würde. Wer würde den Bauern nicht nehmen? Immerhin war das eine Chance, den grandiosen FIDE-Meister Enis Zuferi zu besiegen!
Naja, wahrscheinlich würden nur wenige verzichten. Darauf hoffte ich. So kam es. Mein Gegner, welcher ironischerweise sehr lange rechnete, spielte 57. Td7+? Kc6 58. Txf7?? Tf2! und schlagartig änderte sich sein Gesichtsausdruck. Er erwartete wohl 58…Kd5?, was tatsächlich Remis gewesen wäre. Nun ja, Weiß hat in jeder Variante eh nur Remis, also stelle ich mir die Frage, wieso man 57. Td7+ überhaupt in Erwägung ziehen sollte.
Hier ist meine Drohung 59…Tf1+ 60. Kb2 d2 -+. Mein Gegner versuchte noch 59. Kc1 Kd5 60. b5, aber selbst mit „nur Inkrement“ war es ein Leichtes, dieses Endspiel zu gewinnen.
Also Leute, was ist das Wichtigste in Turmendspielen?
#1 Aktivität des Turms
#2 Aktivität des Königs
#3 Bauern – Freibauern etc.
Und da ich bei allen drei Punkten überlegen war, sollte es niemanden überraschen, dass das Endspiel nach 58. Txf7?? verloren war – ohne nur einen einzigen Zug zu rechnen.
Aber es reichte nicht. So würde sich Carlsen wohl fühlen, wenn er für Norwegen bei der Olympiade antreten würde. Selbst wenn du den „God mode“ aktivierst, kann dein Team verlieren…
Nur in 2 von 3 Pokalwettbewerben erfolgreich. Eine wahre Null Komma Periode sechs.