Aufgrund der volatilen Corona-Situation wurde der Terminplan von SVW und DSB durcheinander gebracht sowie komprimiert. Daher wurde mit der diesjährigen Baden-Württembergischen Schnellschacheinzelmeisterschaft ein reines Online-Format als Novum ausprobiert.
Letztendlich fanden sich 28 Teilnehmer ein, um den diesjährigen Meister auszuspielen. Als Bonus qualifizierten sich die besten vier Württemberger für die Deutsche Schnellschacheinzelmeisterschaft, welche am 25./26. September in Lübeck stattfinden wird.
Das Turnier begann furios und lehrreich. So verlor der frischgebackene Deutsche Meister U18 Nils Richter (TSV Schönaich) gegen den 600 DWZ-Punkte schwächeren Justin Kulm aus Tuttlingen. Er hat jedoch nur acht Auswertungen hinter sich, die DWZ reflektiert seine wahre Spielstärke wahrscheinlich noch nicht. Auch ich musste in meiner „Dreierrolle“ als Organisator, Live-Kommentator und Spieler Federn lassen und zwar gegen den Württembergischen Meister U12, Ivan Chugunov vom SC Ostfildern.
Ich war sowieso auf eine zweischneidige Partie gefasst und die bekam ich auch. Jedoch spielte ich etwas zu übereifrig und der schwarze Angriff schien schneller als meine Initiative durchzudringen. Die in der oben abgebildeten Stellung beste Variante sah ich zum Teil in einer früheren Partiephase. Da ging sie jedoch nicht, also verwarf und vergaß ich die Idee. Ich hätte mich an mein eigenes Training zur Initiative erinnern sollen:
20. hxg6! (statt axb3?, was langfristig verliert) bxc2 21. Th8+!! Kh8 22. Th1+ Kg8 23. Sxe5! und nun droht Weiß Th8+ nebst Dh1+ und Dh7#. Hätte ich doch nur gesehen, dass ich einfach den Turm für ein Tempo aufgeben muss. Immerhin kann ich es darauf schieben, dass ich durch die Organisation und das Kommentieren abgelenkt war.
Aber auch Endspiele und Eröffnungen wurden heiß diskutiert. Bei Ersterem waren zwei Eppinger die Stars: FM Jonas Hacker und Veaceslav Cofman.
Ausschnitt aus Simona Gheng – Jonas Hacker, Runde 2.
Das ist ein elementares Turmendspiel und der weiße Turm steht sogar schon auf der dritten Reihe. Jedoch hat Weiß im Notfall einen anderen Plan: der König weicht auf die kurze Seite aus, während der Turm den schwarzen Bauern von hinten unter Beschuss nimmt. Sollte der schwarze Turm auf die f-Linie gehen, um den Bauern zu decken, so würde der weiße Turm auf die a-Linie gehen, um auf der langen Seite Schach zu geben. Remis.
Das hätte hier geschehen sollen. Mit 76. Kg1 würde Weiß problemlos Remis halten, obwohl die Dritte-Reihe-Verteidigung gebrochen wurde. Es folgte aber 76. Te1??, was verliert, denn die passive Verteidigung hält nicht gegen den f-Bauern. Hacker gewann.
Cofman verpasste in seiner Partie gegen Nils Richter den Aufbau der Sechste-Reihe-Verteidigung, trotzdem blieb die Stellung Remis. Aufgrund von Zeitnot beging er einen entscheidenden Fehler:
Schwarz spielte 64…Tc2?? – konkret leider falsch. Nach 65. c6 Tc1 66. Th2! Ta1 (erzwungen) hätte nur noch 67. Tc2 +- geschehen müssen, denn die schwarzen Figuren können den Bauern nicht mehr aufhalten. Es wird mindestens zur Lucena-Stellung kommen. Jedoch geschah 67. Kd7?? Td1+?? 68. Kc8 +-. Mit 67…Tg1! hätte Schwarz das Remis erreicht, wie aufmerksame Leser sicher gemerkt haben. Die lange Seite ist hier gerade so lang genug, da zwischen dem c-Bauern und den Schachfeldern g6, g7 und g8 drei Felder Abstand sind. Im Falle von 67. Kd7 Tg1! 68. Ta2+ Kb6 kann Weiß keine Fortschritte machen, also 68. Th7 Tg8! 69. c7 Kb7 =.
Aber so wie es am Anfang Überraschungen gab, stabilisierten sich die meisten Favoriten, während die Jungspunde das Niveau langfristig nicht halten konnten. Dennoch erreichten Justin Kulm und Ivan Chugunov mit Platz 9 und 10 respektable Endergebnisse. Nils Richter konnte mich in einer sehr präzise gespielten Partie bezwingen und erreicht in der mithilfe von Buchholz errechneten Abschlusstabelle den 4. Platz. Veaceslav Cofman und Jonas Hacker hängten sich als beste Badener Spieler an den Deutschen Meister ran, sie belegten die Plätze 5 und 6. Das Podium bestiegen IM Mark Kvetny (Stuttgarter SF, 3. Platz) und FM Sebastian Fischer (SF Deizisau, 2. Platz). Alle erwähnten Spieler werden in knapp zwei Wochen in Lübeck um den Deutschen Meistertitel kämpfen. Erneut gratuliere ich herzlich und wünsche viel Erfolg.
Das Beste kommt jedoch zum Schluss. Wer hat denn eigentlich gewonnen? Nun, ich war es nicht, denn ich musste kurzfristig nach Runde 5 aussteigen und mit 3/5 wäre das sowieso nichts geworden. Gewonnen hat der Schrecken jedes gut vorbereiteten, seriösen Spielers, der Mensch, welcher bei kürzeren Bedenkzeiten einen „beast mode“ besitzt, den ich mir nicht erklären kann. Von Anfang an dominierte er das Turnier und stand bereits vor der letzten Runde mit 7,5/8 als Meister fest. Er besiegte Fischer, Hacker, Richter, FM Simon Degenhard (Rang 11, leider nicht sein bester Tag) und Benedikt Dauner (DWZ 2141, Rang 7, SF Forst/Baden), während er nur gegen Kvetny ein Remis abgeben musste – wobei er selbst zugeben müsste, dass er damit gut bedient war. Ebenfalls bei den Deutschen Meisterschaften wird Tobias Peng antreten, welcher gezeigt hat, welches Potenzial in ihm steckt. Nur Cofman konnte ihn in der letzten Runde besiegen. Als Heilbronner freut mich dies natürlich doppelt, daher auch explizit an Tobias herzlichen Glückwunsch!
Symptomatisch für sein Spiel lasse ich unkommentiert seinen Schwarzsieg gegen Hacker da. Hey Robin, es ist wieder Traxler!
Alle Ergebnisse und Partien können hier abgerufen werden.
Mein Live-Stream (bis Runde 5): Twitch HSchV
Tobias Pengs Live-Stream (bis Runde 5): Link 1, ab Runde 6: Link 2
Hey Enis, danke für den Bericht! Habe nicht gegen Cofman gewonnen, aber gegen Fischer, gegen den ich kurioserweise in der ersten Runde gleich kam. War wohl rückblickend ein wichtiger Sieg 😀
Tatsache, hab die beiden in der Eile verwechselt. Ist korrigiert.
Wirklich affenstark, Tobi! Vor allem die Traxler-Partie!
6.Lb3 ist von den 3 Läuferrückzügen der schwächste. Den Sg5 ohne Not zurückzuziehen ist ebenfalls fragwürdig. Und Le3 ist der falsche Plan. Und so was will fast 2400 haben. Schnellschach hat halt seinen eigenen Gesetze.
Sogar schlechter als 6. Lc4, obwohl der Läufer rumhängt und …d5 mit Tempo kommen könnte?
Erstaunlicherweise ist 6.Lc4 richtig gut; die wichtigsten Varianten: … De8 7.Sc3 Tf8 8.0-0 Dg6 9.d3 d6 10.Sd5+ Kd8 11.c3 Lg4 12.De1 h6 13.d4 exd4 14.Se6+ Lxe6 15.Sf4
7. … Sd4 8.d3 d6 9.Sd5+ Sxd5 10.Lxd5 Dg6 11.c3 h6 12.cxd4 Lxd4 13.f4 exf4 14.Sf3 Dxg2 15.Tf1 Lh3 16.De2 und das Endspiel ist angeblich besser für Weiß
In der ruhigen Variante 7. … h6 8.Sf3 d6 9.0-0 Tf8 zeigt der Läuferrückzug 10.Le2 die Vorteile von Lc4. Aber weil mir die oberen beiden Enginevarianten zu unnötig risikoreich erscheinen, folge ich Keres‘ Empfehlung 6.Ld5 mit der Idee schnell zu c3 und d4 zu kommen. Da kann Schwarz einem zwar den F-Bauern verdoppeln, aber der stützt dann das Zentrum.
Im Schnellschach ist Tobias‘ hyperaggressiver Stil anscheinend genau das richtige. Und gegen nominell überlegene Gegner soll man ja das Chaos suchen.
P.S. Wieso kenn ich eigentlich Theorie in einer abstrusen Variante, welche ich noch nie in einer langen Partie auf dem Brett hatte und wahrscheinlich auch nie haben werde?
Hahaha sehr gut. Weiß ich nicht, vielleicht packst du irgendwann 1. e4 aus und dein Kontrahent will dich mit Traxler überraschen, aber er weiß nicht, dass er sich damit sein eigenes Grab schaufelt…
Jedenfalls danke, wieder etwas gelernt. Auf d5 wurde der Läufer immerhin e4 decken, auf b3 steht er echt nur rum. Tatsächlich mag die Engine Lc4 auch am Meisten.
Ja, aber Tobias ist auch nicht unbesiegbar. Ich glaube, manche Gegner wollten es zu sehr wissen und haben sich freiwillig auf zweischneidige Stellungen eingelassen. Tobias ist echt schnell darin, kurze Taktiken zu sehen und spielt dementsprechend aggressiv.