Jeder (bis auf meine Wenigkeit) hatte bereits seine Weihnachtsgeschenke bekommen, welche sicher über den Fakt hinwegtrösteten, dass wir weder weiße noch sonst irgendwie winterliche Weihnachten hatten. Bei gut 10 Grad und natürlich keinem Schnee durfte man sich gerne herbstlich einrichten. Für unsere Reise nach Borken (Nordrhein-Westfalen, nahe der deutsch-niederländischen Grenze) konnte das ja nur bedeuten, dass es sicher nicht kälter sein könnte, schließlich liegt Heilbronn ein paar Meter mehr über Normalhöhennull als Borken…
Natürlich falsch gedacht. Nach etwas mehr als vier Stunden Fahrt inklusive Zwischenstopp bei unserem favorisierten Schnell-Energielieferanten (Tipp: die wichtigste Figur im Schach kommt im Namen vor) stiegen wir guter Dinge vor der Jugendburg Gemen im gleichnamigen Stadtteil Borkens aus, nur um quasi schockgefrostetet zu werden. Ein Blick auf das Smartphone verriet direkt, dass dort Minusgrade herrschten. Patrick begrüßte uns zitternd mit seinem Bruder Philipp (er betreute die Mannschaft des SC Erlangen) und führte uns zu unseren Zimmern. Durch unsere unfreiwillige späte Buchung wurde ich in ein anderes Haus gesteckt, sodass wir uns so fühlten, als würden wir an zwei verschiedenen Enden des großen Landes China wohnen. Sei’s drum, mein Zimmer benutzte ich eh nur, um (schrecklich wenig) zu schlafen…
Waren wir in den vorläufigen Listen an 12 gesetzt, erwarteten wir, noch weiter nach vorne zu rutschen – schließlich waren wir in Top-Besetzung da, während bei den Gegnern tendenziell immer Spieler fehlten. Dabei hatten wir das Glück, an Setzlistenplatz 9 zu rutschen – bei 16 Teams bedeutete das ein Duell gegen die topgesetzten Eppinger.
Für dieses Spiel müssten wir in der BW-Liga maximal 30 Kilometer reisen und jetzt waren es gleich 400 mehr. Das letzte direkte Aufeinandertreffen gewannen wir deutlich mit 4,5:1,5, das war den Eppingern sicher eine Gedächtnisstütze dafür, dieses Mal keinen ihrer drei Titelträger aussetzen zu lassen. Sie rotierten nur an Brett 6 mit einem ähnlich starken Spieler durch, wobei gerade dieser Spieler (ohne dass er wusste, dass wir zuhörten) rumtönte, dass Eppingen uns 6:0 abfertigen würde…
Gut fing es nicht an. An den vorderen Bretten demonstrierte Eppingen seine bis zu 400 Punkte große Überlegenheit. Tobias und Patrick landeten gleich nach der Eröffnung gegen IM Christopher Noe bzw. FM Jonas Hacker in strategisch äußerst fragwürdigen Stellungen. Patrick litt auch nicht besonders lange, nach ca. 2 Stunden gingen die Badener in Führung. Während er genau wusste, dass er schlechter stand, hatte Tobias wohl irgendwie nicht gut geschlafen und meinte, seine Stellung ohne schwarzfeldrigen Läufer bei sämtlichen Bauern auf weiß wäre auf lange Sicht haltbar. Zwar beschleunigte ein Einsteller seinen Niedergang, aber dennoch war seine Einschätzung eher daneben.
Simon hielt sich an Brett 3 wacker gegen FM Danijel Gibicar und hatte in der Partie durchaus Chancen, in spürbaren Vorteil zu kommen. Leider ließ er im falschen Moment zu, dass der schwarze Läufer aktiv wird, während seiner nur noch ein passives Dasein auf der Grundreihe fristete. Den Bauern- und Stellungsvorteil ließ sich Simons Gegner dann nicht mehr nehmen.
Ein Duell ironischer Natur sahen wir an 6. Dmitry, der genau wusste, was sein Gegner von uns hielt, spielte das Mittelspiel zu langsam und folglich nicht gut. Gerade als es 3:0 für Eppingen stand, kippte die Partie plötzlich. Der Eppinger Nachwuchsspieler beging unerklärliche Fehler, die Dmitry eiskalt ausnutzte. Mit größtenteils sauberer Technik verkürzte er zum 3:1. Man muss noch hinzufügen, dass diese Partie wortwörtlich in die Hose gegangen wäre – mit weniger als zwei Minuten auf der Uhr bei mehr als 10 Zügen bis zur Zeitkontrolle musste sich Dmitry vom Schiedsrichter eine Sondererlaubnis einholen, die Uhr anzuhalten und auf die Toilette zu gehen.
Das groß angekündigte 6:0 war damit verhindert.
Dieser Sieg war dann aber nur noch Kosmetik. Kim-Luca und Marcel hatten beide schwierige Mittelspielstellungen. Während Kim-Luca direkt ein ausgeglichenes Endspiel erzwingen konnte, musste Marcel fünfeinhalb Stunden kämpfen, um ein Remis-Endspiel zu erzwingen. Leider warfen beide ihre Partien durch Einsteller weg und so verloren wir 5:1.
Eine Niederlage hatten wir durchaus erwartet und durch die Überlegenheit an den vorderen Brettern war auch die Höhe akzeptabel, wenngleich die Partieverläufe auf etwas mehr hoffen ließen. In der Nachmittagsrunde stand und mit König Plauen (Brandenburg) ein mehr als machbarer Gegner vor der Tür. Die einzige Gefahr bestand darin, dass unsere Gegner durchweg 18-1900 DWZ hatten – hinten verlieren und vorne nur Remis war also durchaus drin. Letztendlich sah man aber über die Spielzeit hinweg, dass wir insgesamt doch überlegen waren. In den meisten kritischen Stellungen kippten die Bewertungen zu unserem Gunsten. Theoretisch wäre auch ein 6:0 drin gewesen. Kim-Luca gab in einer leicht vorteilhaften, aber nicht ganz einfach zu spielenden Stellung, seinem Gegner ein Remis und Dmitry übersah in einer Zeitnotschlacht den Gewinnweg. Zwar stand sein Gegner am Ende auf Gewinn, aber dieser bot tatsächlich nach der Zeitkontrolle Remis an, weil er sich durch das Nicht-Aufschreiben von Zügen einen unfairen Vorteil verschafft hatte. Sachen gibt’s! Somit gewannen wir 5:1 statt 4,5:1,5.
Etwas peinlich war Simons Sieg:
Sein Gegner spielte hier Se4?? und…gab natürlich auf…
Für die nächste Morgenrunde stand ein „Auswärtsspiel“ gegen die SG Bochum an. Wer mich kennt, weiß, dass ich familiär ein paar Verbindungen nach Bochum habe, wodurch ich beschloss, unsere Jungs nicht vorzubereiten…nein Spaß. Dadurch, dass manche Leute lieber blitzen anstatt sich entspannen und vorbereiten wollten, fiel die Vorbereitung an manchen Brettern eher dürftig aus. Das erwies sich glücklicherweise nicht als Problem. Tobias spielte Französisch-Abtausch – mit Weiß. Er kann sich also auf Ärger von Robin gefasst machen, wenn er mal in der Ersten spielt. Es muss wohl eine Art Einschläferungstaktik sein, denn sein Gegner stellte plötzlich seinen h-Bauern ein. Im Königsangriff mit Dame und zwei Springern hatte Tobias dann leichtes Spiel.
An 6 kam Daniel zu seiner Premiere bei einer Deutschen Meisterschaft. Er spielte die Eröffnung auch ordentlich, gewann einen Zentralbauern und erwehrte sich kurz eines gegnerischen Angriffs. Plötzlich stellte er seine Figuren aber so ungeschickt hin, dass seine Dame verloren ging. Auch wenn er seine Dame durch einen Trick zurückgewann, verlor er die Partie dennoch, weil er bei einer Minusqualität nicht die richtigen Verteidigungszüge fand.
Ein weiterer Dämpfer ereilte uns an Brett 5. Kim-Luca spielte seiner Art getreu und startete einen konsequenten Angriff am Königsflügel. Zwar hätte er mehr haben können, aber ein Qualitätsgewinn schien ausreichend. Danach wirkte es, als würde Kim-Lucas Double am Brett spielen, denn es ging nicht mehr nach vorne und es wurde unnötig Material eingestellt. Dies war die Führung für Bochum.
Unsere vorderen Bretter bügelten das wieder aus. Patrick spielte eine sehr gute, geduldig angelegte Partie im Caro-Kann und überspielte seinen Gegner langsam, aber sicher. Simon drückte in einer Maroczy-Stellung und befolgte meinen Rat, einfach mal nichts zu machen – prompt spielte sein Gegner viel zu unvorbereitet …d6-d5 und die schwarze Stellung zerbröselte völlig. Dies war der Sieg, denn zuvor erreichte Marcel aus einer schlechten Stellung heraus ein ausgeglichenes Turmendspiel, in dem er bis zum Remisschluss nichts mehr anbrennen ließ.
Am zweiten Nachmittag spielten wir zum ersten Mal wirklich am Livebrett – aus eigener Kraft erspielt, nicht durch Auslosung. Der Doppelbauer Kiel stand uns im Weg und wie man als guter Schachspieler weiß, gilt die Faustregel „Doppelbauern sind schlecht“ ganz und gar nicht!
Im letzten Jahr trotzten wir den Norddeutschen noch ein 3:3 ab, auch dieses Mal fing es gar nicht so schlecht an. Die Eröffnung von Kim-Lucas Gegner sah nach einem großen Nichts aus, Dmitry brachte fast unsere Vorbereitung aufs Brett, Patrick stand einfach besser und auch Marcel bekam eine Art seiner Vorbereitung hin. Leider galt nicht „es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ – Dmitry vertauschte die Züge und fand sich in einer unangenehmen Situation wieder, in welcher er einfach eine grundlegend falsche Entscheidung traf. Kim-Luca spielte einfach grundsätzlich zu passiv und ließ seinen Damenläufer auf den Feldern d7 und c8 verschimmeln. Patrick erlaubte seinem Gegner, die Stellung zu verkomplizieren, obwohl sie immer noch objektiv besser war. Weil er nicht weiterwusste, willigte er in eine Zugwiederholung ein. An Brett 5 ließen wir uns einfach überrollen und Tobias kam einfach schrecklich aus der Eröffnung, sodass wir früh in Zugzwang waren.
Für einen kleinen Lichtblick sorgte Marcel. Sein Gegner ließ einfach zu, dass seine Dame durch ein paar forcierte und logische Züge gefangen wird. Sachen gibt’s! Nun lag es an Simon und Dmitry. Letzterer kämpfte sich gut zurück, verpasste dann aber eine Chance, in Vorteil zu gehen. Sein Gegner verwaltete daraufhin seine bessere Stellung mit dem Läuferpaar, ohne weitere Chancen zu geben.
Die tragische Figur wurde Simon. Zwar hatten wir schon verloren, aber er versuchte weiter alles, um seine klar bessere Stellung umzumünzen. Irgendwann greifen leider Ermüdungserscheinungen um sich – oder Simons Gehirn erfror, denn auch im Spielsaal war es manchmal kalt – und Simon versaute seine Stellung vollkommen, dass er noch verlor. Seine Niederlage spiegelte überhaupt nicht die Spielstärke beider Spieler wieder, aber solche Dinge passieren nun einmal. Hier noch eine der kritischen Stellungen aus Simons Partie – Weiß hat grad mit b4!? ein weiteres Störfeuer gelegt, wie hätte Simon reagieren sollen?
Eine unglückliche und in der Höhe nicht ganz verdiente Niederlage, aber mit 4-4 Mannschaftspunkten war noch nichts verloren, denn es waren drei Runden zu spielen. Dies bedeutete gleichzeitig, dass mehr als die Hälfte des Turniers vorüber war, viel konnten wir uns daher nicht mehr erlauben!
In Runde 5 galt es auch noch eine persönliche Konkurrenz zu überwinden: tatsächlich bekamen wir es mit dem SC Erlangen zu tun, wodurch das Duell nicht nur ein Match von Spielern war, die sich untereinander verstanden, sondern gewissermaßen auch ein Duell „wer ist der bessere Betreuer?“. Dadurch, dass die Runde morgens war und Philipp mit mir auf einem Zimmer, wurde das Ganze trotz Freundschaft taktischer, als gedacht, so platzte ich versehentlich (wirklich!) mitten in Philipps Vorbereitung rein. Einen Vorteil erzwang ich dadurch, dass zwei bayerische Spieler noch lange auf unserem Zimmer waren, mit so einem Schlafmangel konnten sie nur verlieren.
Wie gewohnt machte ich mich morgens auf, um das Grauen live mitzuerleben, während Philipp standardmäßig erst um 12:30 Uhr aufstand und bis dahin von mit per WhatsApp mit Informationen versorgt wurde. Das „Grauen“ war dabei leider nicht sprichwörtlich gemeint.
Kim-Luca rannte sicher in eine Art Vorbereitung und versaute sein Evans-Gambit damit merklich. Zwischenzeitlich hatte er einfach drei Bauern mit sehr schemenhafter Kompensation weniger. Hier wirkte dann meine „Vorbereitung“: Kim-Lucas Gegner war einer der Spieler, die lange bei uns waren und so war der spielentscheidende Patzer nicht weit entfernt. Mit plötzlich präzisen Zügen war der weiße Druck bereits nach fünf Zügen so stark, dass es 1:0 für uns stand. In Sachen Eröffnungsvorbereitung gebe ich aber mal Philipp den Punkt.
Danach folgten eine Reihe an Remis, die aber nicht unbedingt ereignisarm waren. Patrick und sein Gegner wussten ganz genau, was der jeweils andere spielt und beide wichen nicht davon ab (dass Patrick mich am Vorabend 45 Minuten mit der Frage penetrierte, was er denn spielen sollte, bevor er dann sagte „ich spiel einfach Caro-Kann, was soll’s“…war nicht prickelnd). Nach der Eröffnung gab der junge Kevin Tong einfach mal zwei Bauern auf. Patrick spielte in der Folge aber genauso eher weniger genau und gab die Qualität für einen weiteren Bauern auf. Infolgedessen fing Patrick an, sehr lange zu überlegen – oder besser: seine Zeit zu verschwenden – bis er sich dann dazu entschloss, folgende, witzige Zugwiederholung zu erzwingen:
Auf Sb7 folgt einfach Kc6 und der Springer muss zurück nach d8!
Bei Marcel war ausnahmsweise wenig los. In einem schottischen Gambit glich er problemlos aus. Es wurde sukzessive alles abgetauscht und die Stellungsbewertung „ausgeglichen“ blieb bis zum Remisschluss im Turmendspiel fast kontinuerlich bestehen. Kurz taumelte Marcel, aber sein Gegner ergriff die Chance nicht. Achja, den Punkt für die Eröffnungsvorbereitung nehme ich mir mal, auch wenn die Partie remis ausging.
Auch bei Tobias an Brett 1 gönne ich mir einen Sieg in der Vorbereitung, einfach, weil das Erlanger Brett 1 kurz nach Rundenstart zu mir kam und mich mit Verzweiflung in der Stimme fragte „seit wann spielt Peng 1. d4?“. Da Schwarz nicht seine Stamm-Eröffnung spielte, sah das nicht 100% nach Theorie aus, aber letztendlich erreichte Tobias eine Maroczy-ähnliche Stellung. Sein Gegner half ihm auch noch dabei, die richtigen Leichtfiguren zu tauschen, wodurch Tobias sich einen schwächelnden Bauern auf b6 einverleiben konnte. Danach war er sehr damit beschäftigt, seine eigenen Schwächen zu decken, wodurch er seinem König eine etwas…aktivere Rolle zukommen ließ:
Glücklicherweise wurde hier bald Remis vereinbart, bevor ich einen Herzinfarkt bekam, aber das hielt Tobias nicht davon ab, mir zu sagen, dass seine Stellung hier vollkommen okay sei…der PC gibt …Txb5 Dxb5 Tb8 mit starker Kompensation an, jedoch reichte es mir schon, dass Tobias die Stellung nach meinem Vorschlag …Txb5 Dxb5 Df2!? auch nicht halten konnte, egal, wie oft er es gegen mich versuchte (PC zeigt da 0.00 an).
Damit blieben noch Simon und Dmitry. Im Wissen, meine gebrechliche Seele zu schützen, gewann Simon seine Partie, bevor Dmitry aufgab. Auch bei Simon ging die (eigens gekochte) Vorbereitung auf, es wurde ein angenommenes Damengambit, in dem Simon eine angenehme Mittelspielstellung erreichte. Hier wurde Raum gewonnen, dort ein Bauer künstlich isoliert und da eine Figur schlechtgestellt. Weiß stand zwar praktisch auf Gewinn, aber ein Figureneinsteller war sicher nicht erzwungen und sicher dem Schlafmangel geschuldet. Ebenso bei Dmitry, er gewann trocken Bauern aus der Eröffnung heraus, stellte dafür seine Dame in Zeitnot ein – auch hier kann etwas mit der nächtlichen Ruhe nicht gestimmt haben (selbstverständlich weise ich alle Schuld von mir!).
Dieses wegweisende Duell gewannen wir 3,5:2,5 und waren damit „back on track“ – try again next year, Erlangen (maybe)!
In der vorletzten Runde bekamen wir es mit einem Fast-Lokalmatador zu tun, den SF Brackel (Dortmund). Über diese Runde gibt es tatsächlich wenig zu berichten, so trocken war sie. An Brett 1 spielte Tobias‘ Gegner die Te1-Variante in der Berliner Mauer, die Partie war zum Einschlafen. Tobias schoss wieder über alle Grenzen hinaus und meinte tatsächlich, er wäre irgendwann auf Gewinn gestanden – ich wusste nicht, ob ich massiv lachen oder ihm eine Ansage machen sollte. Nebenbei: Nur sein Gegner hatte mal +0,75 aufgrund des Läuferpaars.
Ebenso bei Marcel, auf mein Anraten hin spielte er Slawisch-Abtausch, holte aber nichts raus; möglicherweise hat Philipp Recht damit, dass Marcel einfach nicht der Typ ist, aus „wenig“ etwas zu machen, auch hier ein Remis.
Bei Daniel lief es leider wie in seiner ersten Partie: Als er sehr gut aus der Eröffnung kam, meinte er, alles mit Zauberei zu lösen und verrechnete sich stattdessen. Anschließend stellte er alles ein und verlor unnötig.
Simons Gegner nahm durch eine Art Alapin-Variante schnell das Tempo aus der Partie. Mit dem nominellen Vorteil des Läuferpaars konnte er wenig anfangen und so erlaubte ich ihm, Remis zu machen, als sein Gegner einen Bauern gewann. Zwar war die Stellung objektiv besser für Schwarz (was ich erahnte), aber meine Befürchtung war, dass Simon nicht sah, was er tun sollte, was sich auch so bei der Analyse bestätigte.
Kim-Luca nahm den Schwung aus dem vorherigen Sieg nicht mit. Als er die Initiative in seiner Partie übernahm, vergaß er wohl konkret zu rechnen und überging einen gesunden Bauerngewinn. Stattdessen ließ er sich schrittweise zurückdrängen und verlor letztendlich einen Bauern. Über das anschließende Läuferendspiel will ich gar nicht reden, selbst wenn es theoretisch verloren gewesen sein soll.
Der einzige Lichtblick war Patrick. Nach einer holprigen Eröffnung überspielte er seinen Gegner im Mittelspiel. Irgendwann hingen zahlreiche schwarze Figuren, die nicht alle gerettet werden konnten. Leider war dieser Sieg nicht genug und wir verloren 2,5:3,5.
Dennoch waren wir minimal glücklich darüber, denn unsere Gegner wurden gegen Sasbach gelost, welche zu 99,9% bereits Deutscher Meister waren und bis dahin fast alles in Grund und Boden spielten. Wir hingegen bekamen es mit „Mattnetz Berlin“ zu tun, da war doch was? Nein, nicht ganz mit Mattnetz, aber letztes Jahr begann unser Versagen gegen den Berliner Vertreter „Zitadelle Spandau“, sollten uns wieder Hauptstädter ausbremsen?
Ich nehme es vorweg, weil die Überschrift es auch schon tut: Nein. Glücklicherweise gerieten wir in kein einziges Mattnetz (ha-ha), auf lange Strecke machte sich unsere Überlegenheit bemerkbar. Tobias brachte seine Vorbereitung aufs Brett, machte aber bei seiner ersten eigenen Entscheidung etwas Falsches. Den Rest der Partie war er mit Ausgleichen beschäftigt, sein Remis war jedoch nie gefährdet.
Im Gegensatz zum Spiel gegen Erlangen stellte Patrick keine Qualität ein, sondern opferte sie für das Läuferpaar und einen zentralen Freibauern. Die Stellung befand sich immer im dynamischen Gleichgewicht; als Patrick jedoch anfing, sie zu versauen, war sein Gegner glücklicherweise noch mit Remis zufrieden und nahm das Angebot an.
Simon spielte wieder einmal seinen Zukertort-Aufbau mit verzögertem c2-c4. Im Mittelspiel hatte er eine Schwäche auf c5 und einen König zum Angreifen, sodass er zwischenzeitlich sogar ca. +7 stand. Da er die taktische Lösung nicht fand, musste er einen kleinen positionellen Vorteil ausquetschen, was nur eine Frage der Zeit war; Führung!
Kim-Luca spielte im „mir ist alles egal“-Modus und doste seinen jungen Gegner in einem Vorstoß-Franzosen einfach ein. Ein versöhnlicher Abschluss eines unglücklich gelaufenen Turniers für ihn. Da muss halt noch mehr kommen, wenn er eine tragende Säule der Mannschaft werden will! Das Potenzial dazu hat er oft aufblitzen lassen (erst kürzlich Sieg gegen Raphael Zimmer [~2200] in der BW-Liga).
Bei Dmitry machten sich wieder Ermüdungserscheinungen (Stichwort „letzter Abend“) breit, sodass er nicht ganz die ambitionierteste Spielanlage zeigte. Er sah am Ende noch, wie er in Vorteil kommen konnte, nahm lieber den Spatz in der Hand und das sichere Remis aufgrund von Zeitknappheit.
Die letzte Partie – wortwörtlich die letzte im ganzen Turniersaal von U20 und U20w, dementsprechend viele Zuschauer – spielte Marcel. Einen Spanier behandelte er besser als sein weißspielender Gegner, schnappte sich das Läuferpaar und die Initiative am Damenflügel. Kurz schlief er und ließ zu, dass Weiß den Damenflügel abriegeln konnte. Marcel riskierte in der Folge wirklich alles und landete noch in einer Verluststellung, aber da es auf beiden Seiten nur noch eine Minute zeigte, machten die Spieler doch Remis. 4:2 für uns.
Der Grund, wieso Marcel so lange spielte, war, dass Erlangen 3,5:2,5 gewann und wir mit unserem 4:2 nur nach Mannschafts- sowie Brettpunkten gleichzogen – auch die Drittwertung Buchholz brachte keine Entscheidung! Hier gab es nur eine, von beiden Teams anerkannte Lösung: nix mit Siegwertung oder Direkter Vergleich, die Betreuer mussten es in 12 Blitzpartien ausspielen. Es ging hin und her, Figuren und Anschuldigungen flogen durch den Analyseraum, strittige Entscheidungen fielen, letztendlich mussten wir unseren Kampf beim Stand von 5:4 für Philipp abbrechen. Ich nehme das mal als Unentschieden.
In der offiziellen Tabelle haben wir den 8. Platz alleine für uns, dank der fünften (!) Feinwertung „Direkter Vergleich“ – die vierte Wertung, die Siegwertung, war bei uns beiden gleich, vier Siege für beide Teams. Damit erreichten wir das offiziell ausgegebene Ziel von Top 8 und verspürten minimale persönliche Genugtuung durch das Verweisen von Erlangen auf Platz 9. Wir hätten noch einen besseren Platz erreichen können, wenn – abgesehen von unserem eigenen Versagen – die Führenden nicht jeweils ein Remis gegen schlechtere Teams abgegeben hätten. Aber sei’s drum! Wir beklagen uns nicht, dass wir genauso viele Mannschaftspunkte wie die „Übermannschaft“ aus Eppingen hatten.
Mit Abstand Deutscher Meister wurden die Sasbacher (12/14 MP) vor den überraschend starken Darmstädtern und den konstant punktenden Kielern (beide je 10 MP). Bei Sasbach könnte man aufgrund ihres extrem niedrigen Altersdurchschnitts von einer neuen Ära ausgehen, eine, die die Ära Bebenhausen in den Schatten stellen könnte…
Durch die guten Platzierungen der Baden-Württemberger (Eppingen Vierter, dazu noch Sasbach und wir) sollte unsere BW-Liga die drei Qualifikationsplätze behalten.
Was gibt es von meiner Seite noch zu sagen? Als Betreuer/Trainer bedanke ich mich bei den Spielern, bei der Deutschen Schachjugend für die Organisation und natürlich auch beim Verein, dass diese Meisterschaft immer wieder unterstützt wird – endlich haben wir ein positives Ergebnis zu vermelden. Es wird nicht das letzte gute Ergebnis sein!
Alle Daten finden sich hier.