Gestern noch Oberliga-Meister, heute im Abstiegskampf der 2. Bundesliga Süd!
Das gab es noch nie! Der Heilbronner Schachverein spielt in der 2. Bundesliga. Amateurverein trifft auf Profi-Spielbetrieb. Willkommen in der Welt der Doppelrunden, Reisepartner und großmeistergespickten Kadern.
Unser Abenteuer 2. Liga begann mit einem Ausflug in die Domstadt Speyer und im Auftaktspiel gegen den SV Walldorf zählte dann auch jeder Punkt doppelt: Da die drei Abstiegsplätze voraussichtlich unter den vier Underdogs Heilbronn, Stuttgart, Heidesheim und eben Walldorf vergeben werden, war unser Ligaeinstand auch gleich eine Weichenstellung. Und an Dramatik ließ unser Duell nicht zu wünschen übrig.
Aber halt! Zumindest für ein Brett ging es nicht sofort los, nämlich den ersten unserer drei Schweizer Neuzugänge, FM Theo Stijve. Aufgrund des Dramas um Betrug im Schach, bei welcher der US-amerikanische Shooting Star Hans Niemann in der Bild diskutiert wurde, wurden zusätzliche Anti-Cheating-Maßnahmen eingeführt. Nein, „in der Bild“ ist kein Schreibfehler, denn unser geliebtes Schachspiel schaffte es tatsächlich in die beliebteste Zeitung Deutschlands…
Ja, so macht man Schlagzeilen. Diese Perle durfte ich euch natürlich nicht vorenthalten.
Die Untersuchung von Theo und seinem Gegner, IM Adrian Gschnitzer, schien jedoch wenig zu bringen. Natürlich schlug der Metalldetektor bei einem Gürtel aus. Aber dass er selbst bei den Knöpfen der Hose oder beim Fußboden ausschlagen würde, konnte keiner erwarten. Es gab wohl einen Modus mit niedrigerer Sensitivität, jedoch war das Ganze wohl für die Katz – oder sollte ich lieber „Perlen vor die Säue“ schreiben? Haha. Ok, genug Perlen-Witze. Ich bin vielleicht fast 30 Jahre alt, aber mein Humor kann trotzdem sehr derb und kindisch sein.
Der Mannschaftskampf begann gemächlich. Nach fünf Zügen bot ein von Krankheit geschwächter IM Oswald Gschnitzer unserem Wahl-Schweizer FM Niko Pogan ein Remis an. Was will man als Mannschaftsführer hier empfehlen? In der Jugendliga würde ich dem Ganzen einen Riegel vorschieben. Schließlich sollen die Kinder und Jugendlichen ihre Erfahrungen machen und das geht mit einem Remis nach Zug 5 nicht. Jedoch war es die 2. Bundesliga und so schwirrten andere Gedanken durch meinen Kopf. Es war eines unserer Weißbretter. Aber die Stellung sah wirklich nach nichts aus. Und der Gegner ist nicht von schlechten Eltern. Aber es war ein Weißbrett! Dann sah ich bei einem kurzen Blick auf den Boden, dass ich eine komplett schwarze Hose, dunkelgraue Socken und schwarze Schuhe trug. Dadurch wusste ich, dass es ein Tag der schwarzen Steine sein würde. Also ließ ich Niko Remis machen. #TrueStory
Niko hatte einen freien Tag. Wir anderen durften uns bei der Bedenkzeit „Fischer lang“ (1h40m für 40 Züge, 50m für den Rest der Partie, 30s Inkrement pro Zug von Beginn an) mit diversen Stellungen quälen. Nach über drei Stunden Spielzeit, also kurz nach 17 Uhr, folgte Schlag auf Schlag. Zuerst durfte ich mich in der Vereinsgeschichte verewigen:
Das Ganze gibt es auch auf YouTube als Video zu sehen.
Ja, es war wirklich ein Tag der schwarzen Steine. Kurz nach mir war Philipp Wenninger an Brett 1 fertig. Mit 1.a3 konnte er gegen Georg Braun noch remisieren, aber mit 1.c3 sah er gegen GM Gergely Aczel kein Land. Vielleicht lässt sich nicht jeder von derart billigen „Psychotricks“ einlullen? Nur wenige Minuten danach lieferte auch FM Sebastian Fischer einen Beleg für „Black is OK“ (eines meiner Lieblings-Schachbücher in der Kindheit, geschrieben von András Adorján), denn er remisierte mühelos gegen unseren FM Simon Degenhard. Bis 18 Uhr blieb der Kampf sehr ausgeglichen. Theo konterte Adrian Gschnitzer schön in einem komplexen Mittelspiel aus, eine sehr reife Leistung an Brett 2. Ach ja, auch mit Schwarz. Selbst der zweite anwesende Schweizer FM Noah Fecker konnte das dominierende Motto unseres Tages nicht widerlegen. Zwar stand er in einem Franzosen nach der Eröffnung laut Engine und auch Augenmaß sehr gut, jedoch folgten die üblichen, unangenehmen französischen Gegenoperationen im Zentrum mittels …f7-f6. FM Julius Muckle behandelte die Stellung (leider) besser und gewann einen Bauern nach dem anderen.
Stand also 3:3 und es spielten noch Thilo und Philipp, die beide von Anfang an eher gedrückt standen. Thilo konnte sich nur auf Kosten eines Bauern befreien, baute aber auf Kompensation durch sein Läuferpaar und die bessere Bauernstruktur. Je näher die Zeitkontrolle rückte, desto mehr neigte sich die Partie zu Gunsten des Walldorfers, bis jener auf einmal eine Figur hergab und wir Zuschauer nur noch staunend das studienartige Ende der Partie verfolgen konnten:
Philipp Huber hatte sich mittlerweile aus seiner gedrückten Stellung befreit und war sogar mit einem Mehrbauern aus der ersten Zeitnotphase herausgekommen. Das reduzierte Material und die ungleichfarbigen Läufer sprachen nun für eine sehr große Remisbreite, aber trotzdem hatten wir (auch wegen der knappen Zeit des Walldorfers) durchaus Hoffenung, dass er den vollen Punkt holen könnte. Philipp setzte seinen Gegner auf dem Brett und auf der Uhr unter Druck, aber dieser löste seine Verteidigungsaufgaben, sodass nach fast sechs Stunden Spielzeit das Remis amtlich war. 4:4!
Die große Vorentscheidung gab es heute also nicht; dennoch zeigten wir, dass mit uns zu rechnen war. Die Walldorfer schienen auch sichtlich erleichtert zu sein, wobei die Entspannung bei uns zumindest nicht lange hielt. Denn am nachfolgenden Sonntag würden wir gegen die erste Großmeistertruppe spielen, die SG Speyer-Schwegenheim. Jene waren sichtlich bedient, denn sie verloren 3:5 gegen unseren Reisepartner, die SF Bad Mergentheim. Rückblickend betrachtet war dies gar nicht so unerwartet, an Brett 3 und 4 holten die Bad Mergentheimer mit zwei Siegen zwei „big points“. Für Speyer, nur mit drei Leuten aus den ersten Acht angetreten, definitiv ein Rückschlag im Aufstiegskampf (oder wollen sie überhaupt aufsteigen?).
Bevor es jedoch an die Vorbereitung ging, ließen wir uns volllaufen, wie sonst immer beim Schachturnieren. Jedoch sind wir im Vergleich zu unserer Jugendzeit nun professionell, sodass „volllaufen“ bedeutete, uns beim örtlichen Italiener den Bauch vollzuschlagen. Der Eigentümer des Ladens brachte für jeden der elf Anwesenden einen Schnaps zur Verdauung, aber kaum sahen wir einmal weg, fielen die Präsidenten Julian Bissbort und Ramin Geshnizjani über die kleinen Gläser her. Da hat das Wochenende jedem Spaß gemacht!
Wir Spieler blieben natürlich vernünftig, bereiteten uns vor und schliefen wie Babys in unseren Zimmern des Hotels Sperling. Ein schönes Hotel mit moderner Innenausstattung und vielfältigen Frühstücksoptionen. Sollten wir je nach Speyer zurückkehrern, habe ich mir das Hotel vorgemerkt.
Frühstück war definitiv wichtig, denn am Sonntag ging es um 10 Uhr los. Schnell noch alles gepackt, Zähne angezogen, Hose geputzt und wir waren auf dem Weg zum „Haus Pannonia“, welches normalerweise als Heim der „Donaudeutschen Landesmannschaft“ dient. Wer nach „Donauschwaben“ googelt, findet heraus, dass hier eine Verbindung zwischen Speyer und Ungarn gegeben ist. Oder man geht einfach hin und schaut sich das Haus an. Jedenfalls sollte es nicht verwunderlich sein, dass Speyer mit vier Ungarn im Team antrat. Nur an Brett 8 änderten sie ihre Aufstellung im Vergleich zum Vortag, um einem weiteren lokalen Spieler das Erlebnis 2. Bundesliga zu ermöglichen.
Stichwort „Hose“: am Sonntag trug ich eine beige/hellbraune Hose. Also sollte das der Tag der weißen Steine werden!
Anfangs sah es definitiv so aus. An 1 verfügte GM Mykhaylo Oleksiyenko über die typisch angenehm bessere Stellung der Caro-Kann-Vorstoßvariante. Theo bereitete sich wieder gewissenhaft vor und setzte GM Imre Héra früh am Königsflügel unter Druck. Noah spielte auch Caro-Kann, jedoch hielt GM Adam Horvath viele Figuren auf dem Brett, wodurch ein kompliziertes Mittelspiel vorprogrammiert war. Ich spielte meinen üblichen Stiefel. Mein Gegner (IM Gabor Kovacs) fühlte sich ab Zug 15 nicht mehr wohl, was ich daran merkte, dass er sehr viel Zeit verbrauchte und nicht die besten Züge fand. Niko wurde von IM Oleg Boguslawski in einen Franzosen mit Minustempo hinein manövriert, was ich als schlechtes Omen deutete. Ein weiterer IM, Tomislav Bodrozic, hatte gegen Thilo ausgeglichen. Simon spürte in einer italienischen Eröffnung etwas Druck von IM Attila Csonka am Damenflügel und musste einen seiner Springer temporär nach e8 zurückziehen. Philipp Huber war definitiv am Glücklichsten, denn der Lokalmatador Thomas Theel überlegte nach 1.d4 Sf6 2.Lg5 ganze 20 Minuten und es ist wahrlich kein Geheimnis, dass Philipp H. im Trompowski-Angriff ein Experte ist.
Mit der Zeit glich Philipp W. an Brett 1 aus und Philipp H. landete in einem Endspiel, welches eine Textbuch-Definition von „Spiel auf zwei Ergebnisse“ sein könnte. Unsere Gegner befanden sich also in einer echten Philipp-Zange. GM Oleksiyenko schien erschüttert zu sein, denn alle paar Sekunden gab es Stirnrunzeln, Kopfschütteln und weit aufgerissene Augen. Jedoch sollte man diese Zeichen wohl nicht überbewerten, wenn der Gegner ein Niveau von 2600 spielt. Der ist dann halt unzufrieden, wenn er 2-3 Züge lang nur die fünfte Empfehlung der Engine spielt und die Stellungsbewertung von +0,5 auf +0,2 sinkt, während viele Leute eher damit unzufrieden sind, wenn sie mit einem Zug einen Vorteil von +5 aufgeben. So stand Philipp W. am Scheideweg: eine Qualität für einen Bauern gewinnen oder den Damenflügel liquidieren mit wahrscheinlichem Remis. Tatsächlich war der Qualitätsgewinn – wahrscheinlich unfreiwillig – ein starkes Qualitätsopfer des Großmeisters, welcher den Vorteil gekonnt herunterspielte. Philipp sah nur noch schlechte Varianten und versuchte einen Schwindel, welcher nicht aufging.
Der Rückstand hielt zum Glück nicht lange. Thilo hielt den Ausgang des Spiels lange offen und nutzte einen taktischen Schnitzer von Schwarz, wodurch der zweite Weißsieg und der Ausgleich feststand. Ich setzte wenig später noch einen drauf und gewann auch meine zweite Partie am Wochenende. Mit knapp werdender Zeit fand der ungarische IM nur eine Abwicklung, in welcher er Material aufgab, um meine Königsstellung leicht zu schwächen. Jedoch wollte er weitere Materialeinbußen verhindern und erlaubte den Damentausch, wodurch ich nur noch eine technische Gewinnstellung verwerten musste. Und das gelang mir quasi perfekt.
Die Freude über die Führung währte jedoch nur kurz. Erinnert ihr euch an Simons Springer auf e8? Der zog schnell nach g7. Jedoch weiß jeder, welche meine Trainings besucht oder die zugehörigen YouTube-Videos anschaut: ich bin überhaupt kein Fan von Springern auf „Fianchetto-Feldern“. Leider bestätigte sich meine Befürchtung. Mit weißen Bauern auf g4, e5 und b6 und einem schwarzen Bauern auf e6 war der Springer im Endspiel sehr traurig. Der IM ließ sich das nicht nehmen. Ein weiteres Endspiel an Brett 8 ging gut für uns aus, da Philipp H. nicht nur einen isolierten Bauern auf d5 belagern konnte, sondern auch mit seinem Turm auf die Grundreihe eindrang.
Sorry, hab zu 50% gelogen. Wir führten weiterhin, aber die Freude war sehr klein. An Brett 2 überlebte Héra die Initiative von Theo. Gemäß der unbewiesenen Hypothese von GM Zigurds Lanka, dass Schwarz im Sizilianer gewinnt, wenn er 30 Züge überlebt, startete der ungarische Großmeister einen fürchterlichen Gegenangriff. Ohne Damen, aber mit zwei Türmen und dem Läuferpaar, war der weiße König bei komplett offenem Zentrum sowie entblättertem Königsflügel schutzlos ausgeliefert. Tatsächlich ein Schwarzsieg in dem Kampf!
Noah komplettierte leider ein schwarzes Wochenende. Mit jedem Zug wurde er vom Favoriten weiter in die Passivität gedrängt. Der Druck kulminierte in einem Qualitätsgewinn für Weiß. Zwar befanden sich am Ende nur jeweils drei Bauern am Königsflügel, die Stellung war aufgrund eines isolierten Bauern und des schwächeren Königs trotzdem nicht zu halten.
Beim Stand von 3:4 hatte der dritte Schweizer, Niko, die undankbare Aufgabe, auf Gewinn zu spielen. Das gelang ihm nach der suboptimalen Eröffnung sehr gut. Von Julius Muckle hatte er sich wohl den Vorstoß …f6 abgeschaut (wobei, den kennt sicher jeder Caro-Kann-Spieler) und unter Aufgabe seiner schwachen Bauern auf e6 sowie d5 bediente er sich nicht nur am weißen Damenflügel, sondern erzwang Schwächen in der weißen Königsstellung. In hochgradiger Zeitnot verpasste Niko die Gelegenheit, in ein besseres Endspiel abzuwickeln. Vor allem der Damentausch wäre wichtig gewesen. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, konnte Niko mit seiner entfernten Bauernmehrheit wenig anfangen, da immer das Damoklesschwert „Dauerschach“ über seinem Haupt baumelte. Nach fünfeinhalb Stunden Zeit auf dem Schlachtfeld ergab sich Niko zähneknirschend und willigte in die Punkteteilung ein.
Man könnte sagen, dass die erste Schlacht verloren wurde. Auf den Thron kommen wir definitiv nicht, aber das hatten wir nicht erwartet. Trotzdem können wir das erste Wochenende als Erfolg verbuchen. Siebeneinhalb Brettpunkte halte ich für respektabel und wir haben so viel Blut geleckt, dass wir bei unserem Heim-Wochenende am 26./27. November möglichst vier Mannschaftspunkte zuhause behalten wollen.