Failing upwards

Meine Errungenschaften nach der WEM und den Dortmunder Schachtagen belaufen sich auf zwei gewonnenen Preisgeldern, eine Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft 2025 und einer Top 10-Platzierung in Dortmund, nebenbei bemerkt als bester FM des ganzen Turniers. Vor starken GMs wie Christopher Yoo und Krishnan Sasikiran. Jetzt weiterlesen, um herauszufinden, wieso ich trotzdem nicht zufrieden bin!

Fangen wir im Schnelldurchlauf mit der WEM an, da diese schon am 8. August beendet wurde. Die extrem kurze Zusammenfassung, welche dem Turnier nicht gerecht werden würde, lautet: sieben Gewinnstellungen und 4,5 Punkte. Aber im Schatten der schmerzhaften Niederlage gegen Vereinskollege Ivan Ramirez Marin in Runde 3 und damit zusammenhängenden negativen Vorkommnissen hatte ich eine gewisse mentale Blockade im Kopf, sodass ich sehr gute bis teilweise einfach gewonnene Stellungen in den Runden 4 (GM Korneev), 6 (FM Braun) und 7 (FM Hirneise) einfach nicht verwerten konnte. Okay, ich muss hinzufügen, dass nach dem Verpassen der IM-Norm mir eh alles egal war.
Zwei Beispiele:


Georg Braun spielte seinen Turm von g2 nach e2. In meiner Vorausberechnung (fünf Züge davor) sah ich Te1!?, was die schwarze Drohung Txc2+ entkräften würde. Aber als die Stellung auf dem Brett erschien, dachte ich mir „hä ich spiele einfach Tg1 und was dann?“…ja, was dann? Das war zu einfach. Also Tg1?? gespielt und Txc2+ kam. Aus Trotz spielte ich das Endspiel Turm + Springer vs. Turm bis zum Erfüllen der 50-Züge-Regel. Nur um den Gegner zu nerven.


Simpler war es gegen Jens Hirneise. Er spielte soeben f2-f3, um seinen Springer auf e4 zu stützen. Aber bei den schlecht stehenden weißen Figuren sollte klar sein, dass etwas geht. Und die Lösung ist schnell gesehen. Schwarz spielt Lxd4+ und egal, wie Weiß nimmt, es folgt d7-d5 mit fataler Fesselung des Springers auf e4. Aber warte. Kann ich nicht schlau sein und mit dem Bauernzug anfangen? Gesagt, getan!
…d5?? Lc5 +-
Da ich mich nach diesem kapitalen Bock daran erinnerte, dass ich zwei IM-Normen habe, konnte ich das verlorene Endspiel (+4 für Weiß) noch Remis halten.

Naja, immerhin war mein Spielniveau hoch. In fast jeder Partie spielte ich gute Züge, welche meine Gegner nicht erwarteten. Trotzdem waren es nur 4,5 Punkte. An sich ziemlich schwach. Umso überraschter war ich, als ich dank eines „Vierer-Vergleichs“ auf dem 4. Platz landete. Als zweitbester Württemberger darf ich nächstes Jahr zur Deutschen Meisterschaft fahren. Exakt zehn Jahre nach meiner ersten Teilnahme.
Beenden werde ich die Zusammenfassung der WEM mit einem Partieausschnitt meiner Partie gegen GM Ninov. Weiß am Zug gewinnt.

Sparkassen Chess Trophy 2024

Und was macht man nach einem Turnier mit wechselhaften Ergebnissen? Zahlreichen Ups and Downs? Richtig, man geht direkt aufs nächste. Nicht irgendein Wochenendturnier mit fünf Runden, bei dem man irgendwelche n00bs pwnen kann, sondern so ein normenfähiges Open wie in Dortmund.
Die Großstadt im Ruhrgebiet ist nicht als Gipfel der Schönheit bekannt. Jedoch ist sie schön ehrlich und das U-Bahn-Netz ist auch ganz nice. So nice, dass ich eigentlich mit der Bahn fahren wollte. Aber da eine gewisse Person C.W. sich mit der Anmeldung so lange Zeit ließ, bis die Bahntickets gottlos teuer wurden UND die Anmeldung geschlossen war, „mussten“ Felix und ich wieder das Auto nehmen. Als Belohnung wurde Felix gleich am dritten Turniertag ohne gültiges Ticket in der Bahn erwischt. Wirklich zum Heulen.

Dritter im Bunde war Richard Walter, welcher scheinbar auch nicht genug von Schach bekam. Ich habe irgendwo aufgeschnappt, dass er zu mir aufsehen würde, aus irgendeinem Grund. Und so bewegten wir uns im Tandem. Er legte mit 1,5/2 vor, ich zog nach. Dann hatte das B-Open spielfrei, wodurch ich vorlegen musste. In beiden Fällen kopierte Richard meine Ergebnisse und so standen wir beide bei 3,5/4. Schon ziemlich gut für uns beide.
In Runde 5 spielte ich gegen den späteren Turniersieger IM Nico Zwirs. Wer mich kennt, weiß, dass ich kompromisslos spiele. „Remis“ heißt für mich „König gegen König“. Aber an dem Tag stimmt etwas nicht. Gegen 13 Uhr erwischten mich schlimme Bauchschmerzen (keine Sorge, Männer übertreiben ja immer bei Schmerzen – mir geht es auch wieder gut), wahrscheinlich lag es an einem schlechten Frühstück (ich aß etwas, was ich die Tage davor nicht gegessen hatte) und dem extrem wechselhaften Wetter. Ach ja, heiß war es auch. Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich der Hitze ein „Enis“ geben. So heiß war es.

Jedenfalls saß ich dann da mit Bauchschmerzen, welche in Kopfschmerzen umschlugen und gegessen hatte ich auch nichts. Vor meinem inneren Auge erschien nur das wohlgeformte Gesicht von Fabian Bänziger, welcher in mein Ohr flüsterte: „Zemento, Enis“. Gesagt, getan. Das war wohl die langweiligste Partie seit Jahren. Remis.

Irgendwann muss der Schüler den Lehrer überholen. Richard entschied sich, dass das der Zeitpunkt war. Er gewann Runde 5 lieber. Und Runde 6 auch. Ach ja, Runde 7 gewann er auch noch. Tatsächlich holte er überragende 6,5/7 im B-Open! Der einzige Wermutstropfen war, dass es nicht zum Sieg reichte. Die Buchholzwertung entschied zugunsten von Oleksandr Kasapchuk und ein direktes Duell blieb uns verwehrt, da das B-Open nur sieben Runden spielte. Dennoch eine Leistung, auf welche wir stolz sind und zu welcher wir Richard nur herzlich gratulieren können. Ich mein, ich hab das auch vor Ort gemacht, aber nicht, dass jemand denkt, ich würde es ihm nicht gönnen.

Endtabelle B-Open.

Da Felix am Schachbrett mit meinen Ergebnissen nicht mithalten konnte (gut, er spielte ja auch im A-Open), entschied er sich, seinen Lehrmeister auf andere Weise zu übertreffen. Am Vormittag von Runde 6 ging es ihm so schlecht, dass er die Runde kampflos aufgab. Zugegebenermaßen war ich ebenso kurz davor, einfach im Bett zu bleiben, aber nach dem blutleeren Remis an Brett 6 wurde ich mit einem stärkeren Gegner in Runde 6 belohnt. In meinen Augen stand „IM-Norm“ geschrieben. Bewaffnet mit Zwieback und Iberogast machte ich mich auf in die Schlacht. Kurz vor der Partie wurde ich von Adrian Gschnitzer gewarnt, dass mein Gegner GM Yahli Sokolovsky ein „Biest“ sein würde. Na dann…

„Scheiße, er hat gerade einen Zug in der Eröffnung gespielt, welchen ich nicht kenne. Unmöglich!“

Bereits im 9. Zug sah ich mich mit g2-g4!? konfrontiert, einer frischen Idee im 6.f4-Najdorf-Sizilianer. Für die Nicht-Theoriefreaks: Najdorf mit 6.f4 galt mehr oder weniger als gelöst für Schwarz im Sinne von „Schwarz hat keine Probleme“. Jedoch scheinen die neuen israelischen Superstars eine Neuerung gefunden zu haben, welche wie eine Bombe einschlug.
Als sich die Partie der Zeitnotphase näherte, wählte der Anziehende nicht mehr die kritischen Fortsetzungen. Ich konnte mit einzelnen Schreckmomenten ein Turmendspiel erreichen, welches Remis ausgehen sollte. Dass am Ende die Punkteteilung feststand, war auch beiderseitigen „Blundern“ zu verdanken. Das Brett verließen wir beide mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Wissen, dass es am nächsten Tag weitergehen würde.
Die ganze Partie gegen GM Sokolovsky.

moments before disaster

In der siebten Runde ging es gegen den überaus erfahrenen, fast schon legendären GM Rafael Vaganian, welcher anscheinend von der Deutschen Schachzeitung „Mr. Bundesliga“ getauft wurde. Danke an Konstantin Peyrer für dieses Trivia. Ich hing mich nicht an solchen Belanglosigkeiten auf, sondern wollte von Zug 1 an Druck ausüben. Das gelang mir in der ersten Partiehälfte. Danach verlor ich den Faden und mein Gegner konnte seine Mehrbauern konsolidieren. Dennoch verfügte ich über einige Tricks in der Stellung. Kurz vor der Zeitkontrolle entschloss ich mich dazu, einen riesigen Bluff zu spielen.

Einfach niederschmetternd. Vernichtend. Demoralisierend. Wie gegen Braun wähnte ich mich siegessicher und verpasste den letzten Trick meines Gegners. Ein Versagen auf den letzten Metern. Wieder keine IM-Norm.


Hätte ich nicht wenigstens direkt in der Eröffnung verlieren können?

Der Rest des Turniers ist eigentlich nicht der Rede wert. Ich gewann relativ entspannt gegen zwei schwächere Gegner und wir fuhren wieder nach Hause. Trotz der schrecklichen siebten Runde war es ein gutes Turnier. Mit 6,5/9 würde ich irgendwo oben landen. Vor der letzten Runde war ich auf dem 17. Platz. Es verloren einige Leute mit 6 Punkten. Hey, ich würde sogar in den Top 10 landen. Wie cool. Ein beruhigender Gedanke während der Autofahrt, als wir kurz vor Frankfurt waren.

Warte mal! Ich würde ja ein Preisgeld gewinnen! Aber zu spät. Es war schon nach 16 Uhr, wir waren fast zwei Stunden unterwegs. Niemals würden wir die Siegerehrung pünktlich erreichen. Und so wurde das gute Gefühl nach Turnierende getrübt…

Endtabelle A-Open.

Jetzt erstmal ein wenig chillen 🙂

Danke an [Name der Redaktion bekannt] und das Organisationsteam der Sparkassen Chess Trophy für die Bereitstellung der Bilder.


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