An die Kehle gesprungen

Das soll bei manchen Schachspielern sogar wortwörtlich vorkommen, wenn es in Blitzpartien heiß hergeht.

Außerdem war es physikalisch gesehen auch ziemlich heiß, denn die Deutsche Blitz-Mannschaftsmeisterschaft fand am 29. Juni 2024 in der Turnhalle Kehl-Neumühl statt. Kehl liegt direkt an der Grenze zu Frankreich. Leider übernachtete unser Team nicht komplett, sodass ich nicht dazu kam, im benachbarten Strasbourg meine Französisch-Skills zu demonstrieren. Und auf dem Schachbrett bin ich eher ein Freund davon, meine Figuren möglichst frei zu entwickeln, sodass ich meistens die sizilianische Verteidigung bevorzuge.

Die schaffte es auch einige Male aufs Brett, was bei 25 Runden (inklusive einem „spielfrei“) nicht verwundern sollte. Nach einer eher blamablen Vorstellung im Jahr 2022 konterten wir im Folgejahr, was größtenteils an mir mit einer Performance jenseits der 2500 lag. In diesem Blitzjahr war ich jedoch nicht so gut drauf, wodurch ich hoffte, dass meine Compagnons das ausgleichen würden.
Die Compagnons waren namentlich Philipp Huber, Gunnar Schnepp und Ivan Ramirez Marin. Zahlenmäßig gesehen war es ein langweiliges Turnier. Unser Elo-Durchschnitt war 2295 und unser Team-Gegnerschnitt 2296. Alles nur Mittelmaß.

Und so sahen lange auch unsere Partien aus. Oder besser gesagt: meine. An den Eröffnungen lag es schon gar nicht. Selbst gegen vermeintliche Hardcore-Theoretiker wie GM Jan Gustafsson kam ich super aus der Eröffnung. Wobei „Gusti“ eher so aussah, als wäre er gerade aufgestanden (oder gerade aus Holland gekommen), zumindest der Jogginghose und dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Auch die Zeiteinteilung lief super – da hat es sich wohl gelohnt, online konsequent nur noch „3+0“-Partien zu spielen, also Blitz ohne Inkrement. Nein, es war so, als hätten zwei Enisse (was ist der Plural von Enis? Enis mit langem „i“, wie in der lateinischen Sprache üblich?) gespielt. Gegen die ca. gleich starken Gegner der normale Enis, der immer auf Sieg spielt und sich nicht vor Risiken scheut. Das brachte mir auch einige Punkte gegen ganz gute Gegner, z.B. IM Konstantin Peyrer oder GM Slavko Cicak. Aber gegen die richtig starken Leute war es anders. Nach diesen Partien fühlte ich mich auch irgendwie dreckig. Zum Beispiel war eine sehr tolle RTL2-Fernsehserie ein beliebtes Motto in meinen Partien gegen die sehr starken GMs. Und egal, wie sie hießen, Bassem Amin oder Markus Ragger oder Iturrizaga Bonelli, viele Punkte gab es nicht…

Wenn dann noch solche Partien wie die folgende hinzukommen, dann wollte ich mir selbst an die Kehle springen:

Aber kommen wir zurück zu Markus Ragger (SG Solingen). Gegen ihn spielte ich in der vorletzten Runde, als das Turnier quasi schon gelaufen war – weder nach vorne noch nach hinten ging etwas, außerdem hatte ich mein Elo-Minus bereits in Stein gemeißelt. Die Eröffnung lief wieder super (nach ca. 20 Zügen hatte ich 3:10 Minuten, während mein Gegner auf unter 2 Minuten fiel) und danach passierte auch nicht viel. Im Turmendspiel gab ich ihm leider ein wenig Spielraum für Aktivität, jedoch wurden seine Gewinnversuche jäh beendet – durch Ragger selbst:

Mannschaftsführer Solingen: „Null Zwei“
Ragger sieht eine Zugwiederholung und spielt sie.
Ich frage mich, ob ich richtig gehört habe. Meine Mannschaftskollegen sehen auf jeden Fall glücklich aus. Also gehe ich auf die Zugwiederholung ein.
Ragger fragt nach einem Remis. Natürlich nehme ich an!
Ragger: „und jetzt?“
MF Solingen: „ja jetzt haben wir verloren!“

Markus Ragger nach der Enthüllung des Solinger MF, 2024, koloriert

Auch wenn wir nicht brillierten, bot das Turnier gewisse lustige Momente. Außerdem blieb das versprochene heftige Gewitter so lange aus, bis wir wieder in Heilbronn waren – mir egal, ob Südbaden absäuft. Ein Dank geht an die Organisatoren des SC Neumühl und des Deutschen Schachbundes. Die Schiedsrichter waren wirklich auf Zack, um unsere ganzen Reklamationen zu beantworten. Wir trieben es so weit (oder besser unsere Gegner mit ihren Regelverstößen), dass irgendwann vom Schiri kam: „immer die Gleichen, ne?“ 🙂
Ein Regel-Highlight habe ich aber: in meiner Partie gegen Gedeon Hartge entstand nach langem Hin und Her eine Zeitnotschlacht im Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern. Dort überspielte ich meinen Gegner auch. Mein König wurde zur Heldenfigur und schlug drei Bauern in Folge, dank diverser Mattdrohungen. Nur erschrak ich kurz nach dem Erringen des Materialvorteils…meine Zeit war gefallen! Also kurz den inneren Kühlschrank angezapft und noch über zehn Züge mit „0:00“ auf der Uhr gemacht. Mein Gegner war von meinen kontinuierlichen Drohungen so verwirrt, dass er das gefallene Blättchen gar nicht bemerkte. So setzte ich ihn trotz gefallener Zeit Matt und erneut war der Schiedsrichter notwendig, um die Lage zu klären.

Am Ende landeten wir auf dem 13.Platz. Etwas schlechter als letztes Jahr (11.), aber das Wichtigste hatten wir geschafft, denn wir landeten tatsächlich vor Schönaich. Wie letztes Jahr, obwohl Schönaich mit ihren besten Spielern kam. Ich würde sagen, die echten Württembergischen Meister sind wir.

Anbei noch ein paar Fotos (danke an Gunnar).

Unterlandpokal-Finale

Gegen 22 Uhr war ich dann wieder daheim und wohlgenährt (gut gespeist im Restaurant „Zur Güldenen Möwe“). Deutschland gewann zudem das Achtelfinale, das Leben konnte echt nicht besser sein.

Außer dass ich meine 2400 Blitz-Elo verlor.
Und…da war noch etwas „Nerviges“. Am 30. Juni fand nämlich die Endrunde im Unterlandpokal statt. Die Bezeichnung ist verwirrend, denn der Unterlandpokal ist ein Wettbewerb im Schweizer System. Weitere Besonderheiten: trotz der relativ langen Bedenkzeit (seit Neuestem 45 Minuten pro Spieler und Partie + 15 Sekunden Inkrement pro Zug) gibt es keine DWZ-Auswertung, außerdem gewinnt die Mannschaft mit den meisten Brettpunkten. Perfekte Voraussetzungen dafür, dass ich mich mit möglichst aggressivem Spiel austobe, denn verlieren kann ich ja nichts.
Naja…nein. In der Saison 2018/19 erzielten wir fast das perfekte Ergebnis von 20/20 Brettpunkten, nur Severin Bühler und Tobias Schmidt gaben jeweils ein Remis ab. Jetzt wisst ihr auch, wieso Tobias nicht mehr bei uns ist, denn so ein Verhalten können wir nicht dulden.

Wir gewannen den Wettbewerb auch nach der Wiederaufnahme in der Saison 2021/22, wobei das Lustige war, dass wir es gar nicht versucht hatten. Naja, lustig aus meiner Sicht, die anderen Vereine sahen darin wahrscheinlich wenig Humor. Denn am Vorabend der Endrunde 2022 hatten wir abgesagt, denn es kam kein Team zustande! Erst mit Notfallzusagen von Ramin und Kim-Luca waren wir antrittsfähig und zufälligerweise gewannen wir den Pokal mit hauchdünnem Vorsprung.
Das brachte mich auf eine brillante Idee. Wie sehr können wir versuchen, NICHT zu gewinnen und dabei trotzdem als Sieger hervorgehen?

So wurde aus dem Unterlandpokal-Team „Enis and Kids“, denn meistens hieß es nach dem Jugendtraining: „Kommt Leute, wir fahren jetzt mal nach Willsbach zum Unterlandpokal“. Und es lief brillant. Die Jugendlichen konnten Spielpraxis sammeln und gleichzeitig Erfolgserlebnisse feiern. Bei der Endrunde 2023 wurde ich wegen der parallel laufenden Dortmunder „Sparkassen Chess Trophy“ von Thomas Tschlatscher ersetzt, aber das Erfolgsrezept ging wieder auf…
Halt, ich schweife wieder ab. Langer Rede kurzer Sinn: es lief ja auch ohne mich gut. Daher ließ ich mich selbst pausieren und machte mir einen schönen Tag. An Brett 1 würde dann Gunnar spielen, der würde das Kind schon schaukeln. Denn wir hatten einen halben Brettpunkt Vorsprung vor Ludwigsburg und hielten unsere schärfsten Konkurrenten mit einem 2-2 auf Distanz. Gunnar leistete dazu einen entscheidenden Beitrag, als er A.Vaysberg in schlechter Stellung noch überspielte.

Vielleicht gewinnt Ludwigsburg mal den Unterlandpokal. Dieses Jahr hat es nicht geklappt, denn sie haben nur fünf Teams gemeldet. Nächste Saison mit sechs Teams, ganz sicher. Und wenn das nicht klappt, dann 2025/26 mit sieben Teams. Einfach ein Team extra melden. Eine aus dem Straßenverkehr bekannte sowie bewährte Strategie.

Von der Ferne betrachtete ich die Ereignisse und nickte zustimmend beim Kaffeeschlürfen. Gut, gut. Die letzte Runde gegen Besigheim, das würden Gunnar, Daniel Schäfer, Severin Bühler und Lukas Dietzel schon schaffen.
Tatsächlich erfüllte Gunnar auch sein Soll mit einer souverän gewonnenen Slawisch-Partie.

Was danach passierte, weiß ich nur aus Erzählungen. Das Spielniveau war scheinbar ungefähr auf dem „Enis bei der DBMM, wenn er betrunken gewesen wäre“. Also nicht viel schlechter, als ich am Vortag gespielt hatte: lauter Einsteller und unnötige Fehler. So „gewannen“ wir gegen Besigheim 2,5-1,5, aber das reichte nicht. Denn aus dem Nichts kam ein unerwarteter Kontrahent.

It was Ingersheim with a steel chair!!!

Und wie sie kamen, sie besiegten Ludwigsburg mit 4-0 und zogen an uns vorbei. Naja, zumindest kenne ich das Ergebnis meines Experiments. Bei „Lukas Dietzel an Brett 4“ ist wohl die Grenze. Herzlichen Glückwunsch an Ingersheim und bis zum nächsten Mal!

Endtabelle Unterlandpokal 2024.

Das doch nicht entscheidende Duell gegen Ludwigsburg

Kurz notiert: Bezirkseinzelmeisterschaft (BEM)

Wer es noch nicht mitbekommen hat: vom 2. bis zum 8.August 2024 sind wir Gastgeber bei der Württembergischen Meisterschaft, welche in diesem Jahr aus Meister- und Kandidatenturnier bestehen wird. Infos beim SVW: Klick mich

Neben der Teilnahme über Freiplätze gibt es eine beinahe vergessene Möglichkeit, sich für die WEM zu qualifizieren. Man kann bei der BEM mitspielen! Dieses Turnier wurde in den letzten Jahren irgendwie zur Randerscheinung und passend dazu fand es an den westlichen und südlichen Rändern unseres Bezirks statt. Die erste Runde wurde in Schwaigern gespielt, die Runden darauf in Remseck-Pattonville. Unserem einzigen Teilnehmer, Richard Walter, machte dieser „Jetlag“ nichts aus. Wie Tim Schulz (TSG Öhringen) blieb er ungeschlagen, die beiden trennten sich Remis. Alle anderen Partien gewann Richard und so kam es auf die Buchholzwertung an. Leider hatte der Heilbronner hier das Nachsehen und musste sich mit dem zweiten Platz begnügen. Aber das soll nicht Richards Leistung trüben: er besiegte Hannes Hellriegel (SF HN-Biberach) und den talentierten Lennart Naumann (SK Schwäbisch Hall), sodass Richard seinem Lebenslauf ein weiteres erfolgreiches Turnier hinzufügen kann. Wenn er seine Turniererfolge wie Pokémon-Arenaorden sammeln würde, wäre seine Jacke jetzt wohl zu schwer, um sie zu tragen. Nebenbei knackte er erstmalig die 1800 DWZ, da muss man echt schon Angst haben, wann man von Richard eingeholt wird. Herzlichen Glückwunsch!

Abschlusstabelle BEM 2024.

Damit werden wir Richard im August in Aktion sehen. Die WEM wird dieses Jahr vollständig im Zeichen des Heilbronner SV stehen. Denn für das Meisterturnier sind neben meiner Wenigkeit auch Gunnar und Ivan Ramirez Marin bestätigt. Einer von uns muss diesen Titel holen!


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