Seeschweiß-Open

Es ist lange her, dass ich ein Open gespielt habe und noch länger ist es her, dass ich mit einer größeren Gruppe unterwegs war. Und das noch unter gemischten Vorzeichen.

Nach zwei Jahren Corona-Pause wurde im kleinen und schönen Großenseebach, nordwestlich von Nürnberg und Erlangen, das traditionelle Seebach-Open ausgerichtet. Namensgeber ist ein kleines Gewässer, welches durch die Ortschaft fließt. Leider war dies das einzige Wasser, welches wir der Natur verdanken konnten. Regen gab es nicht und für das Wochenende war brütende Hitze angekündigt worden.
Da ich Hitze nicht so sehr mag, war ich nicht unbedingt topmotiviert. Außerdem bot die Organisation der Teilnahme immer mehr Überraschungen. Die Idee, dort Schach zu spielen, kam eigentlich davon, dass mein Schach-Protegé Calvin Wolff und ich dort mitspielen wollten. Ich hätte ausreichend Zeit gehabt, um ihn sowie mich ausreichend vorzubereiten und wir hätten wie ein Dream Team die Plätze 1 und 2 (oder 20) belegt. Schnell bekamen andere Leute davon Wind, sodass Daniel Schäfer, Kim-Luca Lahouel und Lukas Dietzel ebenfalls bald auf der Teilnehmerliste standen. Naja, passt schon, ist immer noch nur ein volles Auto.

Vor Beginn der Pfingstpause überschlugen sich jedoch die Ereignisse. Irgendjemand konnte den Mund beim Jugendtraining freitags nicht halten und so kamen ein Haufen Jugendlicher auf mich zu: „kann ich mitmachen?“. Na super. Die ursprüngliche Idee war definitiv gestorben. Mental musste ich mich darauf einstellen, für mehrere spätpubertäre Jugendliche verantwortlich zu sein, also noch ein Argument gegen den möglichen Turniersieg. Zu allem Überfluss verpasste ich noch einen Trainingstermin aufgrund des Bodensee-Cups und gerade dann entwickelte sich ein organisatorisches Chaos. Aber gut, lassen wir das.

Ein positives Vorzeichen war immerhin, dass meine Saison bis dato ganz gut verlief. Okay, geringe Stichprobe und so. Jedoch lag meine letzte Niederlage im Langschach schon sehr lange zurück und abgesehen davon holte ich acht Siege sowie drei Unentschieden. Eines der Remisen war gegen Josef Jurek in der 2. Runde der Oberliga, als ich immer noch nicht ganz warmgespielt war, ein weiteres gegen Gunnar Schnepp, weil er Angst vor meinem Grünfeld hatte (Stellungswiederholung nach 10 Zügen…) und das dritte gegen Alexander Doll beim Bodensee-Cup, weil ich zu lahm spielte. Noch besser war, dass ich mit über 100 Punkten Vorsprung an 1 gesetzt war, wie Adrian schon erwähnte.

Der Anfang gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet, denn das Turnier wurde im beschleunigten Schweizer System gespielt. So gab es keine Laufkundschaft mit 16-1700 für mich, sondern einen erfahrenen 1900er namens Peter Thürauf. Natürlich war ich trotzdem der klare Favorit und ich gewann auch schnell nach 23 Zügen, aber ich musste meine Denkweise während der Partie anpassen. Opfer dieses Auslosungsverfahrens wurde Kim-Luca, weil er es gleich mit FM Gerald Löw zu tun bekam. Lukas, Calvin und Jannis Hagenmeyer sorgten für „Upsets“. Auch Johannes Stahl gewann gegen seine höher gesetzte Gegnerin, das lag jedoch nur am Fehlen seiner DWZ (mit über 1600 eingestiegen!) in der Teilnehmerliste. Neben Kim-Luca verloren auch Niklas Lob und David Zwetzich gegen ihre favorisierten Gegner.
Mein Gegner in Runde 2 spielte die ersten 15 Züge sehr schnell und merkte dann, dass er nur die Wahl zwischen einem Bauernverlust und einem starken Angriff meinerseits hatte. Da er sich für den Angriff entschied, hatte ich nachmittags zum Glück wenig zu tun. Hinter mir wunderten sich meine Mitstreiter über die Paarungen. Wieso darf ich gegen jemanden mit weniger Punkten spielen? Hä, ich hab null Punkte und mein Gegner einen? Wie kann das sein? Also durfte ich das beschleunigte Schweizer System erklären. Jedenfalls gab es einige „Nuller“, dafür durften Kim-Luca und Niklas den Tag mit Siegen abschließen, während Johannes mit einem Remis ungeschlagen an Tag 1 blieb.

Um den Tag abzuschließen, merkte ich, dass neben der Organisation von Fahrt und Hotel auch die Wahl eines geeigneten Restaurants schwierig war. Einzelne Teilnehmer hatten sehr spezielle Vorstellungen davon, wie ihr Essen aussehen sollten. Ich sage dazu nur so viel: den Körper gesund zu halten, ist nicht nur um des Körpers willen wichtig, sondern auch um die Leistung des Geistes zu maximieren. Aber von einem 40er-Bizeps werdet ihr auch nicht unbedingt etwas haben. Und noch viel wichtiger, nur weil jemand auf YouTube oder TikTok seine „gesunde“ Lebensweise präsentiert, heißt es nicht, dass das auch wirklich gesund ist. Wie beim Schach müsst ihr euren eigenen Weg finden.
Nachdem wir gesehen hatten, dass beim örtlichen Dönerladen (tatsächlich einer, der gut in Bayern ist) kaum noch Kalbfleisch vorhanden war, landeten wir beim goldenen M. Und merkwürdigerweise lebten wir alle nach dem Essen noch!

Ich lege sehr viel Wert auf einen geregelten Tagesablauf bei Schachturnieren, weil die Runden ja auch an festen Zeiten stattfinden. Daher bestellte ich alle um 7:45 Uhr zum Frühstück, nur einer erschien nicht: Johannes. Prompt verlor er beide Runden am Tag und es kamen Selbstzweifel auf. Ob damit der kausale Zusammenhang zwischen „kein Frühstück“ und „schlecht spielen“ bewiesen war? Wahrscheinlich nicht. Aber ich sehe es als sinnvolles Ritual an, um sich auf den Tag vorzubereiten.
Schlussendlich ließen auch die meisten der anderen Heilbronner Federn. Nur Kim-Luca (2 Siege) und ich (1,5/2) hielten die rot-weiß-blaue Fahne hoch. Morgens kam ich mit einem Remis davon, nachdem mein Gegner sich umsichtig verteidigte und vor der Zeitkontrolle die Initiative übernahm. Die Partie nachmittags hatte Adrian bereits gezeigt, ich habe mir erlaubt, sie kurz zu kommentieren.


Adrian beschrieb dies als Sieg des Willens und das trifft wohl zu. Andererseits hätte ich nicht die Zugwiederholung ausgeschlagen, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass ich das Endspiel nicht verlieren sollte. In dem Sinne war es also ein komplett kalkuliertes Risiko. Die Tollkühnheit rührt daher, dass ich nur noch auf Inkrement spielen konnte. Aber es ist so, wie es ist.
Mit 3,5/4 stellte ich mich darauf ein, gegen den Sieger des Oeffinger Opens, den an 2 gesetzten Lennart Uphoff, zu spielen. Er besiegte auch den Ex-Heilbronner (schade, dass ich hier „Ex“ schreiben muss) Tobias Schmidt und blieb in Fellbach ungeschlagen. Wieso ich das dachte? Naja, die Eröffnungsbehandlung des erfahrenen FM Reiner Heimrath, laut Adrian ein Monster im Blitzschach, ließ zu wünschen übrig: 1. e4 c6 2. Sc3 d5 3. Sf3 e6?! 4. d4, also ein Franzose mit Minustempo! Im Mittelspiel wirbelten jedoch die schwarzen Leichtfiguren auf den weißen Feldern und es wurde entscheidendes Material gewonnen.

Daher kam es noch nicht zum Kampf mit dem Routinier und ich durfte mich mit Peter Seidel messen. Prompt verwechselte ich die Zugreihenfolge meiner Vorbereitung und hatte nichts in der Eröffnung. Also gab ich einen Bauern dafür, die schwarze Dame am Rand einzusperren. Mein Gegner versuchte zu sehr, gleichzeitig seinen Bauern zu behalten und seine Dame zu befreien, sodass er dafür „bestraft“ wurde. Ich gewann den Bauern zurück und hatte zudem einen dank Läuferpaar gut unterstützten Freibauern, welcher mir den Sieg einbrachte, nachdem ich seine Initiative komplett im Keim erstickte. In der 6. Runde durfte ich gegen Jakob Feuerstein spielen, einen Badener mit 2077 DWZ, ohne Partien in der Datenbank. Er war tatsächlich mit dieser Zahl eingestiegen! Das habe ich wirklich noch nie gesehen. Sein Spiel war von sehr konkreten Überlegungen geprägt, das ist wohl die Generation, die im Schatten der Engines aufwächst. Ich schaffte es, ihn zu natürlich aussehenden Zügen zu verlocken, welche jedoch seine Stellung massiv verschlechterten. Am Ende brach ich dank Zugzwang mit einer Mehrqualität in seine Stellung ein.
Hinter mir gab es Redemption und Heartbreak. Kim-Luca spielte eine sehr heiße Partie im Evans-Gambit, Julian wäre stolz darauf. Ganz wie Julian schaffte er es jedoch nicht, bei sehr knapp werdender Zeit den Deckel drauf zu machen und musste sich dem Materialvorteil ergeben. Johannes kam zum Frühstück und punktete gleich zwei Mal voll. Calvin rehabilitierte sich nach zwei Niederlagen in Folge mit einem schönen Angriffssieg. Er hatte eines mit Niklas gemeinsam: beide besiegten Robert Schütz (ca. 1600), wodurch Niklas am Ball blieb. David holte seine ersten Siege und war sichtlich besser gelaunt. Nur bei Jannis und Lukas schien der Wurm drin zu sein. Immerhin holte Jannis am dritten Tag 1,5/2, aber er litt das gesamte Turnier darunter, seine guten Stellungen nicht verwerten zu können oder sie gar durch Einsteller komplett herzugeben. Somit hatten er und Lukas auch etwas gemeinsam: mangelnde Spielpraxis.

Zwischen den beiden Runden wurden wir nicht nur von der erbarmungslosen Sonne gekocht (ich wechselte mein T-Shirt nach der 5. Runde und manche Teilnehmer:innen liefen mit Sonnenbrand herum…), sondern wir besuchten die „Weltstadt im Dorf“, Herzogenaurach, um unser hart verdientes Geld (oder bei Kim-Luca das Geld seiner Mutter) auszugeben. Von außen sah das Adidas-Outlet riesig aus, innendrin war ich von der Auswahl eher enttäuscht. Hauptsächlich waren es fehlende Größen, welche mich traurig machten, aber gut, es war ein Outlet. Schlussendlich fand ich doch ein Paar Schuhe, aber ein wenig bereue ich es schon, nicht lieber zum Nike-Outlet gefahren zu sein, als ich an der schicksalhaften Kreuzung stand.
Okay, streng genommen waren wir dauerhaft in Herzogenaurach, weil unser Hotel dort war und am Abend des dritten Tages speisten wir in einem Herzogenauracher Burger-Lokal, welches sehr gut war. Das taten wir gemeinsam mit Johannes‘ Eltern, welche sich bereiterklärten, mich an den letzten beiden Tagen bei der Betreuung zu unterstützen, vielen Dank dafür!

Vor Beginn der Schlussrunde war klar, dass nur Heimrath oder ich mit jeweils 5,5 Punkten das Turnier gewinnen konnten. Nach drei Runden Abstinenz kehrte ich an Brett 1 zurück und durfte die weißen Steine führen. Sein Remisangebot nach dem ersten Zug überraschte mich nicht und brachte mich trotzdem ins Grübeln. Aber ganz ehrlich: mir ging es mehr ums Spielen. Vielleicht belüge ich mich selbst, weil ich eh nur am Gewinnen war oder vielleicht habe ich wirklich eine „höhere Ebene“ erreicht, auf welcher das Spielen für mich Selbstzweck ist. Meine Kollegen konnten das auch kaum glauben: „Alter Enis, du hast viel Geld gewonnen, freust du dich nicht?“ Naja, es ist halt Geld. Ein Konstrukt der Gesellschaft, welches unsere alltäglichen Aktivitäten ermöglicht. Aber für viele Leute ist das Anhäufen von Geld zum Selbstzweck geworden und deswegen kommt es wohl komisch, dass ich mich über das Geld an sich kaum gefreut habe.
In einer komplexen Mittelspielstellung platzierte mein Gegner seine Dame auf a5, weil er meinen Doppelbauern auf der a-Linie gewinnen wollte. Diese Einladung nutzte ich prompt, schwenkte meine Dame nach f2 rüber, wo sie den Vorstoß f4-f5 unterstützte. Gemeinsam mit einem Springer auf e5, einem Läufer auf b1, einem Hebelfeld auf f5 (Schwarz hatte Bauern auf g6 und Springer auf e6) und zwei Türmen in Reserve erwies sich mein Angriff als tödlich. Bis zur Aufgabe verblieben meine „schwachen“ a-Bauern auf dem Brett…

Siegerfoto – ja, ich schwitze, was bei 36 Grad und Glasscheiben an der Turnhalle nicht verwunderlich sein sollte…

Zwar war ich der einzige Heilbronner, der nach vorne kommen durfte, aber besonders geehrt fühle ich mich dadurch, dass links (aus meiner Perspektive) neben mir der einzig wahre Sebastian Hoffmann stand, welcher den YouTube-Kanal Schachmatt TV führt. Mega cool!

Nun, wie erwähnt gewannen die anderen kein Geld, aber ich denke, sie können alle auf ihre Leistungen stolz sein. Johannes hat gezeigt, dass sein Einstieg mit 1600 DWZ kein Flunkern war, er hat wirklich großes Potenzial. Kim-Luca und Lukas litten beide an mangelnder Spielpraxis, aber das änderte nichts daran, dass sie Schach nicht verlernt haben. Mit ein wenig Arbeit pro Woche können sie locker merklich höhere Spielstärken erreichen. Calvin hatte vielleicht an einzelnen Stellen Glück, jedoch steht sein Spiel meistens auf einer soliden strategischen Basis. Mit ein wenig mehr Konzentration werden auch seine Ergebnisse deutlich besser werden. David spielte mit 2,5/7 ein erstklassiges erstes Open und sollte seinen Lerneifer nutzen. Jannis sollte wie Calvin an seiner Konzentration und genaueren Variantenberechnung arbeiten, dann kann er seine positionell oft guten Ideen besser ummünzen. Niklas erzielte mit 4/7 dasselbe starke Ergebnis wie Kim-Luca (!) und Johannes, vielleicht sollten wir ihm mehr Beachtung schenken?!

Über die Rückfahrt reden wir hier lieber nicht, sonst müsste ich eventuell rechtliche Konsequenzen fürchten. Aber wir kamen alle heil zuhause an und glücklicherweise war die extreme Hitze auch verzogen. Vielleicht ist doch nicht alles schlecht.

Infos zum Seebach-Open.


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