Perfectly balanced as all things should be

…und mit einem Fingerschnippen waren alle Sorgen verschwunden.

Das traf zumindest zu, wenn es um alles Nicht-Schachliche in meinem Leben ging. Am Morgen des 26. November 2021 wurde kurzfristig bekanntgegeben, dass die Jugendbundesliga Süd bis auf Weiteres unterbrochen wurde. Grund: natürlich Corona. Am Abend folgten danach noch die Jugendligen des Bezirks. Ein bisschen perplex waren wir beim Jugendtraining des Vereins, denn der Bezirksjugendleiter heißt immer noch Saygun Sezgin und der wusste von nichts. Jedenfalls hatte ich samstags dann frei und konnte mich den wichtigen Dingen im Leben widmen, z.B. ausschlafen, Sport treiben, gut essen und nicht zu vergessen, Spaß haben.
Der Bezirksleiter sagte die Jugendligen ab, sonntags durften die Erwachsenen unter 2G-Bedingungen ran. Die dritte Mannschaft war nach dem verkorksten Start zu Gast in Biberach, während die erste Mannschaft Biberach empfing. Also TG Biberach, es werden wohl noch wenige Jährchen vergehen, bis unsere Erste in der Liga wieder auf HN-Biberach trifft.

Rückblickend war die Organisation zweier Mannschaften verhältnismäßig so anstrengend wie die wasserdichte Organisation des NJO. Wegen Querdenkern mussten Julian Bissbort und ich quer denken, schlussendlich schafften wir es, dass Nicolas Blum aus Frankreich zum Spiel der Ersten anreiste. Nicolas, si tu lis ça, merci beaucoup pour ton engagement! Als kleines Trostpflaster durfte Nicolas vor dem Spiel bei den Bissborts nächtigen.
Leider bedeutete dies auch, dass Julian nicht für die Dritte spielen konnte. Dabei war die Lage auf Basis der DWZ sehr ausgeglichen, aber reihenweise begingen unsere Leute grobe Fehler, welche nicht von einer göttlichen Macht ausgeglichen wurden. Einzig Calvin Wolff hatte etwas Glück, als sein Gegner Robin Gerold eine Figur einstellte, weil er in einer ausgeglichenen Stellung den Sieg erzwingen wollte. Ich persönlich sehe das als Karma. Robin Gerold hatte beim Nikolaus-Jugendopen unseren Junior Daniel Schäfer auf Zeit gezockt, indem er ca. 30 Züge die klassische Remis-Stellung „König + Bauer vs. König“ weiterspielte. Als Gruppenleiter durfte ich nur zusehen, wie Daniels Sekunden dahinschmolzen. Und nun Justin Timberlake mit einem Kommentar.

Neben Calvin gewann nur Dmitry Ignatov, während Uwe Bäuerle Remis spielte. Mit dieser weiteren Niederlage hatte niemand gerechnet, aber jetzt können wir nur abwarten, was die Zukunft bringt.
Corona scheint einige Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, denn das Heilbronner Derby war die einzige ausgespielte Paarung in der Kreisklasse am 28. November. Forchtenberg verlegte ihr Spiel gegen Neckarsulm, Bad Wimpfen zieht seine Teams bis auf Weiteres zurück und zu Öhringen vs. Gerabronn findet sich kein Kommentar.
3. Mannschaft

Wo die Dritte litt, schien die Erste umso stärker. Julian schrieb mir am Donnerstag in WhatsApp, dass wir erneut einen Rekord beim DWZ-Schnitt erzielten: 2239. Wahrscheinlich schwoll seine Brust in dem Moment voller Stolz an. Meine auch, denn ich bin ja selbst für eine Steigerung des Team-Schnitts von ca. 25 Punkten verantwortlich. Die TG Biberach schien mit 2125,5 klar unterlegen zu sein. Aber wie sagte ein berühmter nepalesischer Mönch: „overconfidence is a flimsy shield“. Ganz genau. Nach einer Stunde lagen wir bereits 0-1 hinten. Jürgen Menschner erwischte gar keinen guten Tag und verlor nach einem Mittelspiel-Fehler im Katalanen sehr schnell.

Irgendwie sah es sonst auch nicht so gut aus. Robin machte „Robin-Dinge“ und bekam das Läuferpaar im Gegenzug für einen Doppelbauern auf der h-Linie. Das war wohl „Zweispringertango 2: Electric Boogaloo“. Nicolas setzte seinem erfahrenen Gegner Holger Namyslo den königsindischen Angriff vor, als dieser sich französisch verteidigte. Auch hier war die h-Linie auffällig, denn sie war komplett offen, während der schwarze König sich auf dem Damenflügel sicher fühlte. Bei Thomas Tschlatscher wollte ich nicht stehen bleiben, denn ein Torre-System von Rainer Birkenmaier führte dazu, dass die d- und e-Bauern wegrationalisiert wurden. Da wäre ich fast zu Dornröschen geworden. Thilo Kabisch war anfangs mehr mit seinem Plastik-Gesichtschild beschäftigt, ein passendes Zitat dazu: „ich sehe mit dem Ding gar nichts“. So sah seine Stellung auch aus, denn Stanislav Sokratov bekam eine Caro-Kann-Traumstellung. Der Läufer auf c8 wurde frei entwickelt, der schwarze König war sicher und der Vorstoß …c5 gelang ohne Probleme. Wo sollte das nur enden?

Wahre Balance, wahrhaftig Yin und Yang, sahen wir an Brett 1 und 4. Philipp Wenninger wählte gegen Marius Deuer einen Aufbau, welcher in eine königsindische Stellung überleitete, wobei Weiß ein Fianchetto spielte. Den selben Aufbau benutzte, Achim Engelhart gegenüber sitzend, Nikolas Pogan. Ich erinnerte mich dunkel an die zahlreichen Partien aus Zürich 1953 zu jener Bauernstruktur. Es ist beidseitig eine delikate Spielweise notwendig. Entweder wird Schwarz (oder bei Niko Weiß) überrannt bzw. geht an seiner Schwäche auf d6 zugrunde oder Weiß (oder bei Niko Schwarz) überzieht seine Stellung durch ungestümes Vorpreschen. „Ruhige Züge“ waren also angesagt. Dies gelang an Brett 4 besser als ganz vorne. Einzig die Schwächung des Feldes b6 müsste sich Achim Engelhart ankreiden lassen, aber die Stellung blieb lange im Gleichgewicht. Es folgte eine Zeitnotschlacht, bei welcher Niko schließlich in großen Vorteil kam, unterstützt durch das Läuferpaar und die Öffnung der Stellung. Ironischerweise hätte Engelhart selbst eine Qualität im Mittelspiel opfern sollen, um den weißen Fianchetto-Läufer zu entschärfen. Diese Möglichkeit war jedoch verstrichen und Niko hatte nach der Zeitkontrolle schnell zwei Figuren mehr.

In der Zwischenzeit entpuppte sich Thilo als der Phönix, welcher aus seiner eigenen Asche wiedergeboren wurde. Dabei sah es sehr einfach aus. Schwarz versuchte etwas am Damenflügel, was gut aussah. Sicher stand Sokratov eine gewisse Zeit lang sehr gut. Thilo sorgte mit seiner Konstellation De5+Sh5 für Ablenkung am Königsflügel. Plötzlich waren alle schwarzen Figuren in der Defensive und unser Altmeister konnte seelenruhig gewinnbringendes Material einsammeln. Damit steht Thilo bei 2,5/3 Punkten, im Vergleich zu seinem Start in 2019/20 auf jeden Fall eine Wiedergeburt!
Philipp war an 1 definitiv der Meister der ruhigen Züge und wartete einfach ab, was sein Gegner so machen würde. War es kindlicher/jugendlicher Leichtsinn oder war da wirklich Angriff? Jedenfalls preschte Deuer mit seinem f-Bauern schnell nach vorne. Philipp ließ einen Abtausch auf c5 zu, dxc5, plötzlich gehörten ihm alle wichtigen schwarzen Felder und die d-Linie. Nach einem kombinierten Angriff von Dame und Läufer streckte Weiß die Waffen, da sein König keinen Bauernschutz mehr hatte…
Urplötzlich stand es 3-1 für uns und keiner wusste so recht, wie das passiert war.

Bei Thomas passierte auch in der dritten Runde nicht mehr viel, für einen spürbaren Vorteil reichte es fast nie. Da hätte man schon Carlsen’sche Präzision zeigen müssen. Also spielte Thomas wieder Remis. Wird er der Uwe Bäuerle der ersten Mannschaft? Brillenträger sind sie beide schon einmal…
Den Deckel drauf machte Robin. Andreas Schulze opferte in der Eröffnung einen Bauern. Aber irgendwie wollte der schwarze König sich nicht ergeben, obwohl ihm sowohl f- als auch g-Bauern fehlten. Das war langfristig nicht weiter schlimm, denn Robin rochierte natürlich lang. Es wurde eine zähe Partie, in welcher beide Seiten viele Ressourcen nutzen. Letztendlich leitete Robin in ein Turmendspiel über, in welchem er mit seinem aktiven Turm und seinen Freibauern den Gewinn erzielte.

An Brett 3 durfte ich mal wieder gegen Thomas Oberst spielen, wieder mit Schwarz, passend zu meinem Image als böser Imperator. Ich lasse die Partie sprechen.


Reports of my death were greatly exaggerated. Der Imperator schlägt zurück. Ach ja, wer auf ein gutes Ende gehofft hat, weil nach „Das Imperium schlägt zurück“ der Film „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ folgt…das Leben ist nicht Hollywood. Die „Bösen“ können genauso gut gewinnen.

Das war es mit dem Mannschaftska…warte. Da war noch jemand. Richtig, Nicolas! Was tat der eigentlich? Nun, er ging zwar nicht matt, wie ich erwartet hatte. Aber der schwarze Angriff auf der h-Linie sorgte dafür, dass er Turm, Läufer und Springer im Gegenzug für eine Dame aufgeben musste. Namyslo spielte die Stellung sehr gut und Nicolas wollte schon aufgeben, weil er einen Zug in Stuttgart erwischen wollte. Der schwarze b-Bauer stand kurz vor der Umwandlung, dafür musste der schwarze Springer sterben. Aber was war das? Anstatt Tg1+ zu spielen und danach b1=D folgen zu lassen, geschah zuerst b1=D+?? und nach Dxb1+ (mit Schach! Namyslos König stand auf g6) stand es ausgeglichen. Nun war Namyslo der, welcher um ein Remis bat – aber nichts da. Nicolas hatte Blut geleckt und nach 118 Zügen erzwang er in der Philidor-Gewinnstellung des Endspiels „Dame vs. Turm“ die Aufgabe. Hoffentlich hat er noch den Zug um 17 Uhr bekommen.

Wir gewannen 6,5-1,5 und übertrafen die DWZ-Erwartung damit um 1,26 Punkte. Damit sind wir alleiniger Tabellenführer. Hallo? TABELLENFÜHRER OBERLIGA! Mehr Enthusiasmus bitte.

In diesem Bericht verstecken sich einige Referenzen zu Filmen, Serien, Popkultur bzw. Memes. Viel Spaß beim Suchen.

1. Mannschaft


Kommentare

Perfectly balanced as all things should be — Ein Kommentar

  1. Nee, nee, die Einschätzung, du hättest den Einschlag auf f7 vielleicht übersehen, kam von mir selbst. Wahrscheinlich habe ich mich von Runde 1 leiten lassen, als du mit Weiß den möglichen Springer-Einschlag auf f7 übersehen hattest. Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe, wird nicht mehr vorkommen 😀

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