Taktik aus dem wahren Leben (8)

Das Thema dieser Serie ist die „Taktik des Alltags“, also taktische Situationen, mit denen wir Normalsterbliche in unseren Partien konfrontiert sind. Wer genügend Partien gespielt hat, weiß, dass brillante Opferangriffe leider die Ausnahme bilden; entscheidend ist viel häufiger, die kleinen Chancen, die sich links und rechts am Wegesrand auftun, zu erkennen und zu nutzen.

Alle Beispiele kommen aus dem „wahren Leben“, entstammen also meinen eigenen oder Heilbronner Partien. Manchmal kam die Kombination oder taktische Möglichkeit aufs Brett, manchmal wurde sie jedoch auch übersehen. Die Spanne reicht vom simplen kurzzügigen Bauerngewinn bis zu komplexeren Kombinationen, bei denen klassische Motive eventuell in versteckter oder „verfälschter“ Form auftreten können. Hin und wieder ist auch mal eine „Perle“ dabei, entweder in Form einer Kombination „für die Galerie“ oder als gehaltvolle Stellung mit vielen interessanten Motiven und Möglichkeiten, die naturgemäß zum großen Teil unter der Oberfläche bleiben und erst in der Analyse auftauchen.

Eher unkonventionell verlief die Eröffnungsphase der heutigen Partie, so hat Schwarz innerhalb seiner ersten zehn Züge bereits viermal mit der Dame gezogen, die jetzt wieder betont unschuldig auf d8 steht. Andererseits hat sich Weiß mit seiner Entwicklung auch nicht wirklich beeilt; hier flossen die Tempi stattdessen in die Expansion am Damenflügel und zuletzt in die taktische Deckung des Bauern b4 mittels 11. Dd1-f3. Wie sollte Schwarz auf diesen Damenausfall reagieren?

Etwas später kam es in der Partie zu folgender Stellung. Offensichtlich ist Schwarz in der Zwischenzeit irgendwann eine Figur abhanden gekommen, sodass Weiß hier natürlich klar auf Gewinn steht. Wie geht es am schnellsten?

Lösung


Kommentare

Taktik aus dem wahren Leben (8) — 2 Kommentare

  1. 11. … d5 oder 11. … b5 funktionieren nicht, also empfehle ich den fünften Damenzug 11. … Dc7 was gleichzeitig die Drohung e5 entschärft, dem König ein Fluchtfeld gibt und Druck in der C-Linine aufbaut. Weiß hat (mindestens) 3 Möglichkeiten: 12.Lxa6 bxa6 und das schwarze Läuferpaar im Verein mit den offenen Linien am Damenflügel wird schnell sehr stark; 12.Lb3 Sxb4 14.Lxf7+ Kxf7 15.axb4 und das schwarze Läuferpaar braucht noch eine Weile bis es sich entfalten kann; oder ein echtes Gambitspiel z. B. mit 12.e5 Dxe5+ 13.Se2 Sxb4 14.0-0. Objetiv sind die Gambitvarianten sicherlich nicht stichhaltig, doch in Abhängigkeit davon, wie ungern man gegen das Läuferpaar spielt, können sie die beste praktische Chance darstellen.

    Ich weis nicht, ob meine Gewinnweg der schnellste ist, aber sofern Schwarz nicht mit Minusturm spielen will, ist er forciert: ca20.Lh6+ Kxh6 21.hxg6+ Kxg6 22.Tg1+ Kf7 23.Dh5+ Ke7 24.Tg7+ 1-0

  2. Genau, 11… Dc7 ist am stärksten; der Computer empfiehlt dann das Qualitätsopfer 12. Lb3 Sxb4 13. axb4! mit guter Kompensation.

    Du hast es sicher sofort gesehen und daher nicht erwähnt, aber Schwarz muss darauf achten, dass er hier nicht einfach rochieren kann: 11… O-O? war die Partiefortsetzung und ein typischer Fall von „Direkt nachdem ich die Figur losgelassen habe, habe ich gesehen, warum es nicht gut war“.

    Am Ende geht in der Tat 20. Lh6+ am schnellsten; mit Mehrfigur opfert es sich ganz entspannt 🙂

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