„Glückwunsch zur Qualifikation zur DEM!“

…mit dieser Aussage überraschte mich Manfred Lube zum Ende der Württembergischen Einzelmeisterschaft 2014. „Andreas Reuß [der Sieger] macht da nie mit und es qualifizieren sich zwei“, fügte er noch hinzu. Eigentlich gar nicht mal so ungewöhnlich. In der Jugend konnte ich mich zwei Mal sportlich für eine DJEM qualifizieren, auch wenn 2012 über das Hintertürchen „Freiplatz“. Also nahm ich die Nachricht mit einem milden Lächeln auf. Dass ich die Chance bekommen würde, mich mit einigen der stärksten Spielern Deutschlands messen zu können, kam mir gar nicht in den Sinn.

So bekam ich dann auch Nachrichten wie diese hier gar nicht mit. Sporadisch hakte ich beim SVW (Schachverband Württemberg) nach, wann die DEM denn stattfinden würde. Ich solle warten. Okay, denn war ja zu dem Zeitpunkt eh nichts Besonderes.

Als das Turnier bei mir fast schon in Vergessenheit geriet, bekam ich Anfang August – 11 Monate nach der WEM 2014 – eine verheißungsvolle Mail vom Bundesturnierdirektor Ralph Alt. Die DEM würde vom 2. bis zum 12. Dezember in Saarbrücken stattfinden. Exzellent! Aber es gab noch keine Anzeichen einer Meldeliste. Die älteren DEM nach potenziellen Gegnern zu durchsuchen, kam mir nicht in den Sinn. Infolgedessen hatte das Turnier weiterhin keine große Priorität. Ich ging einfach meinem Tagesgeschäft nach.
Immerhin konnte ich schon die finanziellen Konditionen abchecken. Der SVW würde tatsächlich für sämtliche Fahrt- und Übernachtungskosten aufkommen. An dieser Stelle ein dickes Danke an die schwäbischen Verantwortlichen. Natürlich hätte ich auch teilgenommen, wenn ich selbst zahlen müsste, jedoch hilft es ungemein, sich auf das Sportliche zu fokussieren, wenn man mit dem Finanziellen nichts zu tun hat.

Wenige Wochen vor Turnierbeginn gab es dann die ersten Meldelisten. Namen wie Daniel Fridman fallen natürlich sofort auf, neben weiteren Bekanntheiten wie das Jungtalent Vincent Keymer. Nicht zu vergessen sind die zahlreichen anderen GMs und IMs, die man sonst nur von Liveübertragungen „kennt“. Wir Normalsterbliche haben häufig keine Chance, solchen Spielern über die Schulter zu gucken, größere Opens wie in Deizisau bilden ganz klar die Ausnahme. Eindeutig ein starkes Argument dafür, sich bei kommenden WEM wieder anzustrengen. Aber nicht das Einzige.
Spontan noch ein Zugticket gebucht und ab ging’s! Alleine ist eine Zugfahrt nicht wirklich spannend, man achtet höchstens darauf, dass der Akku des Smartphones nicht zu schnell zur Neige geht, damit man nicht alleine in der Ödnis herumstreunt. Nicht schwer zu erkennen war, dass der InterCity von Heidelberg nach Saarbrücken gefühlt aus den 1970ern stammt – wenigstens hatte er eine Klimaanlage.
Ebenso merkt man schon, wie die Ereignisse kürzlich das Leben beeinflussen, so streiften Polizisten durch den Wagen. Bei der Rückfahrt hatte der ICE, aus Paris kommend, aufgrund von Grenzkontrollen 15 Minuten Verspätung. Ein mulmiges Gefühl bekommt man da schon.

Nach dem Erfragen der Bushaltestelle stellte ich entsetzt fest, dass der Spielort gar nicht mehr direkt in Saarbrücken ist, sondern etwas außerhalb, neben der Universität. Wie sollte ich dann meine tägliche Portion Fast Food bekommen? Wie konnte ich mein Döner-Ritual freitags nur erfüllen? Zusätzlich musste ich meine schwere Tasche (für elf Tage kommt Einiges an Kleidung zusammen…) einen guten Hügel hochschleppen. Oh nein! Sollte ich hier, in Kombination mit einer erwarteten geringen Essensqualität, tatsächlich abnehmen?! Skandalös!
Nach dem unerwartet guten ersten Abendessen wurden wir über eine Stunde von den üblichen Regelsachen gequält. Meine Gedanken waren dabei eher „Aha, so sieht GM Fridman also ‚hautnah‘ aus und hm, ist das nicht dieser GM Donchenko? Und das ist doch sicher der Präsident Herbert Bastian, interessant, die ganzen Leute mal zu sehen“…glücklicherweise wurden nur Lappalien diskutiert, die mir eh schon bekannt waren, wie das Reklamieren bei dreimaliger Stellungswiederholung und die sehr streng ausgelegte Handyregelung. Ein kleines Geschmäckle hatte die Sofia-Regel. Der Schiedsrichter Steffan Uhlenbrock, welcher zusammen mit Ralph Alt das Turnier leitete, interpretierte die Regel so, dass er uns ausdrücklich empfahl, vor dem 40. Zug kein Remis zu beantragen, sondern lieber eine Stellungswiederholung zu finden. An dieser Stelle auch ein großes Lob an das Schiriteam, zumindest habe ich von keinem negativ ausgearteten Streitfall mitbekommen.
Am Ende wurden die Paarungen vorgelesen und schon ging es los!

Runde 1 vs. IM Dr. Erik Zude (SV Hofheim, Elo 2393), mit Weiß
Wie erwartet gab es bereits in der ersten Runde einen dicken Brocken. Meine einzige Hoffnung war, dass ich Weiß hatte und dass bei 1. e4 sein Spektrum an Eröffnungen ziemlich auf den offenen Philidor beschränkt war. Ich glaube, ich habe mich insgesamt vier Stunden vorbereitet, am Abend davor und am Morgen danach. Geplant hatte ich nach 1. e4 d6 2. d4 Sf6 3. Sc3 e5 4. Sf3 exd4 (die von mir erwartete Zugfolge) einen populären sowie aggressiven Aufbau mit Lf4, Dd2 und langer Rochade, bei dem ich zumindest nicht positionell eingeschoben werden könnte – etwas anderes zu finden schien hoffnungslos, da er sehr theoriefest schien und eine unheimliche Erfahrung hatte. Darüber hinaus würde 1. e4 ja als Überraschung kommen?!
So war es dann auch, er brauchte seine Zeit, um mich mit seiner Zugfolge etwas auszutricksen. So spielte er im 4. Zug etwas nicht 4. exd4, sondern Sbd7, um einen geschlossenen Philidor anzutäuschen. Darauf ist 5. Lc4 im Prinzip der einzige seriöse Zug und schon war es das mit der Vorbereitung. Da Nicolas Blum sich das vor dem Mannschaftskampf gegen Hall angeschaut hatte, konnte ich mich an ein paar Ideen erinnern. Aber nein, auch dieses Wissen half mir nichts! Mein Gegner nahm dann im achten Zug auf d4, setzte ziemlich zweifelhaft fort und wir erreichten folgende Stellung:

Der Albtraum jedes Isolani-Spielers

Der Albtraum jedes Isolani-Spielers


Vor der entsprechenden Abwicklung habe ich mich gefragt, ob ich etwas Simples übersehen habe. Als die Stellung dann aufs Brett kam, wusste ich, dass das ein Spiel auf ein Tor sein würde – und das wird nicht meins sein. In der Folge spielte ich aber etwas zu unambitioniert (Tausch der Türme) und so konnte mein Gegner eine sehr solide Verteidigungsstellung mit einer ausreichend aktiven Dame einnehmen. Am Ende hatte ich noch einen symbolischen Vorteil, den ich nach fast fünf Stunden jedoch nicht unbedingt noch auskneten mochte. In der Analyse meinte Herr Zude noch, dass er die Abwicklung so überhaupt nicht beabsichtigt hatte, weil er seine Varianten verwechselt hatte. Jedoch habe ich schon gemerkt, dass die guten Spieler ziemlich zäh sind – in der ersten Runde gaben die Favoriten nur vereinzelte Remis ab, auch wenn sie zeitweise schon ziemlich nah bei „verloren“ waren. Hatte Ulrich Schulze doch Recht.

Runde 2 vs. Vincent Keymer (SK Gau-Algesheim, 2324), mit Schwarz
Nach meinem Remis hatte ich es schon geahnt. Es gab keine andere sinnvolle Paarung. Da durfte ich mich gleich schon mal ziemlich alt fühlen, wenn da ein Elfjähriger mir gegenüber sitzt. Und dann spielt er an sich noch besser als man selbst…wo soll das nur enden? Glücklicherweise konnte ich auch hier eine sehr direkte Vorbereitung wählen, da Vincent praktisch nur 1. d4 spielt und auch nur eine Hauptvariante gegen Grünfeld hatte – gegen die ich theoretisch ohnehin fit war und ich dank Partien gegen GM Vadim Shishkin und unseren Robin schon praktische Erfahrung hatte. Ich habe die Partie kurz kommentiert:

Aber natürlich noch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen.

Runde 3 vs. Max Scherer (SGem Dreisamtal, 2236), mit Weiß
In Runde 3 stand Rehabilitation auf dem Plan. Mit Weiß und dazu noch gegen einen Badener, das gab extra Motivation. Hier durfte ich einfach nicht verlieren. Dementsprechend aggressiv war ich drauf und entschied mich für die schärfsten Varianten. Mein Gegner wandte mit Schwarz nur eine Art Owen-Verteidigung an und so musste ich mich dann wohl oder übel durch 1. d4 e6 2. e4 b6 3. c4 Lb7 4. Ld3 f5 5. exf5 Lxg2 kämpfen und konnte den Schluss ziehen, dass es tatsächlich eine Widerlegung in allen Varianten gibt. Musste mir die entsprechenden Varianten nur reinprügeln.
Wie gewohnt „umsonst“ (auch wenn eine Vorbereitung auch langfristig hilfreich ist!), denn Max wich mit 4…g6 direkt ab. Dennoch war das keine Überraschung, da ich diesen Aufbau natürlich kenne und mir auch da Varianten sowie „Musterpartien“ angeschaut hatte. Er schloss das Zentrum mit c7-c5 und e7-e5, ich hebelte dafür mit f4 sowie h2-h4-h5. Das veranlasste ihn zu einer Bauernkette h6-g5-f6-e5-d6-c5 – der arme Läufer auf g7! Positionell war ich klar überlegen und hatte immer die Möglichkeit, den Königsflügel aufzumachen. Seine kurze Rochade brachte mich da aus dem Konzept. Daraufhin fing ich an, krumm zu spielen und er bekam leichtes Gegenspiel am Damenflügel. Da er immer mehr Figuren dorthin verfrachtete, entschied ich mich zu einem spekulativen Figurenopfer, welches in meiner Berechnung auch aufging.

Ganz schön luftig da am Königsflügel - nicht dass sich der schwarze König eine Erkältung holt...

Ganz schön luftig da am Königsflügel – nicht dass sich der schwarze König eine Erkältung holt…


Hier spielte mein Gegner Tg6. Die Idee war, nach Dxe7?? Lxh6+ Kb1 Lg5 einfach meine Dame zu fangen. Wie hätte ich um einigen Vorteil spielen können?
Dass ich die Partie aufgrund katastrophaler Züge in Zeitnot noch aus der Hand gegeben hatte, hat mich entsprechend aufgeregt. Der Fehlstart war damit trotz ansehnlichem Spiel perfekt. So ist es leider auf höherem Niveau, man bekommt selbst kaum Chancen und wenn man dem Gegner Chancen gibt, nutzt er sie eiskalt.

Runde 4 vs. IM Christian Braun (DJK Aufwärts Aachen, 2393), mit Schwarz
Na okay. Es heißt ja „Mund abputzen, weitermachen“. Um mal zu gewinnen, erwartete ich jetzt einen der etwas schwächer gewerteten Gegner. Pustekuchen! Mein Gegner der vierten Runde hatte ebenfalls keinen guten Start erwischt, wobei das für ihn als IM natürlich noch um Einiges härter war, da er im Gegensatz zu mir immer Favorit war. Trotz meines Starts verlor ich nicht meine Einstellung und bereitete mich gewissenhaft vor. So stopfte ich ein paar Lücken in meinem Repertoire und legte mir gegen jeder seiner Anti-Sizilianisch-Varianten (offen hatte er zuletzt nicht gespielt und wenn, dann kürzlich nur 6. Lg5 gegen Najdorf, was ich mir natürlich angeschaut hatte) etwas Passendes zurecht, um zuerst von einem offenen Sizilianer überrascht zu werden – er wollte es wohl wissen – und dann noch 6. Le2 zu sehen. Das war so ziemlich die einzige Variante, die ich nicht wiederholt hatte. Auch gut, also nachdenken und improvisieren. Mein Gegner dafür zog sehr schnell, hatte also scheinbar eine ziemlich tiefe Vorbereitung. Letztendlich kamen wir in ein ausgeglichenes Endspiel, in das er verständlicherweise etwas Feuer goss.

Ich hab zwei Bauern mehr!

Ich hab zwei Bauern mehr!


1) Wie hätte er stärker fortsetzen können als in der Partie? Es folgte Lc4.
2) Wie entschärfte ich den vergleichsweise billigen Trick? Zwei Möglichkeiten, eine habe ich gewählt.
Nach einer forcierten Abwicklung machte ich den zweiten vorm ersten Zug, wodurch er die Möglichkeit erhielt, meinem König meine bevorzugte Route zu nehmen. Dadurch verlor ich sehr viel Zeit durch die Überführung des Königs von f6 zum Damenflügel und die Stellung war im Prinzip verloren.

So baute ich meinen Fehlstart weiter aus und begab mich niedergeschlagen auf mein geräumiges Zimmer. Was macht man, wenn man drei bittere Niederlagen in Folge erleiden musste und in vier Runden keinen Sieg einfahren konnte? Man analysiert seine Partien und schaut, wo man seine Fehler ausmerzen kann? Man sucht Trost und Ablenkung bei Bekannten wie dem württembergischen Mitstreiter Jens Hirneise, welcher bis dahin ein sehr gutes Turnier mit 2,5/4 hatte?
Nein, natürlich nicht. Lieber verbrachte ich meine Zeit im Ödland des neuen Top-Videospiels „Fallout 4“, welches im Jahre 2287 nach einem vernichtenden Atomkrieg spielt. Das erinnerte mich daran, dass es noch viel schlimmere Dinge gibt als mit 0,5/4 am Tabellenende der ersten eigenen DEM zu stehen.
Dementsprechend begann ich, das Ganze etwas gelassener zu sehen.

Runde 5 vs. FM Reinhold Müller (SC Caissa Schwarzenbach, 2301), mit Schwarz
Schon wieder mit Schwarz und abermals gegen einen nominell eindeutig stärkeren Spieler, welcher bis dato unter seinen Möglichkeiten gespielt hatte. Durfte ich hier etwa wieder den Aufbaugegner spielen? Hinzu kam, dass „Ronny“ mir aus meiner Jugendzeit noch bekannt war, was es umso bedrückender machte, dass wir uns am letzten Brett messen mussten. Seine Eröffnungswahl (g3-Systeme gegen Grünfeld) überraschte mich nur wenig, da er im Turnier bereits g3-Systeme angewandt hatte, wenn auch gegen andere Eröffnungen. Zudem riskiert man da als Weißer nicht so viel, sondern kann in symmetrischer Stellung versuchen, seinen Gegner langsam zu überspielen. Hier half mir meine Vorbereitung gegen Vincent, bei der ich auch die g3-Systeme wiederholt hatte. Wir kamen dann in diese Stellung:

Die Sofia-Regel kommt hier extrem sinnvoll zur Anwendung.

Die Sofia-Regel kommt hier extrem sinnvoll zur Anwendung.


Über diese Partie brauche ich folglich nicht mehr sprechen. Für mich war das Remis in Ordnung, auch wenn sowohl Ronny als auch ich damit ganz hinten kleben blieben.
Währenddessen gewann Jens Hirneise auch noch gegen Herbert Bastian und durfte mit 3,5/5 ganz nach vorne stoßen.

Runde 6 vs. Max Weber (Greifswalder SV, 2160), mit Weiß
Ah, das erste Mal ein etwas schwächer gewerteter Gegner. Max war sozusagen ebenfalls ein alter Bekannter, zumindest hatte ich nach den DJEM 2009 und 2012 einen glatten Score von 2-0 gegen ihn. Alles wunderbare Vorzeichen für einen Sieg.
Ich folgte Ronnys Beispiel und wählte eine etwas seichte Eröffnung, die objektiv keinen wirklichen Vorteil versprach, jedoch eine spielbare Stellung gab, zudem waren es keine Stellungen die mein Gegner regelmäßig gespielt hatte, ebenso gab es Raum für Fehler. Schwarz marschierte wild mit seinen Königsflügelbauern gegen meinen kurz rochierten König, jedoch fehlte da die Unterstützung der Figuren, auch weil sein König noch in der Mitte stecken blieb. In der Zeit telegraphierte ich schon einen Angriff am Damenflügel, sodass Max in den geöffneten Königsflügel rochierte. Zwar war kein direkter Königsangriff möglich (mein König war ja auch kurz rochiert und ich wollte meinen König nicht entblößen), durch die Vorstöße e5, g5 und h6 waren jedoch einige weiße Felder geschwächt. Er verpasste es, die weißfeldrigen Läufer vom Brett zu nehmen, was ein nettes Finish erlaubte:

Etwas Einfaches für zwischendurch

Etwas Einfaches für zwischendurch


Wenige Züge später gab Max auf und mir fiel eine riesige Anspannung ab – der erste Sieg! Das bedeutete natürlich nicht, dass groß gefeiert werden durfte, jedoch konnte ich die letzten Runden etwas entspannter angehen.
Ein weiteres Highlight war das Remis von Jens gegen Daniel Fridman mit einer anschließenden Analyse mit dem starken Großmeister sowie Nationalspieler. Das Teilen seiner Gedanken mit uns Amateuren war sehr lehrreich und rundete den Schachtag perfekt ab.

Runde 7 vs. FM Matthias Liedtke (SG Leipzig, 2286), mit Weiß
Auch in der siebten Runde war mir nicht nach einem scharfen Theorieduell, sodass ich seinem Königsinder mit 6…Sa6 auswich und stattdessen eine ruhige Französisch-Variante spielte. Es entstand eine geschlossene Stellung im Geist der Vorstoßvariante, in der relativ wenig los war. Ich spielte nicht ganz genau und ließ so zu, dass er seine Figuren ausreichend aktivieren konnte, um seinen Raumnachteil im Zentrum zu kompensieren. Durch Abtäusche konnte ich den Druck neutralisieren und es wurde ein annähernd ausgeglichenes Endspiel erreicht. Zwar startete er mit seinem Turm eine Invasion, aber ich konnte meine „Schwächen“ ausreichend decken und er fand mit seinen Leichtfiguren keine Eintrittsrouten, ohne meine Figuren aktiv werden zu lassen. Danach wollte er an einer Stelle zu viel, leider ließ ich eine Gewinnmöglichkeit verstreichen.

Der französische Läufer...

Der französische Läufer…


Danach spielte ich in Carlsen’scher Manier bis zum Schluss weiter, riskierte um eines Sieges willen noch eine Verluststellung, konnte seine Gewinnversuche aber noch neutralisieren und den verdienten Remishafen ansteuern. Zum dritten Mal in Folge keine Niederlage war schon ein größerer Fortschritt.
Abermals ein Beleg dafür, dass auf diesem Niveau die Gegner kaum Chancen geben.

Runde 8 vs. Daniel Margraf (Delmenhorster SK, 2265), mit Schwarz
Es ist ja ungeschriebenes Gesetz, dass zum Ende des Turniers die Luft raus ist. Man ist einfach nicht so motiviert und durch die langen Spielzeiten der Runden davor ziemlich erschöpft. So spielte ich alleine gegen Matthias Liedtke sechseinhalb Stunden, hatte kein ordentliches Abendessen und danach im Prinzip keine Freizeit, sondern musste mich schon mit der nächsten Runde beschäftigen. Hier kam dann der Punkt mit der mangelnden Motivation ins Spiel: ich bereitete mich nicht annähernd so akribisch vor wie vor den anderen Runden und spielte genau genommen einfach nur „irgendetwas“. So sah meine Partie danach auch aus, nach 10 Zügen war im Prinzip schon ein glatter Bauer weg und nach 16 Zügen war meine Stellung vollkommen im Eimer – ein wirklich spürbares +3 für meinen Gegner bei zwei Figuren für einen Turm. Ich entdeckte mindestens ein Abspiel, in dem Weiß eine Figur für zwei weitere Bauern und Damentausch geben konnte und mit drei Bauern für eine Minusqualität hätte ich schon aufgeben können. Mein Schwindel ging unverdienterweise auf und plötzlich stand ich etwas besser und in Zug 36 komplett auf Gewinn (Computerbewertung -8). Danach war ich wieder dran mit Rumpatzen und ich sah die einfachsten Gewinnzüge nicht, wobei ich fast meinen ganzen Vorteil vergab. Es gab nur noch einen komplizierten Weg auf Vorteil, den ich auch sah, mir aber nach der ganzen Partie zu unsicher war. Stattdessen ließ ich Weiß unangenehm aktiv werden und war plötzlich wieder in einer Verluststellung. Die Dramatik der Partie verunsicherte uns beide jedoch immer noch, sodass mein Gegner mich entkommen ließ und ich einfach mit meinem König nach c3 rannte, um mich vor Turmschachs zu schützen (meine Bauern auf a6, b5 und c5, sein Bauer auf d3). Mit einer einzigen Dame konnte er komischerweise nur noch Dauerschach geben, da auch ich eine Mattdrohung gegen seinen König hatte.

Da sagt man immer, Remis seien langweilig...

Da sagt man immer, Remis seien langweilig…


Mit Abstand die schlechteste Partie von mir bei diesem Turnier und in gewisser Weise habe ich mich geschämt, ein Remis geholt zu haben, man könnte auch schnippisch argumentieren, dass sich die groben Fehler auf beiden Seiten so weit ausgeglichen haben, dass ein Remis das logische Ergebnis sei. Dafür war ich dann umso motivierter, in der letzten Runde noch eine ansprechende Leistung zu zeigen.

Runde 9 vs. Stephan Tschann (SK Ettlingen, 2258), mit Weiß
Sollte mir wieder ein Badener das Turnier versauen oder durfte ich meinen zweiten Sieg im ganzen Turnier feiern? Jedenfalls kommt es wie so oft und es kommt etwas, was man gar nicht erwartet, aufs Brett. Ich hatte die Ragozin-Verteidigung vor einer gefühlten Ewigkeit mal angesehen und mir meine eigenen Varianten zurechtgelegt; da ich mich nicht erinnern konnte, verwechselte ich die Zugfolge und musste mal wieder improvisieren. Wie gegen Max Weber war nicht wirklich ein objektiver Vorteil nachzuweisen, aber in der Stellung war etwas an Spiel drin.

Modern chess?!

Modern chess?!


Ich kam auf ein seltsames Läufermanöver Le2-d1-b3, um seinen Läufer auf e6 zu neutralisieren. Hier versank mein Gegner in ein längeres Nachdenken (bereits vor meinem Le2-d1!? dachte er lange nach) und fand kein ordentliches Gegenmittel. Ein Abtausch auf b3 wäre zwar im Bereich des Ausgleichs, aber hätte bedeutet, dass mein Turm auf a1 plötzlich sehr aktiv werden kann. So spekulierte er mit …Lg4 auf Gegenspiel, seinen Figuren fehlte dann aber die Koordination und er gab in einer sich androhenden passiven Stellung, Material zu geben. Nach Hergabe einer Qualität gab ich ihm aufgrund einer unpassenden Zugfolge noch eine Möglichkeit, die er aber sofort ausschlug, zum Glück für mich. Danach war die Partie nur noch von Verwalten und Vergrößern des Vorteils geprägt und keine große technische Aufgabe mehr.

Nach dem eindeutigen Fehlstart mit 0,5/4 konnte ich mich dann doch noch einmal aufraffen und Niederlagen in der zweiten Turnierhälfte vermeiden. 4/9 (25. Platz von 36) liest sich für die erste Teilnahme bei einer DEM ganz gut und mit etwas konzentrierterem Spiel wäre auch 50% drin gewesen, wenn nicht sogar mehr. Von daher kann ich nur nach vorne schauen bei einer möglichen DEM-Teilnahme 2017 – 2016 werde ich wohl nicht spielen können, da ich nicht an der WEM 2015 teilgenommen habe.
Jens erwischte in den Runden 7 und 8 mit GM und „Schachprinz“ Alexander Donchenko sowie IM Hagen Poetsch sehr schwere Lose und holte dadurch 0/2; in Runde 9 erlaubte er sich wie ich in Runde 8 eine komplett verlorene Stellung mit gutem Ende, er gewann gegen FM Johannes Dorst und landete mit 5/9 auf einem starken 12. Platz – eine Leistung von 2441 bedeutete, dass er um 9 „Leistungspunkte“ an der IM-Norm vorbeigerutscht war.

Vor der Abreise am Samstag ließen die meisten Spieler zusammen mit dem Organisationsteam das Turnier mit einem Abschlussbankett ausklingen. Dabei kam ich dann mit Leuten in Gespräche, die ich überhaupt gar nicht kannte und von schachpolitischen Themen bis hin zum Status von Lehrer und Schule in der heutigen Gesellschaft wurde Vieles ausgiebig diskutiert. Ich kann hier nur empfehlen, sich möglichst ein eigenes Bild von bekannten Personen der Schachszene zu machen, sei es starker GM oder bekannter Funktionär. Für mich persönlich konnte ich feststellen, dass das, was im Internet gerne von sich gelassen wird, so einfach nicht stimmen kann – aber das ist dann ein allgemeines Problem unserer digitalen Gesellschaft, dass man viele Sachen behaupten kann, die von Lesern aufgesogen werden, wodurch sich vorgefertigte Urteile ergeben, die zwischenmenschlichen Kontakt öfters erschweren.

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Enis Zuferi


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