Um einen Zug zu langsam: Jährlich grüßt das Murmeltier

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Das zweite Jahr hintereinander trauten wir uns jetzt in den KO-Pokal des Schachbezirkes Unterlandes, um die Trophäe nach gefühlt dreißig Äonen endlich mal wieder bei uns stehen zu haben. Nominell sollte das wohl wie die Verbandsliga-Mannschaft die stärkste Mannschaft sein, die wir je gestellt haben.
Hilft leider nichts, wenn der beste aktive Spieler des Vereins in Frankreich wohnt und deswegen nicht so häufig spielen kann. Adam hatte leider auch kurzfristig abgesagt, sodass Ole mehr oder weniger freiwillig – „hm naja ach na gut, wenn es sein muss, spiele ich, aber nur, wenn es absolut sein muss“ – Robin, Ramin und mich komplettierte und zudem den Chauffeur spielen durfte. Trotzdem waren wir ja sehr gut besetzt, was auch nötig war, da unser Gegner im Kleiningersheimer Rathaus auf uns wartete. Die Ingersheimer hatten uns erst in der Saison 13/14 aus dem Pokal gekickt, wobei das auch ein ziemlich bitteres 1-3 mit heftigen Einstellern war.

Die GDL streikte zwar, jedoch war die A81 nach Stuttgart frei, sodass folgende Paarungen rechtzeitig freigegeben wurden:
Bluma, Marcel (2138) – Zuferi, Enis (2180)
Schuch, Armin (2053) – Geshnizjani, Ramin (2071)
Cummings, Nicolai (1914) – Stürmer, Robin (2245)
Cummings, Orlyn (1888) – Wartlick, Ole (1849)

An den Brettern 1 und 4 hatten wir Weiß, die Aufstellung bildete sich nach folgenden Aussagen quasi von selbst:
Robin: „ich spiele gerade so schlecht, ich will an 4“
Ole: „also ich hätte ja schon gerne Weiß“
Ich (in Gedanken): „Bluma spielt sicher an 1, wäre schon witzig, gegen ihn zu spielen…“
Ramin sagte nichts, da er zum Zeitpunkt des Aufstellens nicht anwesend war. Somit durfte ich frei entscheiden und es ergaben sich oben genannte Spiele.

Für den ersten ganzen Punkt sorgte Robin. Zugute kam ihm zunächst, dass sein Gegner ca. 20 Minuten zu spät kam. Gewissermaßen als Trotzreaktion auf die Ergebnisse der letzten Zeit wählte Robin einen ziemlich provokanten Aufbau: 1. d4 Sc6 2. c4 e5, was man als „gespiegelte“ Aljechin-Verteidigung bezeichnen könnte. Weiß ließ sich auch locken und dehnte sich im Zentrum aus, das Läuferpaar behielt auch nur noch Weiß. Es lief darauf hinaus, dass Robin einen seiner Springer nach g7 fianchettierte, woraufhin Ramin fragte, ob der Aufbau nicht irgendwie Königsindisch sei – ich meine aber, das sollte einen eigenen Namen bekommen, z.B. Prinzenindisch. Weiß hatte die ganze Partie über eigentlich nie Probleme, entschied sich aber zu früh dazu, mit f4 das schwarze Zentrum anzuhebeln. Mit einem langen Damenschach von b6 aus begann eine Reihe taktischer Drohungen, welche Robins Gegner in Kombination mit der Zeitnot dazu veranlassten, eine Qualität zu geben. Schwarz behielt seine aktive Stellung jedoch bei, sodass sich das Material schnell durchsetzen konnte.

Ole versuchte sich im Staunton-Gambit (1. d4 f5 2. e4), wollte jedoch kein wirkliches Gambit spielen und holte sich den Bauern unter Hergabe des Läuferpaars wieder zurück. Die entstandene Stellung gab für Weiß nicht viel her, sodass sich Ole dazu genötigt sah, in ein Endspiel abzuwickeln, welches ihn zu genauer Verteidigung zwang. Das Läuferpaar schien bei Bauern auf beiden Seiten einen Unterschied zu machen, der Springer verhinderte jedoch bis aufs Weitere, dass der schwarze König die weiße Bauernkette a2-d5 aufreiben konnte. Ich bin mir nicht sicher, ob Schwarz es hätte besser spielen können, jedoch sahen der entfernte Freibauer auf h5 und das Läuferpaar eben wie gewichtige Argumente für einen schwarzen Sieg aus. Glücklicherweise sah Orlyn Cummings keinen Gewinnweg, sodass sich die weißfeldrigen Läufer abtauschten und Weiß die Partie Remis hielt. Dem übriggebliebenen schwarzen Läufer fehlten einfach die Ziele im weißen Lager.

Tatsächlich führten wir 1.5-0.5, sollte uns die Revanche gelingen?!

Cheffe jr. hatte seine Zauberfähigkeiten wohl schon am letzten Sonntag aufgebraucht. Die Abtauschvariante des abgelehnten Damengambits – mit Schwarz! Ramin befindet sich wohl auf Eröffnungssuche – behandelte er mit dem Läuferausfall Lg4 sehr unorthodox. Fernab von jeglicher Theorie begann Weiß am Königsflügel anzugreifen, während Ramin einen Angriff gegen den lang rochierten weißen König startete. Seine Figuren streikten zwar nicht, die Arbeitsmoral der schwarzen Streitkräfte schien ähnlich wie die der irakischen Soldaten im Keller zu sein, da der schwarze Angriff nicht so recht ins Rollen kommen wollte. Weiß half etwas nach und verbrauchte ein paar Tempi, was in einem (in meinen Augen) ausgeglichenen Doppelturm-Läufer-Endspiel resultierte. Ramins Niederlage lag letztendlich der Trugschluss zugrunde, dass die Partie durch Abwarten einfach so in einem Remis münden würde. Weiß hatte schließlich noch einen Pfeil im Köcher und der traf Ramins König mitten ins Herz – der Ausgleich war vollbracht.

Wer ein aufmerksamer Leser dieser Homepage ist bzw. sich gerne im stilistischen Genie meiner Berichte sonnt, erinnert sich daran, dass ich meine Partie an den Schluss gestellt hatte, obwohl sie als Erste beendet war. Überraschung: das Gleiche habe ich auch hier gemacht.
Mein Gegner und ich kamen noch Gespräch darüber, wie toll die Jugendzeit doch war und dass wir ja schon ewig nicht mehr bei den Jugendeinzelmeisterschaften waren, weil wir zu alt sind…ach ja, da werden Erinnerungen wach. Ich kann jedem Jugendlichen U18, der das liest, nur empfehlen: nutze die Zeit, die du in der Jugend hast! Die Jugendeinzelmeisterschaften (allen voran die mit Übernachtung) zählen zu den erlebnisreichsten Turnieren, die ich selbst gespielt habe.
Im Endeffekt hatte Marcel von der WJEM 2012 noch eine Rechnung mit mir offen, insgesamt war das Duell zwischen uns beiden jedoch ausgeglichen, da er mich bei den BJEM 2005 besiegen konnte.
Der Partieverlauf gab zumindest für Schwarz keine wirklichen Optionen, in Vorteil zu gehen. Ich zog den Minoritätsangriff an fast allen Stellen konsequent durch und blieb in 40 von 41 Partiezügen voll konzentriert. Nur in diesem einen, dem 20. Zug, spielte ich komplett aus dem Handgelenk heraus und fabrizierte prompt keinen guten Zug:


Die Züge 22…fxe3 bis 30. Dc5 sind sehr interessant, während der Partie habe ich jedoch nicht gesehen, dass irgendein Spieler seine weit vorgerückten Freibauern umsetzen konnte. Stockfish bestätigte mir diesen Eindruck, als ich die Partie eingegeben habe. Wer weitere Anregungen hat, kann diese gerne in den Kommentaren wiedergeben.
So trennten sich zwei gute Spieler in einer fast durchgehend sauberen Partie (bis auf den weißen 20. Zug) eben Remis.
Wer nachgerechnet hat, hat es schon gemerkt: wir haben 2-2 verloren. Die Berliner Wertung entschied, dass die Ingersheimer uns mal wieder ein Schnippchen schlagen konnten, da sie den Sieg an Brett 2 geholt haben, wir nur an Brett 3. Übrig bleibt mir nur zu sagen, dass ich hoffe, dass unser „Angstgegner“ sich wieder den Pokal holt und auch mal auf Verbandsebene ein Ausrufezeichen setzen kann.
Es lässt sich zu meiner Erleichterung ein Trend erkennen: 2013/14 haben wir 1-3 verloren, jetzt 2-2 nach Berliner Wertung. Beim nächsten Aufeinandertreffen im Pokal werden wir es schaffen, ich bin mir sicher.


Kommentare

Um einen Zug zu langsam: Jährlich grüßt das Murmeltier — 3 Kommentare

  1. Hey,

    schade, dass es nicht geklappt hat. Nächstes Jahr dann! 🙂
    Sicher, dass das die stärkste Mannschaft war, die wir je im Pokal hatten? Die letztes Jahr gegen Ingersheim war doch nochmal deutlich stärker, und ich meine nicht wegen mir, sondern wegen Nicolas 😉

  2. Nominell sollten Nicolas, Robin, Adam und ich die stärksten 4 sein, die es je gab, aber auch nur nominell 😛
    In der Praxis hatten wir Adam und Nicolas ja nicht.

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