Time to say „goodbye“ – part 1

140628_BWLiga

Was dieser aufreißerische Titel nun bedeuten mag, kann jeder für sich entscheiden.
Ich kann nur sagen: Teil 2 wird lange auf sich warten lassen.

Man kennt es von mir mittlerweile, ich schweife gerne aus und erzähle viel Hintergrundinformationen. So wurde ich beim Training, welches am Tag vor dem letzten Saisonspiel der BW-Jugendliga U20 stattfand, mit der Information überrascht, dass Saygun über das Wochenende gar nicht da war. Problem: wer schließt am Samstag auf? Zu allem Überfluss schien Sayguns Empfang ihn im Stich zu lassen, wodurch ich erst am Samstag gegen Mittag Instruktionen bekam, was ich zu tun hätte im Falle eines Nicht-Erscheinens des Hausmeisters des RMG bzw. einem seiner Stellvertreter. Planungssicherheit sieht zwar anders aus, jedoch kann es nicht schlecht sein, Spontaneität und Krisenmanagement auf eine Probe zu stellen.

Zur Ausgangslage vor dem Spiel:
Tobias Peng und Marcel Mikeler „wurden ausgesetzt“, um Simon Degenhard und Christian Thren weitere Spielminuten zu geben. Damit würden wir nominell natürlich nicht mit der stärksten Mannschaft antreten, jedoch hatten wir auf die Drittplatzierten Baden-Badener (schreibt man das so?) einen komfortablen Vorsprung von zwei Mannschaftspunkten. Da diese zudem gegen die praktisch außer Konkurrenz spielenden Bebenhäusener spielen mussten, war es eigentlich ausgeschlossen, dass wir den zweiten Platz noch verlieren würden. Den zweiten Platz halten könnte unter Umständen wichtig sein: zwar qualifizierten sich immer die besten drei Teams für die Deutschen Vereinsmeisterschaften U20, jedoch wurden die Kontingente für dieses Jahr noch nicht bekanntgegeben. Durch das sehr kontrastreiche Abschneiden in den letzten Jahren (Bebenhausen regelmäßig vorne dabei bzw. 1./die anderen beiden Teams ganz hinten drin, darunter auch wir) könnte es durchaus sein, dass Baden-Württemberg den dritten Startplatz verliert.
Unsere Gegner aus Ulm hatten dafür andere Sorgen. Sie schwebten vor dem Spiel in akuter Abstiegsgefahr. Der erste Abstiegsplatz war an den SC Neumühl praktisch fest vergeben, während sich um den letzten Platz die Ulmer, die Sontheimer und die Karlsruher „stritten“ – so wirklich will natürlich niemand absteigen. Während Sontheim in der 6. Runde von uns geschlagen wurde, hatten jene mit Göppingen eine lösbare Aufgabe, jedoch Personalprobleme zu beklagen. Die Nordbadener aus Karlsruhe hingegen konnten gegen Neumühl durchaus mit Punktgewinn rechnen. Für Ulm war also klar: sie mussten gegen uns irgendetwas Zählbares holen.
Am RMG angekommen, sah ich auch den Willen der Ulmer: sie waren in Bestbesetzung angetreten.

„Ey Patrick, ist alles offen?“ – „Ja Enis, alle Türen sind offen“. Passend zum Saisonabschluss „musste“ ich mich wieder im Jugendheim bezüglich Spielsätzen bedienen, da es nur dort die Holzbretter und Digitaluhren gibt. Also schnell um 10 vor 2 hingerast, im Eiltempo die Sätze mitgenommen (nicht schön, wenn es gleichzeitig regnet) und als begossener Pudel wieder zurückgerast. Inklusive Herzrasen, da ich wirklich fünf Mal durchs Jugendheim gerannt bin, weil ich keinerlei Mithilfe beim Einräumen hatte.

Kein Vergleich zur Dauer, in der ich die Figuren geholt hatte, waren die Dauer der Partien. Schließlich waren, basierend auf der Ausgangslage, die Ulmer an drei von sechs Brettern leichte DWZ-Favoriten. Die Erwartung hatte sich bestätigt: bis die letzte Partie beendet war, verweilten wir fünf (!) Stunden im RMG.

Den Anfang durfte dabei unser jüngstes Teammitglied, Simon Degenhard, machen. Mit Weiß überspielte er seinen Gegner David Ringhut in einer Aljechin-Verteidigung relativ simpel. Durch den zweifelhaften Vorstoß …c5 fühlte sich der schwarze Bauer auf d6 wie ein frisch ausgesetztes Tier – einsam, verlassen und hilflos. Im „Schachjargon“ nennt man so einen Bauern kurz und knapp rückständig. Dieser ging folglich verloren, nach weiteren Abtäuschen entstand ein Dame-Turm-Endspiel mit einem weißen Freibauern auf d6. Simon machte sich dann die schwache schwarze Grundreihe und einen Fehler des Gegners zunutze:

Degenhard - Ringhut (Gedächtnisprotokoll)

Degenhard – Ringhut (Gedächtnisprotokoll)


Schwarz braucht dringend ein Luftloch – griff aber mit 1…h6?? vollkommen fehl. Es folgte 2. Te7! Dxd6?? 3. Te8+ Kh7 4. Dxd8 und Aufgabe. Auch nach 2…Dxc7 3. dxc7 Tc8 ist es nach 4. Td7 vorbei – Schwarz muss 4…Kh7 spielen, um Td8+ abzuwehren, wonach einfach 5. Txf7 eine gewonnene Stellung ergibt. Mit 1…g6! hätte Schwarz kämpfen können: 2. Te7 Dxc7 3. dxc7 Tc8 4. Td7 Kg7 und f7 ist gedeckt.
Bedenkt man hierbei, dass David Ringhut eine überragende WJEM 2014 gespielt hatte mit einem 3. Platz, wobei er gegen Kevin Walter und Tobias Schmidt (beide über 2000!) 1,5 Punkte holen konnte, scheint die Leistung unseres jüngsten Sohnes doch stärker als zunächst angenommen.

Einer der ältesten Spieler, Christian Thren, machte es leider gar nicht gut. Unsere kurze Vorbereitung auf 1. d4 + 2. Sf3 beinhaltete, zuerst Sf6 und dann d5 zu spielen. Gesagt, getan! 1. d4 Sf6 2. c4 d5?! – so war das aber nicht gedacht…“ja eigentlich spiel ich ja Budapester, aber hab vergessen, wie das geht“ – gut! – „also hab ich halt d5 gespielt, um irgendwie etwas Skandinavisches zu machen“ – leider hat Weiß im Gegensatz zum Skandinavier in der Partie noch seinen e-Bauern und damit ein Vollzentrum gehabt. Dementsprechend war die Partie auch ein perfektes Beispiel dafür, wieso die totale Zentrumskontrolle ohne Gegenspiel so vernichtend ist. Christian hatte nie viel Raum für seine Figuren, wodurch fast automatisch ein Bauer verloren ging. Mit leichten Hoffnungen auf ein Dauerschach opferte er noch einen Turm. Ok, ich muss zugeben, dass die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich ein Dauerschach drin war, eher gegen 0 geht, mein Stochastik-Professor könnte dies sicher bestätigen. Letztendlich entkam der König von Robert Mierzwa den wenigen Schachs und es stand 1-1. Egal! Nach der Partie hieß es „yeah wir fahren zur DVM!“ – oh, jetzt habe ich vorweggenommen, dass wir es geschafft haben…

Der Esel nennt sich ja in der Regel zuletzt, jedoch bin ich aufgrund der Chronologie gezwungen, meine Partie jetzt zu erwähnen. Wenn ich beim Spiel gegen Göppingen wie ein AKW strahlte, weil ich mal wieder einen offenen Sizilianer bekam, dann war das heute praktisch eine Kernschmelze. Leider konnte ich die in mir freigewordene Energie nicht wirklich nutzen, da sich die Partie aufgrund der von Weiß gewählten Variante (6. g3) in sehr gemächlichen Bahnen bewegte. Katja Stoll gab mir dennoch etwas zu tun (sonst wäre ich wohl eingeschlafen; meine permanente Müdigkeit ist aber sicher nicht in meinen nächtlichen Aktivitäten begründet!), da sie einen Springer auf d5 stellte und somit die Struktur änderte (Sd5 Sxd5 exd5). Damit hatte ich nach weiteren Abtäuschen zwei wundervolle Ziele: einen quasi-isolierten Bauern auf d5 und einen rückständigen Bauern auf c3. Jedoch schien der Teufel im Detail zu stecken, denn keiner meiner Pläne schien zu fruchten.

Stoll - Zuferi

Stoll – Zuferi


Eigentlich wollte ich …e4 spielen, um den Bauern d5 von der Unterstützung des Lg2 abzuschneiden. Dies hatte aber nie wirklich so geklappt, da dann meine schwarzen Felder schwächer wären und zudem, sollte ich den d5 gewinnen, wäre der d6 eine permanente Schwäche. So eklig wie abgelaufene Milch. In der Diagrammstellung war meine Gegnerin nach …Tdc7 dran – ich bot eine Zugwiederholung an, um eine neue Idee zu bekommen (…Te7! mit der Idee e4-Te5 kam mir erst nach …Tdc7). Sie wollte jedoch nicht Dd2 spielen und „entkorkte“ Td2?? – nach Dxb4 war es auch vorbei. Vielleicht baute sie ja auf die Falle …e4?? Lf1 mit Damengewinn. Ausnahmsweise wollte ich meine Dame aber nicht einstellen.
Mit roten Pfeilen ist der Weg meiner Dame eingezeichnet, welche sicher die Hauptfigur in der Partie war. Auf welch kreative Routen man kommt, wenn einem sonst nichts einfällt…

Dmitriy schien, an Brett 4 gegen Alexander Kelemen, etwas von mir verstrahlt worden zu sein. Die wöchentlichen Zusammenkünfte freitags können seinen (Gehirn-)Zellen nicht gut getan haben. So kam er aus der Eröffnung ordentlich raus, riss aber seinen Königsflügel in Ermangelung eines anderen Plans auf. Anstatt aber eine Gewinnvariante – die er berechnet hatte – zu spielen, wählte er eine Ausgleichsvariante und stellte einen Zug darauf einzügig eine Figur ein. Dass er dabei drohte, wieder in akute Zeitnot zu geraten, ist uns Leidensgenossen mittlerweile hinlänglich bekannt.
Statt Vereins-Poloshirts sollte Ramin also lieber die befürchteten Bleianzüge ordern, um weitere Menschen vor meiner Ausstrahlung zu schützen.

Patricks Partie reihte sich in die Kategorie „saubere Siege“ nahtlos ein. Einen königsindischen Stellungstyp mit weißem Königsläuferfianchetto behandelte sein Gegner Frank Bitter sehr unorthodox, als er zahlreiche positionelle Konzessionen – …h6, …Sh5 – machte. Patrick konnte schön ausnutzen, dass sein Tc1 der schwarzen Dame auf c7 gegenüberstand. Das Resultat war ein Damentausch und ein weit vorgerückter Freibauer auf c6, der auch wunderbar von den weißen Figuren unterstützt wurde. Es folgte eine klar gewonnene Stellung, auch weil die schwarzen Türme auf a8 bzw. c8 sehr passiv herumstanden. Zwar spielte Patrick nicht die besten Züge, aber sehr viele Züge für die Galerie, weswegen ich auch hier ein Bild anfügen werde.

Wenninger - Bitter (Gedächtnisprotokoll)

Wenninger – Bitter (Gedächtnisprotokoll)


Es folgte: 1. Ld4 (hübsch!) Lxd4?! 2. Txd4 (auch hübsch!) Sf6 3. Se5 Kg7 4. f3 Ld5?! 5. Sd7 (wieder hübsch!) Sxd7? (exf3 wäre widerstandsfähiger) 6. Txd5 Sf6 7. fxe4 (bin es fast leid zu schreiben…hübsch!) fxe4 8. Td6 g5 9. Txf6 (Schönheitspreis!). Vorbei.

Bitter für Ulm. Also nicht, dass Bitter für Ulm gepunktet hat. Bitter war diese Niederlage für Ulm. Ihr versteht mich schon…
Denn das war das 3-2 für uns und somit musste Walter Veit gegen Christian Biefel unbedingt auf Gewinn spielen, um den Ulmer Abstieg sicher zu vermeiden. Dies sollte sich aber als schwieriger als gedacht herausstellen. Trotz Bauernschwäche auf c6 und unrochiertem König (bis zum gefühlt 30. Zug – dann hat er es aber geschafft) konnte Christian dank starkem aktiven Figurenspiel einen Freibauern auf der b-Linie bilden. Diesen konnte Weiß nur eliminieren, indem er Springer + Läufer gegen einen Turm gab. Zu allem Überfluss für die Ulmer spielte unser Mannschaftsführer weiter stark und konnte den verlorenen Bauern zurückgewinnen. Vielleicht lag es am fortschreitenden WM-Spiel Brasilien vs. Chile, an der Vorfreude auf die anschließende Meisterfeier oder einfach am Wissen, dass wir praktisch das Match gewonnen hatte – Christians Spiel wendete sich um 180 Grad und er zog seine Figuren zurück, dazu verschmähte er einen Turmtausch, der ihm – dabei bleibe ich – einen leichteren Gewinn ermöglicht hätte, da zwei Türme für mehr Gegenspiel sorgen können als ein Turm. Um 19 Uhr ergab sich der „alte Knacker“ und willigte ins Remis ein.
Das 3,5-2,5 bedeutete den sicheren zweiten Platz für uns und somit die 99,9%ige Qualifikation zur Deutschen Vereinsmeisterschaft U20. Für die Ulmer bedeutete das leider den Abstieg, da Neumühl ein weiteres Spiel kampflos abgab, wodurch die Nordbadener aus Karlsruhe an den Württembergern vorbeiziehen konnten. Die „Nachbarn“ aus Sontheim/Brenz retteten sich grad so durch ein 3-3 in Göppingen – dabei traten sie nur zu viert an. An dieser Stelle bleibt mir den Ulmern nur zu wünschen, dass sie den Wiederaufstieg möglichst bald wieder schaffen.

Jetzt bleibt nur noch die Frage, was der Titel zu bedeuten hat…


Kommentare

Time to say „goodbye“ – part 1 — Ein Kommentar

  1. Hi,

    ist wieder ein gelungener Bericht geworden, Enis!

    Vor allem aber – auch im Namen des restlichen Vorstands – herzlichen Glückwunsch zur Vizemeisterschaft und somit der Qualifikation zur DVM U20! Wenn ich richtig gezählt habe, ist das jetzt das 11. Mal in Folge; das ist wirklich hervorragend!

    Schade, dass ich erst so spät kam, da habe ich ja wirklich was verpasst. Simon hat mir nachher seine Partie gezeigt und ich hätte da eher den Eindruck bekommen, dass Simon der um 100 DWZ Stärkere war statt umgekehrt. In der Schlussstellung müsste der b-Bauer zwar auf b3 stehen, das ändert aber nichts Wesentliches an der Stellung.

    Dein Damenmanöver sieht auch ganz nett aus, schön, dass sie es überlebt hat 😉 Und zu Patrick kann ich gar nichts sagen, da sprechen die letzten Züge einfach für sich.

    Ansonsten, da du die Strahlenquelle zu sein scheinst, müsste wohl ein Bleianzug genügen; alle anderen bekommen Poloshirts 😉

    Grüße

    Ramin

Schreibe einen Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Die Kommentare sind moderiert und werden in der Regel innerhalb eines Tages freigegeben. Sollte es länger dauern, haben wir den Kommentar entweder übersehen oder der Spamfilter hat zugeschlagen. In diesem Fall bitten wir um eine kurze E-Mail an webmaster@schachverein-heilbronn.de.