Bericht von der Stuttgarter Stadtmeisterschaft

Julian Bissbort hat einen Bericht über das A-Turnier der Stuttgarter Stadtmeisterschaft geschrieben:

Kurze (oder eher lange) first-hand-experience von der Stuttgarter Stadtmeisterschaft:

GM Viacheslav Ikonnikov – Julian Bissbort (Quelle: Turnierseite)

Das A-Open war dieses Jahr sowohl in seiner Spitze als auch in der Breite außerordentlich dünn besetzt, sodass Philipp von Anfang auf Position 16 und ich auf Position 48 gesetzt war. Das änderte allerdings nichts daran, dass ich, wie die letzten Jahre auch, gleich in der ersten Runde am ersten Brett mit GM Ikonnikov das erste Schwergewicht bekam. Witzigerweise lande ich immer an Brett 1 (so auch 2009 und 2012), aber nie an Brett 2, wo ich zumindest mal Weiß gehabt hätte.

Philipp gewann die erste Runde, nachdem er sich aus der Eröffnungstheorie befreit hatte, relativ souverän gegen einen 1900er, indem er ihm zeigte, dass das Läuferpaar einen Doppelbauer mehr als kompensiert.

Ich für meinen Teil spielte zum ersten Mal das Blumenfeld-Gambit, was der Großmeister aber zunächst ablehnte um den Bauern später doch zu gewinnen und mich am Damenflügel zusammenzuschieben. So sah ich mich gezwungen, relativ früh am Königsflügel anzugreifen, zumal ich am Damenflügel eine Qualle spucken musste. Immerhin hatte ich das Läuferpaar für Turm und Springer. Nach einer Ungenauigkeit seinerseits konnte ich dem GM sogar nochmal kurz richtig einheizen. Beide Läufer zielten scharf auf die weiße Königsstellung und über die offene g-Linie drohte bald ein böses Opfer meines noch verbleibenden Turmes. So blieb ihm nur, die Qualle für einen meiner Läufer zurückzugeben, was aber leider gleichzeitig bedeutete, dass sein Freibauer auf der a-Linie die Partie entscheiden würde. Schade, mit ein bisschen Stellungsglück hätte ich vielleicht ein Dauerschach „herausgefuddelt“ – der GM hatte den Königsangriff nämlich tatsächlich zunächst unterschätzt, wie er später zugab.

In der 2. Runde gewann Philipp wiederum gegen einen 1900er, hatte aber Glück, dass er sein eigentlich schon zum Remis vergeigtes Endspiel noch zum Sieg führen konnte.

Ich spielte ebenfalls gegen einen 1900er, und, nachdem ich 3 mal Remis abgelehnt hatte, konnte ich ab dem Mittelspiel meinen Stellungsvorteil kontinuierlich ausbauen, so dass mein Gegner bei knapper Zeit irgendwann den Überblick verlor und eine Figur geben musste, woraufhin er aufgab. Insgesamt eine schön aber auch lehrreiche Partie, denn nach 10 Zügen hatte ich mich alles andere als optimal aufgebaut gehabt und musste erstmal seine lästigen Springermanöver parieren.

Runde 3 brachte für Philipp mit FM Ilya Manakov den erwartet schweren Gegner. In der Eröffnung hatte Philipp couragiert gespielt und Manakov so einige Bedenkzeit abgeknöpft. Was danach passierte, konnte ich nicht mehr verfolgen. Philipp hatte laut eigener Aussage Remis abgelehnt, und als ich mal wieder ans Brett kam hatte er zwar 2 Türme für Dame, aber stand verdächtig und verlor bald darauf.

Bei mir gab es den nächsten schweren Brocken, IM Dobosz. Allerdings hatte ich diesmal Weiß und einmal mehr nichts zu verlieren. So spielte ich munter drauf los und nutzte ein ungenaues Läufermanöver des IMs um ihn hinten reinzudrücken. Nach 11 Zügen hatte ich rochiert, alle Figuren entwickelt, ein starkes Zentrum und vermeintliche Perspektiven im Königsangriff. Der PC bewertet diese Stellung aufgrund des Raumvorteils und der guten Diagonalen meiner Läufer mit +1.0. Leider kann aber auch er mir nicht sagen, wo denn diese eine Bauerneinheit vielleicht in einen Bauern oder Qualitätsgewinn umzusetzen sei, und so konnte ich nichts weiter tun, als meine Stellung zu halten und leicht zu verstärken. Der IM hatte indes begriffen, dass er sich umsichtig verteidigen musste, und dass ich keine Scheu vor einem Außenseitersieg gehabt hätte. In dieser Phase fand er wirklich gute Züge und nach einem ungenauen Manöver meinerseits war die Partie wieder bei Ausgleich, als Dobosz sich entschloss, die Stellung zu öffnen – eine richtige Entscheidung, denn bald darauf verlor ich bei knapper Zeit den Überblick und verlor einen wichtigen Zentrumsbauern. Immerhin hatte ich dafür das Läuferpaar erhalten und kämpfte weiter um das Remis. Wann immer ich dachte, ich könnte ihn nochmals mit meiner Dame vor ernsthafte Probleme stellen, fand er eine Riposte. Letztendlich war ich gezwungen, die Damen zu tauschen und einen weiteren Bauern zu geben. Als Anerkennung lief ich in glatt verlorener Endspielstellung noch in ein schönes Mattnetz mitten auf dem Brett – Wolf Böhringer und Friedrich Löchner hätten ihre helle Freude daran gehabt! Damit war die 3. Runde verloren und ich stand bei erst einem Punkt, war aber mit meiner Leistung nicht unzufrieden.

In der vierten Runde besiegte Philipp einen 2000er, aber auch davon bekam ich leider so gut wie gar nichts mit. Ich war zu sehr mit meinem Budapester Gambit gegen Vadym Kaplunov (1900) beschäftigt, in dem ich nach 10 Zügen die Chance zu einem strategischen Figurenopfer für zwei Bauern am Damenflügel hatte. Normalerweise lasse ich mich bei so was ja nicht lange bitten; nun waren aber die Damen bereits getauscht, sodass ich wirklich genau hinschauen musste. Irgendwann entschloss ich mich dann, das Opfer auf b4 zu spielen, einfach weil ich „Bock hatte“ – eine richtige Entscheidung, wie mir auch der Computer hinterher sagte, der das Opfer als besten Zug mit 0.5-Vorteil für Schwarz bewertet. In der Partie war ich mir in der Folge allerdings alles andere als sicher, ob dieses Opfer seine Berechtigung hatte, hatte ich doch einen ungenauen Zug gemacht. Trotzdem ergaben sich immer wieder wie von alleine Motive und Drohungen, die meinen Gegner so beschäftigten, dass er seinen Königsflügel nicht entwickeln konnte und der König in der Mitte auf e2 verharren musste, während der Läufer auf f1 und der Turm auf h1 quasi aus dem Spiel genommen waren. Nachdem ich einen weiteren Bauern eingeheimst hatte, drohte mein b-Bauer zur Dame zu werden. Die einzige Rettung war, die Mehrfigur für 2 Bauern zurückzugeben und in ein Endspiel mit Wenigerbauer, je einem Turm und gleichfarbigen Läufern einzulenken. Hier machte er weitere Fehler und bald hatte ich 3 Bauern mehr und konnte die Partie nach Hause bringen. Ein hartes Stück Arbeit aber eine absolute Bestätigung meiner Intuition – das Opfer hatte seine volle Berechtigung gehabt.

Runde 5 brachte die Paarung Wenninger – Bluma, eine Partie die Philipp noch am Abend vor der Auslosung vorausgesagt hatte. Er entschloss sich, das Remisangebot seines Gegners und den damit verbundenen Kasten Bier abzulehnen, antwortete auf 1. e4 mit einem überraschenden e5, spielte voll auf Sieg und wäre laut eigener Aussage am Ende fast noch in ein Matt reingelaufen, als sich die beiden Kampfhähne dann schlussendlich doch noch auf ein Remis einigten.

Philipp war also weiter gut im Rennen um die vorderen Plätze und ich hatte die Möglichkeit mit Weiß gegen einen 1900er mein Punktekonto auf gute 3 aus 5 zu schrauben. Nach einem Alapin-Sizilianer mit 2. … Sf6 griff ich früh mit h4!? an, woraufhin mein Gegner sich entschied, sich auf f5 seinen weißfeldrigen Läufer rausschlagen zu lassen. Nach …gxf5 entstanden mehrere Löcher, die ich nach genauem Spiel zu einem Qualitätsgewinn nutzen konnte. Leider erhielt mein Gegner dazu noch einen Bauern und konnte am Damenflügel seinen Springer nach c4 platzieren, den ich von dort nicht mehr vertreiben konnte – ich hatte nur noch Dame und 2 Türme und der b-Bauer hatte früh im Spiel nach c3 geschlagen. Insofern wog meine Qualität nicht viel, und mein Gegner hätte das Spiel wohl recht einfach zum Remis führen können, wenn er das Feld c4 nicht irgendwann aufgegeben hätte. So konnte ich meine Turmlinien öffnen und rückte bald seinem König auf die Pelle, der im Zentrum geblieben war. Nach heißem Zeitnotgeblitzte hatte ich übersehen, dass ein Damentausch zu einem sicheren Endspielsieg geführt hätte. Ich behielt die Damen und unterschätzte seinen Konter, mit dem er meine Grundreihe mit Dame und Turme besetzen könnte und auf h1 Matt drohte mein König stand auf h2 und sein Springer auf e4 deckte g3 ab. Ich musste also die Qualität zurückgeben und hätte danach wohl auch irgendwann ins Dauerschach eingewilligt, hätte mein Gegner nicht noch einen Fehler gemacht. Das war schon in der zweiten Zeitnotphase und kostete ihn dann die Partie. Trotzdem war er später gut gelaunt und meinte, es hätte „Spaß gemacht“ – mir auch, aber eigentlich war es die meiste Zeit eher nervenzerreißend…

Philipp spielte in der 6. Runde gegen Philipp Bongartz, einen 2100er. Auch hier musste er sich mit einem Remis begnügen, nachdem er irgendwo in der Eröffnung seine Dame (für Turm und Leichtfigur, wenn ich mich recht erinnere) hatte geben müssen. Das war wohl kurz nachdem er zu mir gesagt hatte „Hmm…keine Ahnung, kann sein, dass ich in 3 Zügen verlier…“ Insofern war das Remis nach Dauerschach noch eine versöhnliche Sache, auch wenn er sich zwischenzeitlich wohl doch wieder mehr erhofft hatte.

Ich war nach der langen 5. Runde ziemlich KO und hätte am liebsten die 6. Runde auf den nächsten Tag verlegt. Ging aber nicht. Deshalb musste ich gleich wieder mit Schwarz ran, und nach 1. d4 Sf6 2. Sf3 war mir schon die Lust vergangen. Mein Gegner (2100) spielte Colle, eine Eröffnung, die ich schlichtweg nicht leiden kann und auch nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Nach einem unorthodoxen Manöver (ich hatte den wichtigen weißen Läufer auf d3 mittels La6!? getauscht, dabei aber wichtige Tempi verloren) stand ich bald strategisch im Hemd. Mein Gegner tauschte bald den Rest runter und so fand ich mich zwar mit 2 Türmen gegen eine blanke Dame im Schwerfiguren Endspiel wieder, hatte aber 2 Minusbauern, und auch der Rest meiner Bauernkette war völlig zerfleddert, ganz zu schweigen von meinem König, der quasi zu jeder Zeit mit einem Schach konfrontiert werden konnte. Obwohl ich nach 2 Stunden wusste, dass ich verlieren würde, spielte ich noch 2 weitere Stunden, versuchte über Turmmanöver vielleicht ein Dauerschachnetz zu knüpfen, musste dann aber schließlich die Niederlage eingestehen.

Die letzte Runde gab Philipp die Möglichkeit, mit 5 aus 7 in die Preisränge zu kommen. Er spielte gegen Gerd Aring an Brett 10 und versuchte mit allen Mitteln, die Partie zu gewinnen. So lehnte er ehrenhaft Remis ab und verlor schließlich im Turmendspiel. Schade, aber 4.5 Punkte hätten ihm auch nichts genützt, wie er später anmerkte. Insofern stark, dass er es versucht hat!

Mein Gegner (1800) in der letzten Runde war äußerst motiviert, was sich nicht nur darin zeigt, dass er vorher ein starkes Turnier mit Remisen gegen Holger Scherer und Saskia Zikeli und Siegen gegen zwei weitere 2000er abgeliefert hatte, sondern auch darin, dass er mit Jahrgang 86 schon einen Doktortitel besitzt – zum Vergleich: ich bin Jahrgang 85 und Beamter auf Widerruf… 😉 Er hatte sich also gegen meinen Alapin-Sizilianer vorbereitet und spielte die ersten 6 Züge a tempo. Ich hingegen brauchte rund 20 Minuten um mir eine gescheite Strategie gegen seinen Aufbau (b6, Lb7, Sc6, Sf6, Zentrum unbesetzt) zu überlegen. Nachdem ich aber e4 und d4 mit Figurenunterstützung gesichert hatte, war ich zufrieden. Im 7. Zug lockerte er sich erstmals mit …e6, was im Sizilianer bekanntermaßen ein großes Loch auf d6 nach sich zieht. Da der f8-Läufer noch nicht entwickelt war, konnte er nicht rochieren und so spielte ich auf die Schwachstelle d6. Nach einigen Manövern konnte er endlich d5 ziehen, hatte damit aber seinen b7-Läufer totgestellt, während meine Figuren die richtigen Felder fanden und zum rechten Zeitpunkt alle an den Königsflügel überschwenken konnten. Nach meinem Angriff auf g7 mittels Sh5! sah er sich gezwungen, kurz zu rochieren, wollte er den Bauern nicht einfach verlieren (g6 konnte er nicht ziehen, da sonst auf f6 ein weiteres Loch entstehen würde). Nach der Rochade hatte ich leichtes Spiel und nach insgesamt 25 Zügen und einem Läuferopfer waren die Partie und das Turnier vorbei.

Insgesamt ein Turnier, das zumindest mir viel Spaß gemacht hat, auch wenn 4 meiner 7 Partien über die Distanz von rund 60 Zügen und 4 ½ Stunden gegangen waren – eigentlich gar nicht meins. Am Ende standen für mich eine 2100er-Leistung und endlich der deutliche Sprung über die Marke von 2000. Philipp hatte sich eine Leistung von rund 2130 erspielt, konnte aber natürlich aufgrund des faden Beigeschmacks der Schlussniederlage nicht zufrieden sein.

Sieger des A-Opens wurde am Ende der spanische GM Cuenca vor GM Ikonnikov und GM Karpatchev. Auf den Plätzen folgten IM Dobosz und FM Ortmann, Philipp wurde mit 4 aus 7 26ter, ich ebenfalls mit 4 aus 7 29ter.


Kommentare

Bericht von der Stuttgarter Stadtmeisterschaft — Ein Kommentar

  1. Hi Jul!

    Toller Bericht und Gratulation zum Sprung über die 2000! Hatte Dir für diesen so gänzlich unwahrscheinlichen Fall ja in grauer Vorzeit mal ne Belohnung zugesagt, werde ich bei Gelegenheit einlösen! 🙂 Irgendwie kommt mir Deine unorthodoxe kreative Eröffnungswahl bekannt vor…:-)

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