Uraufführung in Neustadt: Kabale und Zuferi

1. Akt: Exposition:

Enis und Marcel betreten die Bühne. Im Hintergrund erstrahlt Heilbronn-Biberach. Thomas L. und Simon D. warten bereits.
Thomas L.: „Wir haben euch schon angerufen! Es gibt Stau.“
Enis: „Es sind ja nur drei Minuten Verspätung.“
Sie fahren gemeinsam auf die Autobahn. Es gibt keinen Stau.

…das könnte jetzt natürlich immer so weitergehen. Aber da ich Dramen in der Schule immer vermieden habe (sowohl die gelben Reclamhefte als auch Dramen in der Realität), bleibe ich bei meinem normalen Schreibstil. Das Drama geht an sich aber noch weiter!
Freitag nachmittags gegen 16 Uhr waren wir vier auf dem Weg nach Neustadt (Weinstraße). Wer hätte es gedacht, das Erste, das wir zu Gesicht bekamen, waren Weinberge. Oh Wunder!
Aufgrund unseres relativ späten Entschlusses, mitzuspielen, kamen wir nicht in den Genuss, das Panorama Hotel zu buchen, welches knapp 500 Meter vom Spielort, einer großen Berufsschule, entfernt war. Stattdessen quartierten Vater und Sohn in Mußbach (einem Stadtteil von Neustadt), während Marcel und ich es uns im Vorort Deidesheim gemütlich machten. Zwar hatten wir beide kein Auto, aber der Bahnhof war nur einen Katzensprung entfernt und die täglich fahrende Regionalbahn brachte uns zuverlässig in wenigen Minuten zum Spielort.

Die erste Runde war gewöhnlich eine Pflichtaufgabe. Mein Gegner war ca. 1950 DWZ stark und spielte relativ zügig die sogenannte Wiener Variante im abgelehnten Damengambit, welche von GM Jan Gustafsson auf chess24 empfohlen wird. Der GM zeigt da natürlich (engine-gestützt) Ausgleich in allen Varianten an, aber ich fand immer, dass Weiß das einfachere Spiel hat, was mir schon gegen unseren Thomas Tschlatscher einen ganzen Punkt in einer langen Partie eingebracht hat. Der Verlauf war ähnlich, zwar musste mein Gegner aufgrund meines Angriffs nicht sofort Material spucken, aber seine Stellung war positionell gesehen eine solche Ruine, dass ich ein Endspiel mit Mehrbauer ruhig verschmähen konnte. Bis zu Zug 30 hatte ich dann auch noch spielentscheidendes Material gewonnen, ein gelungener Start mit Weiß, was aber auch bedeutete, dass ich in Runde 2 gegen einen stärkeren Spieler Schwarz hatte…

2. Akt: Aufbau des Konflikts:

So bescherte mir die Auslosung IM Matthias Dann, welcher fast 2500 hat. Ein Schwergewicht, schachlich gesehen. Mit Vorbereitung war auch nichts – außer man zählt das Schauen eines grottenschlechten Horrorfilms als Vorbereitung – da die Auslosung erst nach 24 Uhr oben war. Gewöhnlich spät, wenn die 1. Runde erst um 18:30 startete, immerhin ist den Organisatoren ein Lob dafür auszusprechen, dass die straffe Organisation für durchweg pünktliche Paarungen und wenig Probleme gesorgt hatte.
Hier wurde ich durch schnelles Spiel und eine Nebenvariante überrascht. Das roch doch stark nach Vorbereitung. Nach der Eröffnung hatte mein Gegner zwar sowas wie +0,3, aber ich konnte den Druck im Mittelspiel neutralisieren. Als es dann endlich „0,00“ war, spielte ich zu ungeduldig und band meine Türme nicht ins Spiel ein, dafür konnte ich seine Bauernstruktur beschädigen. Leider waren meine Figuren so verknotet, dass Weiß Damentausch mit Reparatur seiner Bauernstruktur erzwingen konnte. Das Endspiel mit weißer entfernter Majorität konnte ich trotz Turm und Läufer nicht halten.

Vor Runde 3, wieder Favorit mit Weiß (gegen 2000), brodelte ein Neben-Konflikt in mir: Auf den Döner warten oder zum Spiellokal zurückgehen? Schließlich stand ich über 30 Minuten vor einem Dönerladen (5 Minuten Fußweg von der Schule), ohne dass ich mich auch nur eine Position nach vorne bewegen konnte. Wer mich kennt, weiß: Einen Döner kann ich nicht verwehren. Zur Partie kam ich dann dank Schnellgang und Schnellessen gerade so rechtzeitig und wurde mit Slawisch „angenehm“ überrascht. Not macht ja bekanntlich erfinderisch, also opferte ich halb-korrekt einen Bauern. Mein Gegner dankte es mir direkt, als er in eine nicht unbekannte Falle tappte und ich großen Vorteil direkt nach der Eröffnung bekam. Als ich nach 20 Zügen einen gut unterstützten Freibauern auf c7 hatte, war der Ausgang der Partie schon klar, also 2 Punkte aus 3 Spielen.

In Runde 4 wieder Weiß! Thomas Leykauf ist ja der Meinung, dass er selbst zu oft Schwarz bekommt und ich zu oft Weiß, dieser Turnierverlauf hat ihn sicher nicht von seiner Meinung gebracht.
Glücklicherweise konnte ich mich dieses Mal vorbereiten, auf einen weiteren 2400er, FM Johannes Carow – er scheint noch nicht genug Normen zu haben. Meine Vorbereitung auf Basis einer seiner Partien im vergangenen Oktober ging sogar auf, wir spielten die ersten 16 Züge mehr oder weniger im Schnellschachtempo. Beim 17. Zug verfiel er dann doch in ein sehr langes Nachdenken von 45 Minuten, er schien den Braten gerochen zu haben. Schwarz wich nicht nur von seiner Gewinnpartie aus 2016 ab, sondern spielte einen Zug, der bis dato nicht einmal von GMs gespielt wurde – also selbst nachdenken angesagt. Ich entschied mich zu einem Qualitätsopfer:

Mit 18. La3!?, laut Engine auch der beste Zug, forcierte ich 18…a6 19. Txc5 Lb6. In der Folge spielte ich jedoch zu lasch und ließ zu, dass seine Türme sich auf der e-Linie und schlussendlich auf meiner 2. Reihe breitmachten. Mein Freibauer auf d6 war dann wenig wert und ich verlor die Partie in seinem Mattangriff leider.

Runde 5 mit Schwarz (gegen 2070, einen Spanier, mit dem ich dann auch tatsächlich Englisch sprechen musste – oh je) brachte ein ähnlich angenehmes Spiel wie in den Runden 1 und 3. Mein Gegner verrechnete sich in einem Sizilianer und übersah, dass ich mit einer relativ späten langen Rochade (Robin ist jetzt sicher stolz auf mich) seinen Angriff abwehren konnte.


15…Sbd7!, was ich natürlich bereits vor seinem Figurenopfer gesehen hatte, rettet die Variante für Schwarz. Nach 16. Lf3 0-0-0 konnte ich die Stellung klären. 16. Lxh5 Txh5 17. Tfe1+ gibt Weiß zwar noch Angriff, aber zwei Figuren sind doch zu viel des Guten.
Zwei Bauern waren keine Kompensation für meine Mehrfigur. In der Folge machte mir die Verwaltung und Vergrößerung meines Vorteils keine Probleme und ich kletterte auf 3/5.

War das mein Schicksal? Ungefährdete Siege gegen Schwächere, aber nicht genug Energie gegen Stärkere? Was hatten die Götter für mich nur im Schilde?

3. Akt: Höhepunkt und Peripetie:

Die Götter hatten auf jeden Fall eine unerwartete Wendung vorbereitet: Statt eines stärkeren Gegners bekam ich es mit einem 1950er zu tun, welcher bis dato eine sehr starke Performance hatte (einige 2100er geschlagen), er schien auf jeden Fall eine Herausforderung zu sein. Dass er ein Königsindisch-Spieler war, machte es mir nicht einfacher, zwar glaube ich nicht an die objektive Korrektheit dieser Eröffnung, aber sie ist auf jeden Fall eine kämpferische Eröffnung, in der Ungenauigkeiten auf beide Seiten schwer bestraft werden. Also dachte ich mir: wieso greife ich nicht selbst am Königsflügel an? Ich rochierte nicht kurz und marschierte mit g4+h4 los. Prompt spielte Schwarz schlecht, öffnete die g-Linie für mich und ließ auch noch den Abtausch der weißfeldrigen Läufer zu, sodass ich auf e6 und g6 wunderschöne Löcher zum Spielen hatte. Um Zug 20 herum spielte ich kurz nicht genau genug, sodass ich im 25. Zug eine wichtige Variante sehen musste:

Mein Gegner leistete mir darauf nicht einmal den hartnäckigsten Widerstand, ich rochierte im 27. Zug lang (jetzt muss Robin stolz auf mich sein) und drückte meinen Vorteil am Königsflügel mit Gewalt durch.

4/6, noch keinen Stich gegen Stärkere gesehen. Da ich relativ lang spielte, blieb für Vorbereitung wenig Zeit, Essen und frische Luft schnappen waren da mal wieder wichtiger. IM Vadim Chernov (2390) war da auf den ersten Blick furchteinflößend, vor allem, da ich Schwarz hatte – dann kam mir der Zufall zur Hilfe. Als Rochade-Abonnent konnte ich mich daran erinnern, dass in der Rubrik „Aktuelle Eröffnungstrends“ mal etwas von Analysen von einem „IM Chernov“ stand…als Reaktion darauf hatte ich ebenjene Variante aus schwarzer Sicht analysiert und kam zum Schluss, dass Weiß gar nichts hat. So blitzten wir beide die besten Züge runter, er bekam zwar ein bisschen Initiative, die konnte ich jedoch neutralisieren und hatte danach positionell sogar die eindeutig bessere Stellung. Entgegen meiner Überzeugung entschied ich mich für eine Ruhepause, den Spatz in der Hand und forcierte ein Remis durch Zugwiederholung.
Nach der Partie erzählte mir mein Gegner noch, dass ich der erste Spieler überhaupt sei, der die Variante richtig spielen würde und dass sein Gegner morgens in der 6. Runde die selbe Variante gespielt hatte, aber falsch. Sachen gibt’s!

4,5/7 und mal nicht gegen einen IM verloren – konnte ich jetzt den Gipfel erstürmen, war mein Bann gebrochen?

4. Akt: Das retardierende Moment:

Der letzte Tag war angebrochen. Marcel war bereits abgereist, da das B-Open nur sieben Runden lang ging. Auch Thomas Leykauf war im C-Open schon fertig, nur noch Simon und ich hielten die Heilbronner Fahne hoch.
In Runde 8 bekam ich es nicht ganz mit einem IM zu tun, sondern mit einer WIM Filiz Osmanodja mit 2350 Elo. Ich sah, dass sie gerne abgelehntes Damengambit und Bogo-Indisch spielte, da ich nicht ganz so stark spiele wie sie, rechnete ich mit Bogo-Indisch. So kam es dann auch und durch einen Trick führte ich die Partie eher in damenindische Gefilde. Dort schien sie sich nicht auszukennen und ich fühlte mich das erste Mal gegen einen stärkeren Spieler bzw. stärkere Spielerin überlegen. Zwar spielte ich das Mittelspiel nicht perfekt, aber zwang sie öfter zu längeren Denkphasen, sodass ich in folgender Stellung wichtiges Material gewinnen konnte:

Danach musste es doch eigentlich ein Sieg sein. Ich spielte und spielte, verhinderte ihr Gegenspiel, auch wenn ich dafür manche Türen schließen musste. Das ist aber nicht so wichtig, wenn man Boris Gelfand glaubt – er ist der Meinung, dass sich irgendwann eine Siegmöglichkeit ergibt und in Stellungen mit vielen Figuren wahre Festungen äußerst selten sind (siehe „Dynamic“ bzw. „Positional Decision Making in Chess“). So spielte ich im Glauben an diese Ansicht weiter. Und es war an einigen Stellungen auch direkt gewonnen. Nur hatte ich ein typisches Problem, welches Schachspieler manchmal haben: den Tunnelblick. Irgendwann, nach vielen Stunden, als sehr viele Bretter schon fertig waren und immer mehr Zuschauer um mein Brett herumstanden, wurde ich müde. Nicht körperlich müde, sondern des Spielens müde. Ich hatte Zeit, ich hatte Vorteil. Aber ich spielte zu viele Züge automatisch. Und so fand sie, nach über 90 Zügen und fünfeinhalb Stunden Spielzeit, eine tempogenaue Verteidigung zum Remis. Unglaublich.

Zum Nachspielen noch die gesamte Partie hier:

Geistig gebrochen, ohne Mittagessen, war noch eine Runde zu spielen. Was bedeuteten mir die vereinzelten Glückwünsche der Umherstehenden, wenn ich wieder nur Remis gespielt hatte?

5. Akt: Katastrophe

Äußerlich intakt, aber innerlich zerstört, setzte ich mich ans Brett der 9. Runde. Es lief nichts mehr zusammen. Mein Gegner lehnte mein Remisangebot ab. Er spielte aber nicht gut. Ich konnte mit Schwarz einfach ausgleichen. Als ich an einer einzigen Stelle in der Partie wirklich rechnen musste, versäumte ich es. Wie in Runde 2 kam ich in ein Endspiel mit entfernter gegnerischer Bauernmajorität. Die gewann das Spiel. Déjà-Vu.

Nicht nur bei der Vorgehensweise meines Gegners ein Déjà-Vu, sondern auch beim Turnierverlauf an sich. Wie so oft hatte ich die Chancen, ein Turnier zu einem richtig guten zu machen. Leute nickten mir wegen meiner Spielweise zu, aber am Ende bin ich der tragische Held, der ein „ordentliches“ Turnier spielt. Nach allen Auswertungen bin ich bei 2219 DWZ und 2218 Elo. Immerhin bleiben mir noch ein paar Oberliga-Runden und ein paar Turniere – Ostern und den Feiertagen im Mai sei Dank – um näher an die magische 2300 zu kommen.

Epilog:

Natürlich gebe ich jetzt nicht auf, sondern mache erst recht weiter. Aber was haben denn meine Kollegen gerissen?

Thomas probierte im C-Open ein paar neue Eröffnungen aus und wurde für seinen Mut nicht immer belohnt. Mit 3,5/7 erreichte er am Ende ein ordentliches (das Wort sollte nur bei meinen Leistungen negativ konnotiert sein) Ergebnis.

Marcel erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Er legte stark los und spielte mit 2/2 gleich mal an Brett 5 (Startnummer 24). In der Folge kassierte er im Spanier aber zwei empfindliche Schwarz-Niederlagen und zwei Mal gegen sehr junge Spieler. Mit Weiß war er solide und gewann alle drei Partien. Immerhin siegte er in den anderen beiden Schwarzpartien zwei Mal und kann mit 5/7 durchaus zufrieden sein, wenn auch Vieles zu verbessern ist.

Simon spielte im A-Open ein insgesamt starkes Turnier und bestätigt seine aufstrebende Form (die er leider noch nicht in der BW-Liga umsetzen konnte, was aber auch nur ein minimaler Fleck auf der sonst weißen Weste ist). Ähnlich wie ich bezwang er die schwächeren Spieler souverän. Gegen Stärkere versuchte er häufig, krasse Ungleichgewichte zu erzeugen, welche zwar objektiv nicht unbedingt gut für ihn waren, aber für offene Partien sorgten. So schaffte er einige Remis gegen 100-200 Punkte stärkere Gegner. In der letzten Runde verschmähte er aufgrund…naja, es war halt die letzte Runde, Siegmöglichkeiten gegen einen 2200er. Da habe ich am Vortag wohl für ein schlechtes Beispiel gesorgt. Jedenfalls ist Simon schon merklich über 2100 Elo und knackt auch sehr bald (Landesliga: 3,5/4) die 2100 DWZ. Da bahnt sich etwas an!

Alle Ergebnisse finden sich unter diesem Link.

„In action“ bin zumindest ich bald wieder. Anfang April spiele ich sicher mindestens ein Turnier, in den kommenden Tagen stehen im Unterlandpokal, im KO-Pokal-Finale und im Oberliga-Heimspiel gegen Sontheim zum Teil richtungweisende Spiele an.


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