Ein weiterer Schritt auf dem Weg ins beschauliche Naumburg: HSchV I – Göppingen I 4-2

Die Saison ist vorbei!
…könnte man zumindest als ‚Erwachsener‘ denken, da die regulären Sonntagsligen des Schachbezirks Unterlands im April ihr Ende fanden. Zumindest der Großteil, unsere Dritte und Vierte müssen am 18. Mai noch einmal in der B- respektive  E-Klasse ran, auch wenn es um nichts mehr geht.
Für einen Jugendlichen geht der Rhythmus selbstverständlich weiter, da unsere Knochen und Gehirne jünger und somit leistungsfähiger sind. Somit mussten wir uns heute mit den Göppingern in der 5. Runde der Baden-Württemberg-Jugendliga U20 messen, was zwar statistisch gesehen als Pflichtaufgabe abgetan werden konnte, jedoch auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden durfte. Die Gegner können schließlich auch Schach spielen.

Ein gutes Omen war immerhin, dass das Göppinger Brett 1, Elisa Zeller, aufgrund von Krankheit fehlte, während wir bis auf Tobias Peng in Bestbesetzung antreten konnten. An Brett 6 durfte dafür Simon Degenhard zu seinem zweiten Einsatz in der höchsten Jugendspielklasse Baden-Württembergs kommen. Im Prinzip also „never change a winning team“.  
Nach zwei Stunden war dieser dann auch als Erster fertig. Mit seiner neuen Hauptwaffe Spanisch  erreichte er dank der klassischen Steinitz-Verteidigung (3…d6) eine sehr aktive Stellung (u.a. zentralisierte Dame auf d4, die auf die schwachen Punkte g7 und a7 schielte und somit eine harmonische Entwicklung des Gegners verhinderte). Sein Gegner fand keinen wirklichen Plan und zog daher Figuren hin und her wie z.B. Sf6-h5-f6-g4-e5 (nur um dann abgetauscht zu werden) und Dd8-d7-c6-d7, was Simon natürlich in die Karten spielte. Zusätzlich machte sich Schwarz eklatante Felderschwächen auf weiß (die Stellung war einem Schweizer Käse sehr ähnlich), die Simon gut ausnutzte und einen Turm gewann. Er hätte zwar auch die Dame gewinnen können, aber wer braucht das schon…

Von meinen bisherigen 30 Wertungspartien diese Saison bekam ich als Schwarzer nur zwei Mal meinen geliebten Sizilianer auf das Brett, meine absolute Lieblingseröffnung. In einer Partie wich mein Gegner auch noch mit 3. Lb5+ ab, was jedoch nicht ausreichte, um mir einen halben Punkt abzunehmen. Dementsprechend strahlte ich innerlich wie das AKW Neckarwestheim, als mein heutiger Gegner sich auf den Najdorf-Sizilianer einließ. Erfreulicherweise kannte er keine Theorie (6. Ld3!? e5 7. Sf3? – in meinen Augen ein klarer Fehler, da Weiß jetzt kaum noch aktiv spielen kann), was die Aufgabe leichter als geplant machte. Nach einer harmonischen Entwicklung konnte ich das klassische sizilianische Qualitätsopfer auf c3 bringen, wonach sein Zentrum und sein Damenflügel auseinanderfielen. Wenn die Stellung von Simons Gegner einem Schweizer Käse ähnelte, dann war das ein Minenfeld – alle Figuren und Bauern versprengt.

Nach dem 2-0 zeigte sich, was ich befürchtet hatte: manche Spiele werden einfach auf die leichte Schulter genommen. Zu Saygun meinte ich noch: „Wenn wir nicht 2-0 führen würden, würde ich mir Sorgen machen.“

Als Christian seine klar bessere Stellung noch zum Remis versaute, bekam ich tatsächlich leichte Bauchschmerzen. Lag ausnahmsweise aber nicht am Essen, da ich schon länger nicht mehr bei Burger King war. Er spielte ein Turmendspiel ungenau, wodurch die Aktivität seines Turms irrelevant war, da Weiß einfach alle Bauern am Damenflügel abtauschen konnte. Hätte er seinen Turm nicht nach c2, sondern nach b2 gestellt, wäre Weiß am Damenflügel komplett paralysiert (Turm auf a1, Bauern auf a2/b3), während sein König die Königsflügelbauern decken muss – freie Bahn für den schwarzen König, auch wenn weiterhin genaues Spiel erforderlich ist. Immerhin konnte man schön sehen, dass im Schach minimale Dinge entscheidend sind, um sich von seinem Gegner abzuheben, auch wenn dieser mehr als 100 DWZ weniger hat.

Dmitriy beging einen unnötigen, leider auch schon oft beobachteten Fehler: Er teilte seine zwei Stunden einfach überhaupt nicht richtig ein. So hatte er nach 16 Zügen nur noch ca. 40 Minuten auf der Uhr in einer hochkomplexen Mittelspielstellung. Dass er nicht schon in der Eröffnung (Panov-Angriff als Schwarzer – niemals die Grundprinzipien des Schachs wie Entwicklung vernachlässigen!) eingegangen ist, konnte er dem zahmen Spiel seines Gegners verdanken. Der Schlüsselmoment war im 17. Zug, als sein Gegner bereits zum zweiten Mal Remis geboten hatte – in Verluststellung natürlich. Dmitriy überlegte und überlegte…und überlegte…immer weiter…als er nur noch zehn Minuten hatte, hätte er das Remis natürlich annehmen müssen, was eine 3-1-Führung gewesen wäre. Bis er nur noch eine Minute hatte, überlegte er jedoch weiter (und schaute zudem immer zu mir – ich kann dir nicht helfen!) – und spielte dann den Gewinnzug. In 35 Minuten Nachdenken kam das Matt in 3 scheinbar aber nicht in seinen Gedankengängen vor, da er schlecht fortsetzte und die Stellung plötzlich unklar wurde: der weiße König fühlte sich so wohl wie ein Eisbär in der Sahara, jedoch wollte ein mutiger Bauer auf e7 die Ernte des Sieges einfahren. Wie es so oft aber passiert, ließ Weiß sich vom Dmitriys Blitzen anstecken und musste ein Dauerschach zulassen. Mit 9 Sekunden für 10 Züge entschied sich Dmitriy lieber dazu, die weiße Dame zu nehmen – zack, Grundreihenmatt.

Marcel machte seine Sache hingegen besser. Nimzoindisch mit 4. Dc2 brachte ihn nach ein paar weiteren Zügen in eine Isolani-Stellung, in der nur er das Läuferpaar hatte (klassicher Abtausch des Lb4 gegen den Sc3). Diesen Vorteil konnte er aber lange nicht umsetzen, da der Blockadespringer auf d5 zusammen mit einem Bauern auf h6 den Läufer auf d2 gut unter Kontrolle hatte. Positionell fand ich den Abtausch des verbliebenen Springers gegen den schwarzen Läufer auf b7 zwar zweifelhaft (da dies ein weiteres Leichtfigurenpaar abtauscht und der Springer von e5 oder c5 Druck ausüben kann, was der Läufer nicht ausgleichen kann), schien aber Wunder zu wirken: Marcel nahm die c-Linie unter Kontrolle und drang mit Dame und Turm in die schwarze Stellung ein. Nun machten sich die Läufer bemerkbar, da sie auf beide Seiten des Brett wirkten, was das Springerpaar nicht ausgleichen konnte. Da die Pferde anderweitig beschäftigt waren, konnte der König nicht aus seiner gefährdeten Residenz rausreiten, welche nach kurzer Belagerung die weiße Fahne hisste.

Von Patricks Partie habe ich nicht so viel mitbekommen. Damengambit war es auf jeden Fall, zuerst aber Meraner, dann lenkte Schwarz in die Orthodoxe Verteidigung über – und machte prompt einen Fehler. Nach …dxc4 Lxc4 b5 Ld3 will Schwarz …Lb7 und …c5 spielen, um das weiße Idealzentrum d4/e4 unter Druck zu setzen. Diese Idee erfordert den Zug ..a6, um den Bauern b5 zu stützen. Schwarz spielte aber a5?! – womit seine Stellung eigentlich ohne Gegenspiel ist. Zudem konnte Patrick seinen „schlechten“ Lc1 gegen den „guten“ Le7 tauschen. Eigentlich sollte ja alles klar sein! Nur werde ich immer eines Besseren belehrt (ich scheine ein sehr schlechtes Karma zu haben und weiß nicht einmal, woran das liegen könnte…), denn Patrick löste sein Idealzentrum ohne Grund mit e5?! auf, wovon er sich wohl einen Königsangriff und Dominanz auf den schwarzen Feldern erhofft hat. Dafür gibt man aber doch nicht die volle Kontrolle über das Zentrum auf. Letztendlich wurde es eine Stellung mit Damen, 4 Türmen und 4 Springern, in dem beide Seiten einen rückständigen Bauern hatten (d4 bei Weiß / c6 bei Schwarz) – nach meiner Einschätzung war da für niemanden etwas drin. Das Ende habe ich nicht gesehen, aber mit dem abschließenden Remis sah ich mich in meiner Einschätzung bestätigt.

Am Ende ein 4-2, Pflichtaufgabe erfüllt, jedoch unnötig spannend. Von der überzeugenden Aura gegen Karlsruhe war auf jeden Fall nichts mehr zu spüren. In drei Wochen geht die Fahrt nach Sontheim/Brenz, wo wir die Qualifikation zur Deutschen Vereinsmeisterschaft theoretisch sichern können (Hauptkonkurrent Baden-Baden spielt zur gleichen Zeit gegen Bebenhausen). Ehrlich gesagt muss da aber eine leichte Leistungssteigerung her und vor allem müssen unsere Jungs lernen, wie man die vorhandene Zeit richtig einteilt (war nicht nur bei Dmitriy der Fall, wer sich wundert). Ironischerweise hat der SVW vorgeschlagen, die Bedenkzeit in den Jugendligen zu verkürzen, sollte dies echt passieren, dann wird es sehr schwer, sich in der Saison 14/15 für die DVM zu qualifizieren…

Zum Schluss noch die ausbleibende Selbstbeweihräucherung: manita! – ich hab 5 aus 5 in der Jugendliga. Tut meinem Ego nach dem verkorksten Neckar-Open doch etwas gut.

Alle Ergebnisse gibt es hier:
klick mich nicht, ich bin sicher kein Link!

– Enis Zuferi


Kommentare

Ein weiterer Schritt auf dem Weg ins beschauliche Naumburg: HSchV I – Göppingen I 4-2 — 3 Kommentare

  1. Hi Enis,

    wie immer ein netter Bericht, vielen Dank und herzlichen Glückwunsch zum 4:2!
    Allerdings mache ich mir bezüglich

    strahlte ich innerlich wie das AKW Neckarwestheim

    doch etwas Sorgen – wir werden nächste Saison doch hoffentlich keinen Blei-Anzug für dich brauchen?! 😉

    Sontheim/Brenz wird aber auf jeden Fall deutlich härter und ist wohl ebenfalls als Konkurrent um den DVM-Platz zu betrachten – die haben die Klatsche gegen Bebenhausen nämlich schon hinter sich…

    Also dann viel Erfolg für den 24.!

     

    Viele Grüße
    Ramin

    PS:

    klick mich nicht, ich bin sicher kein Link!

    Doch, bist du 😉

  2. Hi Enis,

    wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass es sicherlich jedem schon mal passiert ist, dass man die Bedenkzeit während der Partie tatsächlich vergisst oder einfach zu vertieft ist in eine bestimmte Variante, dass man einen Gewinnzug selbst dann nicht sieht, auch wenn er noch so einfach ist.

    Übrigens: der SVW hat nicht vorgeschlagen, die Bedenkzeit zu verkürzen, sondern die WSJ hat aufgrund vieler unterschiedlicher (auch gegensätzlicher) Meinungen einiger Funktionäre zu diesem Thema eine Umfrage gestartet bei den betroffenen Vereinen. Hoffen wir, dass daraus hervorgeht, dass keine Verkürzung der Bedenkzeit erwünscht ist. Dies würde sicherlich auf Kosten der Partienquailität gehen, was in den beiden höchsten Jugendligen des Verbandes vermieden werden sollte.

    Gruß, Say

  3. Hi Saygun,

    kann natürlich vorkommen, dass man die Zeit vergisst. Dafür hat er aber doch sehr oft auf die Uhr geschaut 😉
    Dass er lange überlegt, ist an sich auch nicht schlimm, es muss dabei halt beachtet werden: a) kommt etwas Produktives dabei herum? b) wenn ich sehe, dass ich nur noch 1 Minute für 22 Züge habe, dann muss ich doch annehmen, wenn ich keinen absolut forcierten Gewinn in den nächsten Zügen sehe (hat er nach der Partie zugegeben).

    Ah, dann haben wir schon unsere Pflicht getan, da ich mich dagegen ausgesprochen hatte.

    Grüße
    Enis

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